Der Feind im Inneren
Von Max Grigutsch
Mit seiner Berichterstattung über Palästina säe er »ethnische, politische und religiöse Zwietracht« und leiste so den »destabilisierenden Aktivitäten Russlands« Beihilfe. Was einem Logiker als ein Non sequitur (»es folgt nicht«) vorkommen könnte, ist der offizielle Vorwurf gegen Hüseyin Doğru. Er ist einer von drei deutschen Journalisten, die von »restriktiven Maßnahmen« im Rahmen des 17. Sanktionspakets der Europäischen Union gegen Russland betroffen sind.
Wie man erfährt, dass man sanktioniert wird, erklärte Doğru am Dienstag gegenüber junge Welt: »Ich wurde überhaupt nicht benachrichtigt.« Doğru ist der Gründer des in Liquidation befindlichen linken Projekts Red Media und steht seit dem 20. Mai auf der Sanktionsliste. Erst am 22. Mai wurde eine amtliche Benachrichtigung an eine Firmenadresse in der Türkei abgeschickt. Dort angekommen ist sie rund eine Woche später. Bemerkt habe der in Berlin lebende Medienschaffende die Einschränkungen in seinem Alltag: »Die Bankkarten funktionieren nicht mehr, dann stehst du ohne Bargeld da.« Seine schwangere Frau habe versucht, Medikamente in der Apotheke zu kaufen, »und auf einmal ging auch ihre Karte nicht«, sagt Doğru. »Meine Frau ist weder auf der Sanktionsliste noch hat sie irgendwas damit zu tun.« Die für die Umsetzung von Finanzsanktionen verantwortliche Deutsche Bundesbank habe die Sperrung auf Nachfrage als Fehler bezeichnet – freigegeben war das Konto, Stand Freitag, aber noch nicht.
Die entsprechende Durchführungsverordnung des Rates der EU soll gegen die als Hauptfeind der »europäischen Freiheit« benannte Russische Föderation vorgehen. Moskau verfolge zunehmend »hybride Aktivitäten«, darunter »ausländische Informationsmanipulation und Einflussnahme, Desinformation, böswillige Cyberaktivitäten«, heißt es in einem Beschluss von Anfang Oktober 2024. Russland habe seine derartige Kampagne »auf europäischem Boden intensiviert«. Sanktionen wurden verhängt gegen »Personen, Organisationen oder Einrichtungen (…) die für Handlungen oder politische Maßnahmen der Regierung der Russischen Föderation, die die Grundwerte der Union und ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und Unversehrtheit (…) untergraben oder bedrohen, verantwortlich sind, diese umsetzen oder unterstützen«. Demnach kann gelistet werden, wer sich »unmittelbar oder mittelbar« an gewaltsamen Demonstrationen beteiligt, diese unterstützt oder »anderweitig« erleichtert. Gleiches gilt für die Beteiligung, Unterstützung oder Erleichterung von »koordinierter Informationsmanipulation und Einflussnahme«.
Dass Journalisten über Protestbewegungen berichten und Sachverhalte kritisch einordnen, sollte für die Verteidiger der »Grundwerte der Union« keine Überraschung sein. Wegen einer Straftat verurteilt ist Doğru eigenen Angaben zufolge nicht, sanktioniert wird er trotzdem. Begründet wird das damit, dass Red »systematisch falsche Informationen über politisch kontroverse Themen« verbreite. So habe sich das Medium bei der »gewaltsamen Besetzung« einer deutschen Universität mit den »antiisraelischen Randalierern« abgesprochen, um »Bilder des Vandalismus« zu verbreiten.
Journalismus für Russland
Problematisch bleibt das Non sequitur: Was hat das überhaupt mit Russland zu tun? Inhaltlich nichts, wie aus der Darlegung der EU hervorgeht. Doğrus AFA Medya, die ebenfalls auf der Sanktionsliste genannte Betreiberfirma von Red, soll aber über »enge finanzielle und organisatorische Verbindungen« nach Moskau verfügen, so der Hauptvorwurf. Das ist nach Angaben des Journalisten nicht richtig. Früher habe er für das linke Medium Redfish gearbeitet, erklärte Doğru gegenüber jW. Das Medium sei von der Nachrichtenagentur Ruptly finanziert worden, die zum russischen Auslandssender RT gehört. Das sei Vergangenheit, aber »wenn du in Deutschland das Label ›russisch‹ hast, kriegst du das auch nicht mehr weg«, sagte Doğru.
Besonders umfassend scheint der Wissensstand der EU nicht zu sein, schließlich hält man in Brüssel den Journalisten für einen Bürger der Türkei – dabei ist er ausschließlich deutscher Staatsbürger. Und ob polizeiliche oder geheimdienstliche Informationen über etwaige Russland-Verbindungen des Journalisten vorliegen und welche Behörde Doğrus Sanktionierung angestoßen hat, konnte keine der von jW angefragten Pressestellen beantworten. Das Bundeskriminalamt verweigerte die Auskunft aus Datenschutzgründen. Pressesprecher des Landes Berlin verwiesen zunächst aufeinander und schließlich auf die Bundesregierung. Für letztere teilte das Auswärtige Amt jW am Montag mit, dass »bei der Erstellung von Beweispaketen, die die Grundlage einer Listung von Individuen und Unternehmen sind, (…) öffentlich verfügbare Quellen verwendet« würden, und verwies ebenfalls auf die nächste Instanz, die EU.
Ausführlicher lässt sich schließlich Anitta Hipper, leitende Sprecherin der EU-Kommission in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik, zitieren. »Vorschläge für die Aufnahme in die Liste können entweder von der Hohen Vertreterin« – der Estin Kaja Kallas – »oder von einem oder mehreren Mitgliedstaaten vorgelegt werden«, so Hipper am Mittwoch. Da Beratungen über neue Sanktionen vertraulich seien, könne sie »keine Informationen darüber weitergeben, wer den Vorschlag unterbreitet hat«. Außerdem werde die öffentlich einsehbare Begründung für die Sanktionen »durch Beweise untermauert«, die »nur an die gelistete Person oder ihren gesetzlichen Vertreter weitergeleitet« werden. Entgegen der Auskunft des Auswärtigen Amts bestätigte Hipper, dass »sowohl öffentlich zugängliche als auch geheime Beweise« verwendet werden können, über die sie aber keine Auskunft geben dürfe.
Akteneinsicht in die nichtöffentliche Beweisführung erhielten Doğru und seine Anwälte immerhin am Dienstag – rund einen Monat nach seiner Aufnahme in die Sanktionsliste. Fazit: Keine geheimen Beweise, sagt Doğru am Freitag. Sagen könne er vor weiterer Rücksprache mit seinen Anwälten nur, dass er noch immer nicht wisse, welche deutsche Behörde für seine Sanktionierung verantwortlich ist. Ist all das aber ausreichend, um aus dem Journalisten einen Einflussagenten Russlands zu machen?
Was nicht passt…
…wird passend gemacht. Darüber, ob es sich bei der Sanktionsbegründung um eine unzulässige Vermischung vermeintlich russischer Aktivitäten und Palästina-Solidarität handelt, möchte Ruth Firmenich, Abgeordnete des EU-Parlaments, zwar nicht spekulieren. »Dass politischer Protest vor dem Hintergrund des Ukraine- und Gazakriegs immer mehr Beschränkungen und Kriminalisierungsversuchen ausgesetzt ist, ist allerdings deutlich zu sehen«, erklärte die BSW-Politikerin am Dienstag auf Anfrage von jW. Vom Regierungskurs abweichende Meinungen würden zunehmend unter den Verdacht der Illegalität gestellt. Die EU rühme sich des Einsatzes für Pressefreiheit, aber die »Sanktionsliste wird mittlerweile auch dazu verwendet, kritische Berichterstattung zu kriminalisieren«.
Je undurchschaubarer das Zustandekommen der Liste, um so handfester deren Folgen. Unerlaubte Einreisen in EU-Staaten sind den Sanktionierten verboten. Sämtliche Gelder werden eingefroren, das heißt, für die Besitzer unzugänglich gemacht. Ein Existenzminimum muss gewährt werden, allerdings bedarf das der Genehmigung durch die Bundesbank, wie diese vergangene Woche auf Nachfrage bestätigte. »Das kann bis zu zwei Wochen dauern«, ergänzte Doğru. Durch die Maßnahmen zerstöre die EU »das Leben und die berufliche Existenz der Betroffenen« und erhoffe sich eine »abschreckende Wirkung für andere Journalisten«, kommentiert Firmenich.
Was Doğru ebenfalls verwehrt ist: eine erwerbsmäßige Anstellung als Journalist, zum Beispiel bei der Tageszeitung junge Welt. Eine entsprechende Einschätzung gab der Leiter des Referates für Sanktionsdurchsetzung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Sven Sattler, auf Anfrage von jW. Auch wenn sein Ministerium keine Rechtsberatung erteilen dürfe, gelte im Falle individueller Finanzsanktionen das sogenannte Bereitstellungsverbot, so Sattler. Dies bedeute im Grundsatz, dass der sanktionierten Person »keinerlei wirtschaftliche Vorteile mehr zugute kommen dürfen« – auch nicht im Austausch für Lohnarbeit. Und: »Ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot stellt eine Straftat dar.« Auch ein Sprecher der Generalzolldirektion bestätigte gegenüber jW das Verbot und die Strafbarkeit bei Zuwiderhandlung.
Doğru bereitet sich indes auf juristischen Widerstand vor. Alexander Gorski, einer seiner Anwälte, fand gegenüber jW am Freitag deutliche Worte: »Die Sanktionierung zeigt, wie weit die EU bereit ist zu gehen, um kritische Berichterstattung im Hinblick auf Palästina mundtot zu machen. Dass ein Journalist für seine Arbeit sanktioniert wird, ist ein rechtsstaatlicher Skandal.«
Auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die EU einen deutschen Journalisten sanktioniert, antwortete Hüseyin Doğru am Dienstag im Gespräch mit junge Welt:
»Information spielt eine sehr wichtige Rolle, wenn es um Kriege und Geopolitik geht. Das haben wir im Irak-Krieg gesehen, als US-Außenminister Colin Powell der UNO angebliche Beweise dafür vorlegte, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt (die besagte Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 5.2.2003 gilt als Auftakt für den wenige Wochen später beginnenden Krieg gegen den Irak, jW). Später gab er zu: Das war gelogen, die Informationen waren von US-Geheimdiensten manipuliert. Wer ein Monopol auf diese Information hat, der gewinnt Kriege. Was vor allem seit dem Krieg in der Ukraine passiert ist: Information wurde innerhalb der EU gesetzlich militarisiert.
2022 hat die EU das Gesetz über digitale Dienste verordnet, das die Grundlage für einen Krisenmechanismus abgibt. Wenn die EU eine Krisensituation feststellt, kann sie de facto Medien und Journalisten zensieren, die nicht in ihrem Sinne berichten. Aus dieser Logik war schon zuvor das Wort ›Desinformation‹ entstanden: Wer nicht in meinem Sinne berichtet, verbreitet Desinformation. Damit hat man den Weg geebnet, aber das genügte nicht. Im Oktober 2024 eskalierte die EU ihre Vorgehensweise – sie setzte ›Desinformation‹ offiziell auf die Liste der ›hybriden Bedrohungen‹ für die europäische Sicherheit. Damit erweiterte sie ihr Sanktionsregime und verankerte darin einen extralegalen Mechanismus, außerhalb der Kontrolle gesetzlicher und gerichtlicher Instanzen, mit dem Journalismus geahndet, bestraft – und effektiv mundtot gemacht werden kann.
Deswegen sage ich, das ist ein Präzedenzfall. Das wird jetzt an mir getestet. Die EU hat meine Tür für die BRD eingetreten, weil die juristischen Hürden hierzulande zu hoch sind. Aber ist die Grundlage einmal geschaffen, wird die BRD selber die Türen der Journalisten im eigenen Land eintreten.«
Diskussionsveranstaltung: EU-Wahrheitsregime kontra Pressefreiheit. Mit: Florian Warweg (Nachdenkseiten), Roberto De Lapuente (Overton-Magazin), Tilo Gräser (Hintergrund), Nick Brauns (junge Welt), Donnerstag, 3. Juli 2025, 19 Uhr, Maigalerie der jungen Welt, Torstr. 6, 10119 Berlin
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