Der Gang vor die Hunde

»Mein Name ist Langelinck – und ich warte auf niemanden«, sagt der Kunstführer mit dem Dreitagebart, zu großer Brille und den ausgelatschten Wildlederschuhen. »Und wenn ich einen oder eine von euch dabei erwische, wie Sie mit dem Endgerät vor meinem Gesicht herumfuchteln – hier ist die Tür!«
Ohne sich umzudrehen, läuft Joseph Langelinck los und bleibt vor einem Altar aus dem 17. Jahrhundert stehen. Eine Besuchergruppe folgt dem griesgrämigen Kunstvermittler durch die Säle des Düsseldorfer Kunstpalasts und hält sich lieber auf Abstand. Denn jeder und jede kann in der folgenden Stunde zur Zielscheibe des Spotts und der Beleidigungen Langelincks werden.
Der »Grumpy Guide« Joseph Langelinck, der in Wirklichkeit Carl Brandi heißt, ist ein Riesenerfolg im Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Die Führungen des 33jährigen Performancekünstlers sind auf Wochen ausgebucht, Sondertouren werden angesetzt – nur damit sich die Besucher mal so richtig beschimpfen und demütigen lassen können.
Ein Teilnehmer erkennt den Erzengel Michael auf einem Bild auf der Rückseite des Altars. »Es hat ja nur eine Aufforderung gebraucht«, mokiert sich der missgelaunte Guide. »Wenn das für Sie so einfach war, dann sagen Sie mir doch auch, wofür in der Mode des 16. Jahrhunderts ein solcher Scheinärmel stand.« Scheinärmel? Da muss die Gruppe passen. »Da hört es dann also schon wieder auf«, höhnt Langelinck. Und schüttelt den Kopf über die Ahnungslosigkeit seiner Zuhörer, die nicht wissen, dass ein Scheinärmel ein Zeichen des Überflusses und des Adels war. Langelinck zeigt auf eine Frau mit einer Schlange an der Brust. »Sind Sie wirklich so uninformiert?« fragt er in die Runde, um dann triumphierend auszurufen: »Kleopatra«. Die letzte ägyptische Pharaonin soll sich mit dem Biss einer Schlange das Leben genommen haben.
Im Schnelldurchlauf eilt der Guide durch die Jahrhunderte, lässt Rubens links liegen und verliert sich in der Linienführung eines Bildes über die große Pest. Trotz allem Geschimpfe vermittelt er dabei fundiertes kunsthistorisches Wissen, um sich gleichzeitig über die Unfähigkeit und Eigenmächtigkeit der Kuratoren bei der Hängung der Werke auszulassen. In der Abteilung Moderne echauffiert sich Langelinck über die zahlreichen Stühle, die dort ausgestellt werden, läutet dröhnend eine Glocke, um die Gruppe aufzuwecken und höhnt: »Haben Sie das Gehirn eines Hamsters?«
Der Kunstpalast zeigt neben hoher Kunst aus seiner Sammlung auch Alltags- und Designobjekte. Vorbei an einem Gemälde von Max Beckmann stoppt er vor einem VW Käfer: »Typische deutsche Selbstüberschätzung«. Langelincks Fazit, als er auf Birkenstock-Schlappen neben einem Immendorff weist: »Wenn man Kunst neben Trödel hängt, wird der Trödel nicht zu Kunst, sondern Kunst zu Trödel.« Am Ende gibt er seiner Gruppe noch (einen) mit. »Behelligen Sie mich bitte nie wieder. Wir sind hier fertig.« Alle applaudieren.
Die Anregung zum »Grumpy Guide« kam nach Angaben von Kunstpalast-Direktor Felix Krämer aus der australischen Gastroszene, wo Restaurants mit unfreundlichen Kellnern erfolgreich seien. Dass das erstmals ins Museum übertragene Schlechte-Laune-Konzept so gut ankomme, liege wohl an der Kunstbranche selbst. Diese neige ja dazu, alles immer sehr ernst zu nehmen. »Man kann sich auch darüber lustig machen, und deswegen fällt kein Bild von der Wand«, so Krämer.
Der Kunstpalast hat Carl Brandi bei einem E-Sport-Event entdeckt. Der Performancekünstler, der an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat, entwickelte die Figur des »Grumpy Guide« selbst. »Langelinck ist ein frustrierter Kunsthistoriker, der davon überzeugt ist, selbst von den Gründern der alten Düsseldorfer Gemäldegalerie abzustammen und nach seiner Rückkehr hier in die Stadt vorgefunden hat, dass aus seinem persönlichen Empfinden dieses ganze Haus vollständig vor die Hunde gegangen ist«, sagt Brandi. »So eine Karikatur einer autoritären Person kann einem, glaube ich, viel von der Schärfe der autoritären Personen nehmen, mit denen man im Alltag zwangsmäßig zu tun hat.« (dpa/jW)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim Seider aus Berlin (7. Juli 2025 um 06:44 Uhr)Wieder ein treffender Beweis dessen, dass der Kapitalismus der Endzeit eine völlig kulturlose Gesellschaft geworden ist. Man ergötzt sich inzwischen vor allem daran, dass man alle Regeln gesellschaftlichen Anstands mit Füßen treten darf: In Zeitungen, in der Werbung, im Fernsehen und im Internet. Nun auch noch in der australischen Gastronomie und nachfolgend in der Düsseldorfer Kunsthalle. Die Richtung des Ganzen ist gut zu erkennen: Verdorbenes stinkt meistens schon eine Weile vor sich hin, bevor man richtig darauf aufmerksam wird. Um es schließlich zu entsorgen, weil nunmehr ganz sicher ist, dass es wirklich endgültig vor die Hunde gegangen ist.
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