Massaker als »Standardpraxis«
Von David Siegmund-Schultze
Israelische Soldaten und Offiziere bestätigen, dass die Armee fast täglich Massaker an Hungernden im Gazastreifen verübt. Das geht aus einer Recherche der israelischen Tageszeitung Haaretz vom Freitag hervor. Die Gesundheitsbehörde im Küstenstreifen meldete am Donnerstag, dass mindestens 549 Menschen in der Nähe der Ausgabestellen getötet wurden, seitdem die von Tel Aviv eingesetzte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) Ende Mai mit der Hilfsgüterverteilung begonnen hatte.
Um die Menschen fernzuhalten, schieße die Armee in der Regel vor und nach Öffnung der Ausgabestellen auf die Menge. Das berichten laut Haaretz etliche anonyme Quellen aus dem Militär. »Es ist ein Schlachtfeld. Sie werden wie eine feindliche Truppe behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfes Feuer, mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatenwerfer, Mörser«, so ein Beteiligter. Die Soldaten berichten, dass die Hungernden zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr darstellen – und widersprechen damit den mantrahaft wiederholten Stellungnahmen von Militärs, die Armee feuere Warnschüsse in Richtung von Zivilisten, weil diese sich ihnen »gefährlich nähern«.
Intern gehe man davon aus, dass der Einsatz der GHF und der israelische Angriff auf den Iran verhindert haben, dass die internationale Unterstützung für den Krieg zusammenbricht. Gaza werde in den Medien nur noch als »Hinterhof« angesehen. Die Folge: Die Soldaten hätten das Gefühl, dass die Enklave »ein Ort mit eigenen Regeln geworden« ist, so ein Reservist. »Der Verlust von Menschenleben bedeutet nichts.«
Der Brigadegeneral Jehuda Vach wird in der Haaretz-Recherche besonders hervorgehoben. Schon im Dezember 2024 hatte die Zeitung enthüllt, dass die Division 252 unter seinem Befehl eine Todeszone im mehrere Kilometer breiten Netzarim-Korridor geschaffen habe. Laut Offizieren habe Vach immer wieder geäußert, dass es keine Unschuldigen in Gaza gebe – eine in der Armee weit verbreitete Einstellung. Dementsprechend habe er alle Menschen in besagter Zone zu legitimen Zielen erklärt. Auch an den jüngsten Massakern sei seine Division maßgeblich beteiligt. Laut einem seiner Soldaten sei der Granatenbeschuss von Gruppen, die auf Hilfslieferungen warten, zur »Standardpraxis« geworden.
Haaretz zufolge hätten die Kriegsverbrechen Vachs und anderer Generäle bis jetzt keine internen Untersuchungen zur Folge gehabt. Es habe aber eine Diskussion hochrangiger Militärs gegeben, ob und mit welchen Waffen es gerechtfertigt sei, auf die Menschen zu schießen. Doch: »Was alle beunruhigt, ist die Frage, ob es unserer Legitimität schadet. Der moralische Aspekt ist im Grunde egal«, so ein an dem Treffen Beteiligter.
Am Freitag wurden wieder Dutzende Hungernde in der Nähe der GHF-Verteilzentren getötet, wie die lokale Gesundheitsbehörde meldete, und die Armee hat erneut jegliche Hilfslieferungen in den Norden des Küstenstreifens blockiert.
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