»Die Regierung hat ein Klima der Angst geschaffen«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Sie sind nach Budapest gereist, um an der polizeilich verbotenen Pride-Demonstration teilzunehmen. Was ist der Hintergrund Ihrer Reise?
Meine Teilnahme an der Budapest Pride ist ein Ausdruck der Solidarität mit der ungarischen LGBTQ-Community und allen Menschen, die sich dort mutig für Gleichberechtigung, soziale Verbesserungen und demokratische Grundrechte einsetzen. Gerade in einem Land, in dem queer lebende Menschen systematisch diskriminiert werden, ist es wichtig, internationale Sichtbarkeit zu schaffen. Grundrechte dürfen nicht verhandelbar sein – weder in Budapest noch anderswo. Als Abgeordnete der Linken ist es mir ein persönliches und politisches Anliegen, an der Seite dieser Bewegung zu stehen.
Der liberale Bürgermeister hat die Versammlung zu einer städtischen erklärt. Die Polizei hält aber am Verbot fest.
Das Verbot der Demonstration ist ein Skandal, aber sie wird trotzdem stattfinden, das haben die queeren Communitys deutlich gemacht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Auseinandersetzungen mit der Polizei in der New Yorker Christopher Street 1969 ein wichtiges Signal für die queere Emanzipationsbewegung waren und wir alljährlich daran erinnern, wie wichtig Widerstand trotz Unterdrückung und Repressionen ist.
Wie begründet die Polizeibehörde das Versammlungsverbot?
Im März hat Ungarn ein Gesetz beschlossen, das Versammlungen verbietet, die »für die Abweichung von der Identität des Geburtsgeschlechts, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität werben oder diese darstellen«. Dieses Gesetz muss bekämpft werden. Interessant ist, dass ungarische Regierungspolitiker einerseits gegenüber der EU immer wieder versuchen, dieses Verbot kleinzureden, weil Ungarn sich ja dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt sieht, und andererseits in Ungarn sehr aggressiv für das Gesetz werben. Auch vor diesem Hintergrund ist die Präsenz von EU-Abgeordneten – aus der Fraktion The Left sind wir neun – wichtig.
Wie ist es aus Ihrer Sicht generell um die Versammlungsfreiheit in Ungarn bestellt?
Die Lage ist ernst. Die ungarische Regierung hat in den vergangenen Jahren gezielt ein Klima der Angst geschaffen. Queere Organisationen werden diffamiert, ihre Veranstaltungen werden behindert oder ganz verboten. Auch andere zivilgesellschaftliche Gruppen – etwa feministische Kollektive, antirassistische Initiativen, Gewerkschaften oder Umweltbewegungen – spüren den enormen Druck. NGOs sehen sich mit absurden bürokratischen Auflagen konfrontiert, staatliche Förderungen werden gestrichen, kritische Stimmen kriminalisiert. Die Versammlungsfreiheit – ein fundamentales demokratisches Recht – wird damit systematisch ausgehöhlt. Dazu haben wir in Budapest auch viele Gesprächstermine mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Initiativen. Neu ist, dass die Polizei nun auch bei Ordnungswidrigkeiten bei Versammlungen umfangreich mit Gesichtserkennungstechnik arbeiten darf. Das trifft heute Queers, morgen dann Gewerkschaften.
In Budapest marschieren jährlich Faschisten zum »Tag der Ehre« auf. Rechnen Sie an diesem Wochenende mit Provokationen und Angriffen durch Neonazis?
Die Erfahrung zeigt, dass rechtsextreme Gruppierungen wie die »Légió Hungária« oder andere neonazistische Netzwerke gezielt versuchen, Pride-Veranstaltungen zu stören oder sogar zu attackieren. In Ungarn gibt es eine beunruhigende Ignoranz gegenüber solchen Akteuren – sowohl in Teilen der Gesellschaft als auch in staatlichen Institutionen.
Für das Wochenende sind vier rechte Aufmärsche angemeldet – und nicht verboten. Um so wichtiger ist es, dass wir hinschauen und präsent sind. Die Anwesenheit internationaler Gäste – aus der Linke-Bundestagsfraktion kommen auch sieben Abgeordnete – soll ein klares Signal senden: Wir lassen nicht zu, dass Hass und Gewalt den öffentlichen Raum bestimmen. Die Straßen gehören nicht den Nazis, sondern denjenigen, die für Emanzipation und Gerechtigkeit einstehen.
Özlem Demirel (Die Linke) ist Abgeordnete im EU-Parlament und Mitglied einer Delegation, die in Budapest an diesem Wochenende an einer verbotenen LGBTQ-Demonstration teilnehmen möchte
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