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Aus: Ausgabe vom 14.10.2025, Seite 12 / Thema
Ökologie

Kampf um jeden Tropfen

Menschen verdursten, Städte liegen auf dem Trockenen, und Staaten nehmen sich gegenseitig Wasser weg. Ein unvollständiger Überblick über die weltweite Wasserkrise
Von Eike Andreas Seidel
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Die zunehmende Trockenheit macht den Brückenbau mancherorts nur noch im metaphorischen Sinne nötig: Brücke über den Fluss Jhelam in der umkämpften Region Kaschmir. Dieses Jahr hat Indien den Wasservertrag mit Pakistan ausgesetzt

Weltweit wird das Trinkwasser knapp. Die landwirtschaftlichen Flächen versalzen, der Grundwasserspiegel sinkt, Flüsse trocknen aus. Die Gletscher, die wichtigsten Wasserspeicher für Trockenperioden und -gebiete, schmelzen ab. Wasser als die wohl wichtigste Ressource weltweit wird zum knappen Gut. Dieser Mangel hat schon heute konkrete Auswirkungen. Trinkwasser ist in einer Mehrzahl der Länder nur noch abgefüllt zu kaufen. Die Mehrheit der Weltbevölkerung ist von sauberem Wasser abgeschnitten. Die Bewahrung der verfügbaren Wassermengen wird weltweit zu einem der größten Probleme, bewaffnete Auseinandersetzungen über die Vorräte drohen.

Ganze Städte verlegen?

So plant der Iran, die Hauptstadt Teheran zu verlegen. 15 Millionen Einwohner und zusätzlich vier Millionen Pendler können kaum mehr mit dem nötigen Trinkwasser versorgt werden. Öffentliche Toiletten werden geschlossen, das Trinkwasser wird rationiert. Ein großer Teil der Stauseen, aus denen Teheran sein Trinkwasser bezieht, ist im September 2025 ausgetrocknet oder steht kurz davor.

Weite Teile des iranischen Staatsgebiets sind Wüste. Seit Jahren gibt es im Osten des Landes einen Konflikt mit Afghanistan, der auch teilweise schon zu bewaffneten Scharmützeln um die Wassermenge geführt hat, die über den Helmand-Fluss aus dem Nachbarland in den Iran abfließt. Insbesondere der zweite Staudamm kurz vor der iranischen Grenze hat diesen Konflikt in letzter Zeit eskalieren lassen. Im Westen ist es wiederum der Iran, der den wichtigen Zufluss Sirvan (arabisch: Diyala) in den Irak durch einen Staudamm absperrt und das Wasser in die weiter im Süden gelegene Provinz Chuzestan umleitet. Dort war es unter den Bauern zuvor schon zu bewaffneten Aufständen gekommen, da sie ihre Felder nicht mehr bewässern können.

Noch gravierender ist der Verlust an Grundwasser. Wie in vielen anderen Ländern decken Landwirtschaft und zunehmend auch die Industrie ihren Wasserbedarf zu großen Teilen mit Grundwasser, das den unterirdischen wasserführenden Schichten (Aquiferen) entzogen wird. Auf etwa 3,5 Prozent der Oberfläche des Iran sind Bodenabsenkungen die Folge. In Provinzen wie Teheran, Isfahan, Kerman und Razawi-Chorasan wohnt mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Gebieten, die in unterschiedlichem Maße von Bodensenkungen bedroht sind. Bis zu mehreren Dutzend Zentimetern pro Jahr senkt sich hier der Boden – ein trauriger Weltrekord. Plötzlich auftretende Krater in Straßen gehören zu den spektakulärsten Folgen.

Für die afghanische Hauptstadt Kabul wird derzeit prophezeit, dass ihr schon im Jahr 2030 das Wasser ausgehen wird. Ihre Einwohnerzahl ist seit 2001 von etwa einer Million auf über sechs Millionen gestiegen, wodurch der Wasserbedarf stark gestiegen ist. Mehr als 80 Prozent des Wassers in Afghanistan stammen aus der Schneeschmelze, daher stellt der Rückgang der Schneedecke eine große Bedrohung für die Wasserressourcen des Landes dar. In den vergangenen zehn Jahren ist der Grundwasserspiegel mancherorts um bis zu 30 Meter gesunken. Der Wasserverbrauch übersteigt die natürliche Regenerationsrate derzeit jährlich um 44 Millionen Kubikmeter. Bereits heute ist fast die Hälfte der Brunnen, Kabuls Hauptquelle für Trinkwasser, versiegt.

Diese Situation wurde unter den diversen Regierungen Afghanistans unter der Ägide der Operation »Enduring Freedom« nicht angepackt. Mittlerweile sind auch alle Fördermittel für geplante Projekte erst einmal gestrichen. Hoffnung wird unter anderem auf das Panjshir-Pipeline-Projekt gesetzt, das in einer Pipeline über 200 Kilometer Wasser aus dem Pandschir-Tal nach Kabul bringen soll – allerdings mit völlig offener Finanzierung. Ein weiteres Projekt, bei dem Indien die Taliban-Regierung unterstützt, ist der beabsichtigte Bau des 92 Meter hohen Shatoot-Damms am Kabul-Fluss, der innerhalb der nächsten fünf Jahre fertiggestellt sein soll. Dieses Projekt hat wiederum heftige Proteste seitens Pakistans hervorgerufen, da damit Wasser, das bisher nach Pakistan geflossen ist, »geklaut« würde. Und Indien hat schon im Jahr 2013 den Afghan-India Friendship Dam am Hari-Fluss finanziert und gebaut, der Turkmenistan Wasser entzieht.

Doch Teheran und Kabul sind nicht die einzigen Hauptstädte, die unter Wassermangel leiden. In der Mongolei gibt es konkrete Vorbereitungen, die Hauptstadt Ulaanbaatar zu großen Teilen in die Orchonebene um die historische Hauptstadt Charchorin zu verlegen – als angeblich autarke, in einem geschlossenen Kreislauf aller Ressourcen angelegte Stadt der Zukunft. Der Grundwasserspiegel in Ulaanbaatar ist in den vergangenen Jahren um mehrere Meter gesunken. Der Fluss Tuul durch Ulaanbaatar trocknet zunehmend aus. Planungen, Flüsse aus dem Chentii-Gebirge aus dem Norden nach Ulaanbaatar umzuleiten, erwiesen sich als nicht umsetzbar. Doch der Aufbau der utopischen Phantasiestadt »Maidar City« nahe Ulaanbaatar als Modell für die neue Hauptstadt steht kurz vor dem Scheitern, denn der Bau hat heute schon Jahrzehnte Verzug.

Ägypten trocknet aus

Ähnliche Probleme gibt es in der ägyptischen Hauptstadt Kairo mit derzeit etwa zwölf Millionen Einwohnern, auch wenn hier noch die Wasserversorgung für in Häusern lebende Menschen landesweit gewährleistet ist. Nach einer eher symbolischen Eröffnung der neuen Hauptstadt im Jahr 2022 soll in den nächsten Jahren die neue Hauptstadt Neu-Kairo – ebenfalls mit absurden Versprechungen von Autarkie – für 6,5 Millionen Einwohner erbaut werden. Der mit 400 Metern höchste Turm Afrikas steht schon. Ägypten peilt für das Jahr 2036 die Ausrichtung der Olympischen Spiele in diesem Utopia an.

Auch Alexandria – 2022 noch Schauplatz der Weltklimakonferenz – im nordwestlichen Nildelta soll verlegt werden. Hier sind es der steigende Meeresspiegel und das gleichzeitige Absinken des Untergrunds, wodurch in naher Zukunft die Stadt im Mittelmeer verschwinden wird. Die Aquifere entlang des Nils trocknen aufgrund der landwirtschaftlichen Nutzung des Wassers im Süden immer weiter aus. Beide Entwicklungen – das Absinken des Untergrunds und das Ansteigen des Meeresspiegels – addieren sich. Die Umsiedlung in das neue Alexandria muss allerdings aus eigener Tasche bezahlt werden. Das werden nur die »Reichen und Schönen« stemmen können.

Immer weniger Wasser erreicht den Nil über das Meer. Die moderne Landwirtschaft verbraucht durch großflächige Bewässerung immer mehr Wasser. Weltweit verbraucht die Landwirtschaft etwa 75 Prozent des Wassers, von dem ein großer Teil dann durch Verdunstung für weitere Verwendung verloren geht. So sind in Ägypten mittlerweile etwa 40 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen versalzen. Hinzu kommt, dass schon während des Baus des GERD-Staudamms in Äthiopien die Wassermenge, die über den Blauen Nil abfließt, reduziert wurde. Zur Vermeidung eines Krieges hat Äthiopien die Befüllung des Stausees verzögert und den »Unterliegern« eine garantierte Wassermenge zugesagt. Diese Wassermenge wird sich allerdings verringern, wenn das Wasser des GERD-Stausees in großem Ausmaß zur Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen in Äthiopien genutzt wird und nicht mehr nach Norden abfließt.

Der Konflikt schwelt trotz wiederaufgenommener Verhandlungen der drei Staaten Äthiopien, Sudan und Ägypten weiter. Vor allem Ägypten beruft sich dabei auf Regelungen aus der britischen Kolonialzeit, in denen die Interessen vieler südlicher Nilanrainer, darunter vor allem Äthiopien, nicht berücksichtigt worden waren.

Während der Weiße Nil ganzjährig aus den Regengebieten des zentralen Afrikas eine annähernd gleichbleibende Wassermenge nach Norden bringt, ist die Wassermenge des Blauen Nils in der äthiopischen Regenzeit um ein Vielfaches höher. Und dieses Wasser aus Äthiopien brachte den sagenumwobenen fruchtbaren Nilschlamm mit sich. Die Überschwemmungen der Pharaonenzeit hatten zwei Effekte: Zum einen wurde das Salz »ausgewaschen«, das in den vorangegangenen trockenen Monaten durch die Kapillarwirkung mit dem Wasser an die Oberfläche geholt worden war. (Ein modernes Projekt dieser »Entsalzung« des Bodens durch »Spülen« hatten DDR-Spezialisten in den 1980er Jahren im Irak durchgeführt.) Zum zweiten wurde durch den Schlamm die Erde am Nilufer gedüngt.

Beide Effekte sind heute nicht mehr gegeben: Der Nilschlamm wird heute schon südlich des Nassersees an der Grenze zwischen dem Sudan und Ägypten abgelagert und kommt nicht mehr als Dünger weiter in den Norden. Und durch die Regulierung durch den Damm gibt es keine Überschwemmungen mehr, die das Salz wieder aus dem Boden waschen würden. Neben Ägypten gehören der Irak, Syrien und Pakistan zu den Ländern mit dem höchsten Anteil versalzener Böden (annähernd 40 bis 50 Prozent). Weltweit sind etwa 20 Prozent der Böden versalzen. Als Nebeneffekt des Dammes transportiert der Nil kaum mehr Sediment in den Norden; das Nildelta wächst nicht mehr weiter.

Den Rückgang der nutzbaren Anbaufläche wegen der Versalzung und der Zunahme der Bevölkerung im Niltal versucht Ägypten durch Projekte wie beispielsweise das »New Delta«-Projekt zu kompensieren. Auf 10.000 Quadratkilometern Wüste werden zwischen Kairo und Alexandria neue Felder angelegt, die teilweise durch wieder aufbereitetes Schmutzwasser, in der Mehrheit aber durch Grundwasser aus dem Nubischen Sandstein-Aquifer bewässert werden. Schon 2023 ergab eine Untersuchung der ägyptischen Grundwasserressourcen anhand von Satellitenbildern, dass sich die Wasserknappheit unter dieser westlichen Wüste seit as-Sisis Amtsantritt verdoppelt hat. Frühere Projekte dieser Art sind im Sinai nie fertig gebaut worden, beim Toshka-Projekt im Süden Ägytens zur Erschließung von Ackerbau-Flächen in der nubischen Wüste sind Investoren abgesprungen.

Wasser nur für Reiche

Ähnliche Wirkungen zeitigt der Wassermangel im Westen und Süden der USA. Der Lake Mead und der Lake Powell am Colorado River sind derzeit nur noch zu etwa 30 Prozent gefüllt. Wüstenstädte wie Phoenix und Las Vegas können nach Schätzungen in etwa 20 Jahren buchstäblich »verdursten« und müssen aufgegeben werden. Der Wassernotstand im Westen der USA und insbesondere in den wichtigen Gemüseanbaugebieten Kaliforniens hat zu einer Selbstverpflichtung der Staaten auf eine Reduzierung des Wasserverbrauchs um 13 Prozent geführt. Zu dieser Reduzierung des Wasserbrauchs gehörte auch das Verbot, Duschköpfe ohne Wasserregulierung zu verkaufen. Wir erinnern uns noch gut an Donald Trumps Slapstick-Auftritt, bei dem er dieses Verbot Anfang April 2025 kippte, um sich wieder »die Haare schön« machen zu können.

Zu den Anrainerstaaten des Wasserabkommens im Südwesten der USA, des Colorado River Compact von 1922, kam 1948 auch Mexiko hinzu. Während zu Beginn des Abkommens jeder der Teilnehmer eine absolute Wassermenge entnehmen durfte, wurde dies in den vergangenen Jahren an die tatsächlichen Niederschläge angepasst. Allerdings läuft die Übereinkunft Ende des Jahres 2025 aus.

Der sinkende Wasserspiegel der beiden großen Stauseen am Colorado, dem Lake Mead und dem Lake Powell, hat noch eine weitere gravierende Auswirkung. Schon für das nächste Jahr wird prophezeit, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die Leistung der dortigen Wasserkraftwerke haben wird – neben dem Wasser wird also auch der Strom ausbleiben.

Anders als im Colorado-Abkommen ist das Abkommen von 1944 zwischen Mexiko und den USA bezüglich des Wassers am Rio Grande/Rio Bravo nach wie vor an eine absolute Wassermenge gebunden, die Mexiko an die USA zu liefern hätte. Hier drohte Anfang des Jahres Trump Mexiko mit gigantischen Zöllen, solle Mexiko nicht die im Vertrag festgelegte Wassermenge liefern. Der mexikanische Vorschlag, die Wassermenge an die tatsächlichen Niederschläge anzupassen, wurde abgelehnt. Die Bauern südlich des Flusses können deswegen schon heute kein Wasser aus den Zuflüssen entnehmen, um ihre Felder zu bewässern. Mexiko leidet heute schon in elf Bundesstaaten unter Wasserstress, neun weitere kämen bei moderaten Klimaveränderungen in den nächsten 20 Jahren hinzu. Die Ratingagentur S&P Global Ratings kommt in einer Prognose für Mexiko für das Jahr 2050 zu dem Ergebnis, dass dann 60 Prozent der Bevölkerung nicht mehr ausreichend mit Süßwasser versorgt werden können.

Das Grundwasser ist in den USA – anders als in den meisten übrigen Staaten der Erde – ein privates Gut. Jeder darf auf »seinem« Land Brunnen bohren, wie er will, und damit das Grundwasser anzapfen – ein erkämpftes Recht des (kapitalistischen) Bürgertums. Nur wenige Bundesstaaten haben sich die Hoheit über die Grundwassernutzung wieder erkämpft und Wasser zu einem Gemeingut erklärt. Trinkwasser ist mehrheitlich ein für Landbesitzer immer profitableres Wirtschaftsgut. Großflächige Bewässerungen in der Landwirtschaft, Abfüllanlagen für Limonaden und Mineralwässer – alles unterliegt dem kapitalistischen Verwertungsgesetz.

Der Grundwasserspiegel in weiten Teilen der USA ist in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken. Hauptverursacher ist die Landwirtschaft, deren Bedarf immer weniger aus Oberflächenwasser gedeckt werden kann. Der vor allem im Südwesten der USA absinkende Grundwasserspiegel ist auch eine wesentliche Ursache für das »Absacken« von ganzen Großstädten wie Houston, Fort Worth oder Dallas (alle Texas); in Houston gibt es Stadtgebiete, die über fünf Zentimeter pro Jahr absinken. In 80 Prozent der untersuchten Großstädte der USA geht die Bodenabsenkung auf eine übermäßige Grundwasserentnahme zurück. Durch den Wasserentzug entstehen winzige Hohlräume im Boden, die kollabieren und zum Absinken des darüberliegenden Erdreichs führen. In Texas wird das Problem zusätzlich durch das Abpumpen von Öl und Gas verschärft.

Eine Folge ist, dass immer mehr armen Menschen in den Städten der USA buchstäblich das Wasser abgedreht wird, weil sie die Wasserrechnung angesichts steigender Wasserpreise nicht bezahlen können. Bei der UN-Abstimmung im Jahr 2010, Trinkwasser zu einem Menschenrecht zu erklären, haben sich die USA der Stimme enthalten. Während etwa zwei Millionen Menschen in den USA gar keinen Zugang zu fließendem Wasser haben, können etwa 14 Millionen Haushalte (etwa elf Prozent aller 131 Millionen Haushalte in den USA) sich in ihrer Wohnung das fließende Wasser nicht mehr leisten, wie die Michigan State University in einer Untersuchung herausfand.

Auch Indien verdurstet

Der Kailash ist der heilige Berg aller Religionen im Himalaja (Hindus, Buddhisten/Lamaisten, Bön, Jainismus). Um diesen Berg entspringen vier der wichtigsten Flüsse Südasiens: der Indus, der Sutlaj (der später in den Indus mündet), der Ganges mit seinem wichtigsten Zufluss Karnali (chinesisch: Mabja Tsangpo) sowie der Brahmaputra, der hier noch Yarlung Tsangpo heißt. Etwa 600 Millionen Menschen leben in der Gangesebene, die Indien vom Westen bis in den Osten durchzieht. Die Abflussmenge des Ganges reduziert sich dramatisch: Immer weniger Wasser fließt in den Golf von Bengalen. Etwa 120 Millionen Menschen, vorwiegend am Unterlauf des Flusses, waren in den vergangenen Jahren unmittelbar betroffen.

Indien ist weltweit der größte Nutzer von Grundwasser. Das Land verfügt bei 18 Prozent der Weltbevölkerung nur über vier Prozent der weltweiten Wasservorräte. Auf der 2,7 Millionen Quadratkilometer großen Tiefebene des Ganges verschwinden jährlich um die 54 Kubikkilometer Grundwasser – das meiste durch das Abpumpen des Grundwassers und das Bewässern landwirtschaftlicher Flächen. Dies entspricht einer Niederschlagsmenge von 200 Millimetern auf diesem Gebiet, was in etwa dem dortigen Gesamtniederschlag von Oktober bis Juni und einem knappen Viertel des Jahresniederschlags entspricht. Selbst der Monsunregen im Sommer kann die in Hunderten von Jahren angesammelten Grundwasservorkommen nicht wieder auffüllen. Auch in anderen Regionen Indiens ist das Wasser knapp, so im Hightechzentrum Bangaluru, wo sich der Preis für Trinkwasser 2024 in wenigen Monaten um das Drei- bis Vierfache erhöht hat. Im März 2024 wurde für Bangaluru ein tägliches Wasserdefizit von 500 Millionen Litern, das sind 20 Prozent des Gesamtbedarfs, berichtet.

Auch vor diesem Hintergrund ist der Konflikt zwischen Pakistan und Indien zu sehen. Im August 2025 sind bei Überschwemmungen der Flüsse Ravi, Sutlej und Chenab im pakistanischen Punjab über 1.400 Dörfer betroffen worden und über 500 Menschen ums Leben gekommen. Im indischen Teil Kaschmirs war vor allem die Stadt Srinagar betroffen. Auslöser war erneut der Regen im Sommermonsun, der diese Flüsse über die Ufer treten ließ.

Angesichts der Katastrophe warf Pakistan der indischen Regierung vor, nicht rechtzeitig vor der Öffnung der Überlaufeinrichtungen von Stauseen im indischen Teil Kaschmirs gewarnt zu haben. Mehr noch: Indien habe absichtlich große Mengen von Wasser aus diesen Stauseen abgelassen, dies käme einer Wasseraggression gleich. Indien wies dies zurück und erklärte, dies sei zum Schutz der Staumauern und Kraftwerke geschehen.

In vielen Fällen dienen Stauseen auch als Pufferspeicher, die in wasserreichen Perioden gefüllt werden, um in darauffolgenden Trockenperioden Wasser wieder abgeben zu können. So dient der Edersee in Nordhessen dazu, den Pegel der Weser auf einem Niveau zu halten, das die Schiffahrt auf diesem Fluss ganzjährig möglich macht. Einer der weltweit größten dieser Speicher ist der Nassersee am Nil zwischen dem Sudan und Ägypten. Er wird durch die Wassermassen des Blauen Nils in der äthiopischen Regenzeit gefüllt und gibt gleichmäßig Wasser nach unten ab, so dass in Ägypten bis zu drei Ernten im Jahr möglich sind.

Dieses Auf und Ab der Pegel der Seen hängt von mehreren Faktoren ab. Per Saldo müssen sich über das Jahr Zufluss- und Abflussmenge die Waage halten. Doch dieses Gleichgewicht ist fragil und führt immer wieder und zunehmend zu Konflikten. So reduzieren die Staudämme in der Türkei an Euphrat und Tigris die Wassermenge, die in den Irak fließt, erheblich, weil ein größerer Teil für die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie »abgezweigt« wird. Der Versuch, ein internationales Abkommen zwischen den Anrainern von Flusssystemen zustande zu bekommen, wurde bisher nur von den »Unterliegern« unterzeichnet (unter anderem Sudan, Ägypten, Usbekistan); die »Oberlieger« (darunter die Türkei, Äthiopien, Kirgistan) sitzen noch nicht mit »im Boot«.

Angesichts des Klimawandels kommt speziell in Kaschmir und Punjab noch hinzu, dass hier immer wieder durch Starkregen Niederschläge in bisher nicht gekannten Mengen niedergehen. Hinzu kommt, dass durch den Temperaturanstieg auch im Himalaja der Niederschlag immer weniger als Schnee fällt, der dann in Form von Gletschern einen natürlichen Puffer bilden könnte. So war vor einigen Jahren Pakistan im Süden – eigentlich eine Wüste – vollständig überschwemmt. Durch die immer häufiger einsetzenden Starkregenereignisse des Monsuns füllen sich die Stauseen im Norden über das berechnete Maximalmaß hinaus und drohen, überzulaufen.

Wasserdiebstahl

Nach zehnjährigen zähen Verhandlungen hatte Pakistan im Indus-Wasservertrag von 1960 das (fast) alleinige Nutzungsrecht für die drei westlichen und besonders wasserreichen Flüsse Indus, Jhelam und Chenab zugesprochen bekommen, während Indien die Nutzungsrechte der drei östlichen Flüsse Ravi, Beas und Satluj bekam. Indien konnte an den Flüssen, deren Wasser Pakistan zugesprochen wurde, Staudämme und Wasserkraftwerke errichten. Darüber hinaus erhielt Pakistan Kompensationen für das Wasser der drei östlichen, nun von Indien genutzten Flüsse. Der Indus-Wasservertrag wurde bis zu diesem Jahr von beiden Seiten respektiert und betraf auch das zwischen beiden Staaten umstrittene Gebiet Kaschmir. Nach dem Anschlag auf Touristen in Kaschmir hat Indien diesen Vertrag ausgesetzt.

Aktuell reaktiviert Indien nun ein altes Projekt, das seine Kontrolle über die Wasser der westlichen, Pakistan zugesprochenen Flüsse verbessern soll: das Tulbul-Projekt, das im wesentlichen aus einem Staudamm am Abfluss des größten indischen Süßwassersees, dem Wularsee, besteht. Über diesen Staudamm könnte – so der Vorwurf Pakistans – durch Anhebung des Wasserspiegels neben dem Wasser des durch den Wularsee fließenden Jhelam (er wurde Indien zugesprochen) auch Wasser des Chenab (wurde Pakistan zugesprochen) über einen Kanal weiter in die Provinz Radschastan zur Bewässerung der dortigen Wüste Thar umgeleitet werden. Dieses Projekt war wegen Widerspruchs zum Indus-Wasservertrag vor Jahren ausgesetzt worden.

Im Osten protestiert Indien gegen die chinesischen Pläne, das Wasser des Yarlung Tsangpo (indisch: Brahmaputra) durch eine Serie von Staudämmen für die Stromgewinnung nutzbar zu machen. Der größte dieser Dämme des Nyingchi-Projekts soll einmal ein Kraftwerk mit Wasser versorgen, das mit 300 Milliarden Kilowattstunden (300 Terawattstunden) Strom drei Prozent des heutigen jährlichen chinesischen Strombedarfs liefern soll. Dabei nutzt die VR China die Tatsache, dass das Wasser des Yarlung Tsangpo hier auf einer relativ kurzen Strecke mehrere tausend Höhenmeter in die Tiefe stürzt und damit weltweit die größte Fallenergie besitzt. Die Schlucht des Tsangpo ist insgesamt tiefer und länger als der Grand Canyon in den USA. Die Wassermenge, die in dem Stausee aufgestaut werden soll, ist gemessen an der geplanten Leistung des Kraftwerks relativ gering. Wie schon beim Drei-Schluchten-Damm am Jangtsekiang besteht auch hier nach Ansicht von Geowissenschaftlern die Gefahr, dass durch den Stausee die tektonische Instabilität des Gebiets erhöht wird und einen Bruch des Stausees bewirken könnte.

Tatsächlich argumentiert Indien gegen das chinesische Projekt hier ganz ähnlich wie Pakistan im Westen gegen das indische Vorgehen: China könne wahlweise durch Öffnen der Staudämme eine Aggression mit Überflutungen durchführen und die Bundesstaaten Arunachal Pradesh und Assam sowie das Delta des Brahmaputra überschwemmen oder auch das Wasser des Yarlang in wasserarme Regionen umleiten und so die in Indien und Bangladesch nutzbare Menge reduzieren.

Mit Ausnahme lokaler Kämpfe um Wassernutzungsrechte hat es bewaffnete Konflikte zwischen Staaten um Wasser bisher noch nicht gegeben. Dennoch gibt es einen weltweiten Verteilungskampf, in dem einerseits die »Oberlieger« ihren Zugriff auf die Ressource steigern und so den »Unterliegern« Wasser entziehen, andererseits die reichen Staaten des globalen Nordens einen relativ großen Anteil ihres Wasserbedarfs wesentlich durch Nahrungsproduktion in (wasser)armen Ländern des Südens decken. Alle bisher vorgeschlagenen Verfahren zur Lösung des Wasserproblems wie die Meerwasserentsalzung, die Reduzierung von Wasserverlusten in Versorgungsleitungen oder die mehrfache Nutzung des Wassers durch Wiederaufbereitung sind der berühmte Tropfen auf den heißen Stein und werden für die Mehrheit der Weltbevölkerung das Problem des Zugangs zu Trinkwasser nicht lösen.

Eike Andreas Seidel schrieb an dieser Stelle zuletzt am 10. November 2022 über Wasserprobleme in Zentral- und Südasien: »Aus dem Gleichgewicht geraten«

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    Es darf einem durchaus die Sprache verschlagen, wenn man diese nüchterne Analyse liest, wie zugespitzt die Situation bei unserem wichtigsten Lebensmittel, dem Wasser, weltweit bereits ist. Dass sie ein Pulverfass im wahrsten Sinne des Wortes ist, das jederzeit hochgehen kann, hat der unlängst stattgefundene Konflikt zwischen Indien und Pakistan mehr als deutlich gezeigt. Auch am Nil droht das Säbelrasseln jederzeit in einen aktiven Krieg münden zu können. Im Artikel »Bis zum Wärmetod der Erde« zwei Seiten weiter wird eindringlich beschrieben, was der Menschheit und unserem so sehr verletzlichen blauen Planeten damit für irreversibler Schaden angetan würde. Immer deutlicher tritt hervor, dass die Widersprüche, die unsere Welt zu zerfetzen drohen, bereits ins Unermessliche gewachsen sind. Und eines ist klar: Die Gesellschaft, die für diese Zuspitzung verantwortlich ist, wird diese Widersprüche nicht lösen. Sie ist nur noch fähig, uns alle um ihres kurzfristigen Vorteils willen mit in den Abgrund zu reißen. Es ist wichtiger denn je, uns über eine gesellschaftliche Alternative zu verständigen. Wir müssen sie bald finden, bei Strafe unseres Untergangs!

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

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