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Aus: Ausgabe vom 30.06.2025, Seite 2 / Ausland
Krieg gegen Islamische Republik

»Weder Iran noch Israel sollten Atommacht sein«

Iran: US-Angriff auf nukleartechnische Anlagen stärkt Kräfte im Land, die nach atomarer Bewaffnung rufen. Ein Gespräch mit Mohssen Massarrat
Interview: Jakob Reimann
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Auch im Iran bombardierte die israelische Luftwaffe zivile Einrichtungen bis hin zu Krankenwagen (23.6.2025)

US-Präsident Donald Trump hat in der vergangenen Woche überraschend einen Waffenstillstand zwischen Israel und Iran ausgerufen. Wie blicken Sie auf das proklamierte Ende des »12-Tage-Kriegs«?

Trump und (Israels Premierminister, jW) Netanjahu haben in den zwölf Tagen und auch grundsätzlich bewiesen, dass ihnen niemand vertrauen kann. Sie folgen ausschließlich der Logik ihrer militärischen Macht. Ich wünsche mir, dass die iranische Regierung der Gegenseite keinen Vorwand für weitere Eskalation liefert. Die Menschen im Iran haben nun Ruhe verdient.

Israel tötete Dutzende Zivilisten, verletzte Tausende, und doch behaupten Tel Aviv und westliche Regierungen weiterhin, es handle sich um »Selbstverteidigung«. Warum kam dieser Krieg ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt?

Experten behaupten, der Iran hätte wenige Wochen vor der Herstellung der Atombombe gestanden, was wiederum viele bezweifeln. Ich gehe jedoch von der Einschätzung Netanjahus aus, Iran sei gegenwärtig ohne seine verbündeten Akteure in der Region militärisch und politisch so schwach wie nie zuvor. Wenn man den Ablauf genau betrachtet, wurde der israelische Angriffskrieg, der ohne Wenn und Aber völkerrechtswidrig war und bleibt, minutiös durch Israel und das Pentagon vorbereitet, und sogar die Internationale Atomenergie-Organisation, kurz IAEA, wurde für die Rechtfertigung des Krieges instrumentalisiert: Der Generaldirektor der IAEA, Raffael Grossi, hat einen Tag vor dem Überfall, mehrere zweifelhafte Argumente gegen den Iran geliefert.

Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 haben die USA iranisches Staatsgebiet direkt bombardiert. Was bedeutet diese Zäsur?

Trumps Überfall auf die Atomanlagen mit den B2-Bombern ist ein Krieg gegen das Völkerrecht und wegen der Gefahren für Leib und Leben der Menschen in der Region ein No-Go – nach der Genfer Konvention grundsätzlich verboten. Wenn es einen Grund gäbe, gegen Atomwaffen im Mittleren Osten vorzugehen, dann sollte das Atomarsenal Israels zuallererst auf die Tagesordnung gerückt werden. Doch Trump und sämtliche Verbündete der USA, einschließlich der Bundesregierung, halten Israels Atomwaffen für eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist gerade dieses Monopol Israels im Mittleren Osten die Hauptursache für das atomare Wettrüsten in der Region. Kein Staat dort sollte eine Atommacht sein, weder Iran noch Israel.

Was bedeutet dieser Krieg für die iranische Bevölkerung?

Trumps Aufforderung an die gesamte Bevölkerung in Teheran, die Hauptstadt zu verlassen, sollte bewusst Chaos erzeugen. Das war ein Akt des Staatsterrorismus und muss juristisch vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag geahndet werden. Millionen von Menschen traten die Flucht an, zumeist in Richtung Kaspisches Meer. Es sind mehr als tausend Menschen als Folge israelischer Raketenangriffe ums Leben gekommen. Die Zahl der Verletzten geht in mehrere Tausende.

Netanjahu hat in seiner Rede an das iranische Volk den Slogan »Jin, Jiyan, Azadi!« bemüht, um die Bomben auf Teheran zu rechtfertigen.

Er ist ein Kriegsverbrecher und wird des Völkermords bezichtigt. Er ist alles andere als ein Unterstützer der iranischen Freiheitsbewegung. Bomben auf die Menschen zu werfen und zu behaupten, sie so schützen zu wollen, ist ein Zynismus, der seinesgleichen sucht.

»Regime-Change« wurde von Israel und den USA offen als Ziel benannt. Ist die Führung in Teheran gestärkt oder geschwächt?

Militärisch ist die Regierung geschwächt. Andererseits ist ihre soziale Basis psychisch und moralisch stärker geworden. Der militärische Flügel wird nun voraussichtlich die Führung zum Bau einer Atombombe drängen. Sie werden sagen: Hätte Iran bereits die Bombe gehabt, wäre ihm diese Katastrophe erspart geblieben. Die Bombardierung hat dem Iran viele Argumente geliefert, zu einer Atommacht aufsteigen zu wollen. Das nukleare Wettrüsten im Mittleren Osten wird auch in Zukunft neue Konflikte heraufbeschwören und das Leben der Menschen in der Region immer wieder beeinträchtigen. Deshalb muss jetzt eine Beendigung des Wettrüstens – zunächst die Abschaffung der israelischen Atomwaffen – auf der internationalen Tagesordnung stehen.

Mohssen Massarrat ist emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Osnabrück

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