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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 4 / Inland
Krise der Sozialdemokratie

Wende ohne Wandel

SPD-Bundesparteitag diskutiert Wahlschlappe, Friedensmanifest und Personalien
Von Niki Uhlmann
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Lars Klingbeil, Bärbel Bas, Saskia Esken, Katarina Barley und Tim Klüssendorf (v. l. n. r.) am Freitag in Berlin

Mag die SPD bundesweit nur noch 15 Prozent des Wahlvolks für sich begeistern und damit noch mal schlechter dastehen als zur Bundestagswahl, ist der Zweckoptimismus der Sozialdemokratie doch ungebrochen. »Veränderung beginnt mit uns«, lautet das Motto des Bundesparteitags, den sie von Freitag bis Sonntag in Berlin abhält. Verändern soll sich dabei vor allem die Partei selbst. Ein neues Grundsatzprogramm soll her, dazu ein neuer Vorstand, der den Laden wieder auf Kurs bringt.

»Die SPD hat substantiell Vertrauen verloren«, erklärt der Leitantrag des Parteivorstands die »schmerzhafte Niederlage« bei der letzten Wahl. Insbesondere hätten sich die arbeitende Bevölkerung und junge Menschen abgewendet. »Progressive Politik« sei stets »auf den erbitterten Widerstand organisierter Kapitalinteressen« gestoßen. Dass die SPD diese Interessen jahrelang aus der Regierung heraus vertreten hat, wird freilich unterschlagen. Als Nebelkerze kann somit begriffen werden, dass die Sozialdemokratie ihre »Krise als Wendepunkt« begreift, wie es im Antrag weiter heißt, zumal letzterer die »konstruktive Begleitung« der Regierung vorsieht. Treffend wird analysiert: »Diese Antwort klingt, wie unsere Antworten seit Jahren klingen.« Von »tiefgreifender Erneuerung« fehlt jede Spur.

Es gehe »darum, dass wir unseren Platz als Volkspartei in Deutschland behaupten und wieder ausbauen«, schmetterte Stephan Weil, Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion, in seiner Eröffnungsrede am Freitag und erntete dafür Applaus. Mit einem ausführlichen Loblied auf die Demokratie leitete Weil eine Beschimpfung Putins als »völkischen« Imperialisten ein – Demokratie versus Autokratie lautet das außenpolitische Dogma.

Für die nötige Regierungstreue in der Parteispitze wird der bisherige Vorsitzende und Finanzminister Lars Klingbeil sorgen. Seine Wiederwahl gilt als gesichert. Wessen Interessen er vertritt, hat er diese Woche mit milliardenschweren Steuerentlastungen für das deutsche Kapital bewiesen. Für die Wahlschlappe übernahm er »persönliche Verantwortung«. Als Nachfolgerin Saskia Eskens und mögliches Gegengewicht in der Doppelspitze wird die amtierende Arbeitsministerin Bärbel Bas gehandelt. Immerhin verweist sie gern darauf, ein »Duisburger Arbeiterkind« zu sein, und ist kurz vor dem Parteitag mit einem Reformvorschlag für das marode Rentensystem vorgeprescht. Letzterer wurde zwar von Kapitalverbänden kritisiert, vom DGB aber als unzureichend bewertet. Ob die Lohnabhängigen diese Drehung am Personalkarussell goutieren werden, bleibt abzuwarten.

Mit Blick auf die davongelaufenen jungen Menschen kritisierte Juso-Chef Philipp Türmer die Wehrpflichtpläne seines Genossen Boris Pistorius, derzeit Verteidigungsminister. »Die Wehrpflicht greift zu stark in das Leben junger Menschen ein, mit einem dabei mehr als ungewissen Nutzen«, mahnte Türmer am Donnerstag gegenüber T-online. Ziel des zugehörigen Antrags der SPD-Jugend sei demnach, dass der Parteitag »die ablehnende Position der SPD« zur Wehrpflicht bekräftige. Pistorius konterte via dpa am Freitag, dass er die »Forderungen aus der Union, die möglichst schnell auf die Wehrpflicht umstellen will«, nicht teile, die Wehrpflicht für ihn »nur letztes Mittel« sei. Noch fehlten ohnehin Kasernen und Übungsplätze. Am Vorabend zeigte er sich in der ARD in bezug auf das Friedensmanifest beruhigt. Dessen Kritik widerspreche dem Koalitionsvertrag, über den die SPD-Basis bereits abgestimmt habe.

Auch die Union hat noch Ansprüche an ihren Juniorpartner herangetragen. Der erste parlamentarische Geschäftsführer ihrer Bundestagsfraktion, Steffen Bilger (CDU), wünschte sich am Donnerstag in der Rheinischen Post eine SPD, die sich »inhaltlich und personell sortiert« und einen »klaren Kurs vor allem auch in der Außen- und Sicherheitspolitik« einschlägt. Dass sie »ihre Rolle in der Ampelregierung sehr selbstkritisch aufarbeiten« wolle, lobte Bilger. Möglicherweise hofft er, was einige Sozialdemokraten befürchten, dass die SPD weiter nach rechts rückt.

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