»Morbus Israel« und die Folgen
Von Peter Merg
Es war der kulturpolitische Aufreger des Wochenendes: Maxim Biller polemisiert in der Zeit gegen den »Morbus Israel« der Deutschen – und seine Kolumne wird nachträglich online »depubliziert«. Mit diesem, bislang wenig geläufigen Begriff, der wahrscheinlich das pejorative »canceln« oder nüchterne »löschen« vermeiden sollte, beschrieb das Hamburger Wochenblatt der halbgebildeten Stände, dass der Redaktion nachträglich so unwohl mit der Kolumne war, dass man sie lieber nicht gedruckt hätte. In einem Hinweis schrieb die Zeitung schon am Donnerstag, dem Tag des Erscheinens des Textes in der aktuellen Ausgabe: »Der (…) Beitrag enthielt mehrere Formulierungen, die nicht den Standards der Zeit entsprechen. Unsere aufwendige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen.«
Dabei hatte Biller nur geschrieben, was Biller eben so schreibt. Berühmt geworden für seine Kolumne »100 Zeilen Hass« in Tempo, verbreitet er in »Über den Linden« in der Zeit für gewöhnlich schwer ernstzunehmende Thesen wie die, dass sich der Marxismus aus dem angeblichen Antisemitismus von Karl Marx speise. Auch Angriffe ad hominem sind seine Spezialität, wenn er etwa dem linken Publizisten Max Czollek das Recht abspricht, sich ernsthaft über jüdische Themen zu äußern, da dieser nur patrilinear Jude sei, also nach Altvätersitte gar nicht.
Dieser Maxim Biller nun erklärt sich die in Deutschland lauter werdende Kritik an Iran- und Gazakrieg mit einer dem Text seinen Titel gebenden Krankheit – mit dem »ewige(n) Opa und willige(n) Wehrmachtsspieß«, der noch in den »Täterenkeln« stecke. So lässt sich ein Shitstorm provozieren, und ein Schelm wäre, wer das nicht für Absicht hielte. Der populäre ZDF-Chefplauderer Markus Lanz beispielsweise geht laut Biller bei Gesprächen über Israel in »eine raubtierhafte Angriffshocke« und sei wie von einem Geist davon besessen, »die Israelis als mittelalterliche Kindermörder und moderne Kriegsverbrecher zu überführen«. Auch in Talkshowgästen wie »Tilo Jung, Ralf Stegner, Kai Ambos, Kerstin Hellberg (sic)« und Vertretern von Amnesty International erkennt Biller »leicht entflammbare Islamversteher«, die er auf einem »pathologischen, psychisch bestimmt sehr belastenden Anti-Israel-Horrortrip« wähnt. Freitag-Verleger Jakob Augstein sei dagegen sauer, weil »es seinen rachitischen, hochgebildeten Idealjuden nicht mehr gibt, der höflich vor der für ihn vorbereiteten Gaskammer ansteht. Oder sich von den iranischen Revolutionsgarden in Atomstaub verwandeln lässt.«
Wirklich Probleme hatte die Zeit aber mit zwei anderen Stellen, wie die Sprecherin der Zeit-Verlagsgruppe, Silvie Rundel, am Wochenende gegenüber der Jüdischen Allgemeinen erklärte. Nämlich mit einem Halbsatz, in dem Biller erklärt, die »Hungerblockade von Gaza« sei »strategisch richtig, aber unmenschlich«. Sowie mit dem Witz, welcher den Beitrag beschließt: Ein israelischer Soldat erklärt nach einem Gazaeinsatz seinem Arzt, er habe genug davon, auf Araber zu schießen. Er könne natürlich damit aufhören, sagt dieser, »aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.«
Diese Passagen seien »nicht vertretbar«, weshalb man den ganzen Beitrag habe löschen müssen, so Sprecherin Rundel: »Wir hatten das Gefühl, dass die Streichung der Passagen alleine nicht ausreichend gewesen wäre und einen komplizierten Umbau des Textes nötig gemacht hätten, der so nur vor Veröffentlichung möglich gewesen wäre.« Biller habe sich freilich keine Vorwürfe zu machen – der Ablauf der Ereignisse sei ganz und gar dem Versagen der Redaktion geschuldet.
So weit, so unglaubwürdig. Wahrscheinlich ging den Entscheidungsträgern in Hamburg nur zu langsam auf, welche menschenverachtende Konsequenzen eine solche bedingungslose Vorwärtsverteidigung der israelischen Regierungspolitik zeitigt. Nicht, dass die Geschichte nicht voller Beispiele »strategisch richtiger, aber unmenschlicher« Entscheidungen wäre. Man denke nur an Molotow und Ribbentrop. Nur wäre in Billers Fall das einzige strategische Kalkül, in dessen Sinne die Hungerblockade richtig sein könnte, das, Gaza frei von Palästinensern zu machen. Was, nota bene, das Kalkül der israelischen Rechtsaußenregierung zu sein scheint, die bei ihren Kriegen noch immer auf deutsche Waffenlieferungen bauen kann. Auch sein zynischer Witz hat eine böse Wahrheit: Haben die israelischen Verbrechen doch zweifelsohne dafür gesorgt, dass die Israelis auf lange Zeit nicht in Frieden werden leben können.
Eine solche Kolumne aus dem Netz zu nehmen ist nicht nur »hilflos und unsouverän«, wie jetzt der selbst nicht eben antizionistische Sprecher des PEN Berlin, Deniz Yücel, korrekt kritisiert. Es ist vor allem verlogen. Es scheint, Biller ist ehrlicher, als die Zeit ertragen kann.
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