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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Endlich wohlfühlen

Die Analysekommission PotAS und der Spitzensport
Von Andreas Müller
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Kein Geld mehr für Wasserball? Die PotAS-Kommission verhandelt Reizthemen

Zumindest die Vorhersagen waren präzise: Bei den Olympischen Spielen in Paris holten bundesdeutsche Athleten im vorigen Sommer nur 33 Medaillen, im Nationenranking lag die BRD erstmals nur auf Platz zehn. »Unsere Prognose drei Jahre vor den Paris-Spielen war gar nicht so schlecht«, sagt Urs Granacher, der Vorsitzende der Kommission Potentialanalysesystem für den Spitzensport (PotAS), gegenüber jW. 31 Medaillen hatten der 51jährige Professor für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Uni Freiburg und seine Mitstreiter nach den Sommerspielen in Tokio für Paris 2024 berechnet. Fast eine Punktlandung. In Los Angeles in drei Jahren könnte es noch zwei, drei Plätze abwärts gehen. Nur: Sollte PotAS nicht eigentlich für mehr statt weniger Edelmetall sorgen?

Weit gefehlt: Die PotAS-Kommission wurde 2017 vor allem gegründet, um die Lage des Spitzensports präzise abzubilden. Das war auch eine Reaktion auf Kritik des Bundesrechnungshofes (BRH), der vor mehr als zehn Jahren eine neutrale Instanz zur Förderung und Finanzierung des bundesdeutschen Spitzensports angemahnt hatte. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) könne das unmöglich sein, monierte der BRH. Warum? Weil der Dachverband in einer »unangemessenen Doppelfunktion« wirke, zugleich als Interessenvertreter seiner eigenen Verbände und als »monopolartiger Berater« des für Spitzensport zuständigen Bundesministeriums des Innern (BMI).

Die Kommission kostet den Staat rund eine dreiviertel Million Euro jährlich. Momentan spiegelt sie die Situation in 99 Disziplinen bzw. Disziplingruppen des Sommersports, im Wintersport sind es 38. Ihre Analysen liefern dem BMI und dem Dachverband DOSB wichtige Erkenntnisse für ihre Strukturgespräche zur finanziellen Spitzensportförderung durch den Bund. PotAS evaluiert die olympischen Disziplinen regelmäßig nach »Erfolg«, »Potential« und »Struktur«. Seit 2018 wurden vier Berichte vorgelegt: je zwei für die Winter- und Sommersportzyklen, gültig bis zu den nächsten Spielen 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo respektive 2028 in Los Angeles.

Viel Hohn und Spott gab es anfangs wegen einiger Fehleinschätzungen, aber auch wegen falscher Vorstellungen von der Arbeit der Kommission. Die zeigte sich unbeeindruckt. Auch davon, dass die Verbände von den langen PotAS-Fragekatalogen zur »Säule Struktur« besonders genervt waren – schließlich hatten sie das selbst so festgelegt. Nachwuchsförderung, Trainingssteuerung, Traineraus- und -fortbildung, Antidopingmaßnahmen, Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt und die Repräsentation von Athleten in Verbandsgremien waren nur einige der Themen, über die präzise berichtet werden musste.

Nach der gründlichen Diagnose erfüllen die Spitzenverbände die geforderten Kriterien heute zu 80 bis 90 Prozent. Grund genug, bei den PotAS-Bewertungen die »Struktur Säule« fortan wegzulassen. »Natürlich werden diese Kriterien weiterhin in geeigneter Weise Beachtung finden, doch sie werden nicht mehr in unsere Bewertung einfließen. Unser Fokus liegt jetzt auf den Säulen ›Erfolg‹ und ›Potential‹. Wir konzentrieren uns nun auf die sportlichen Kriterien im engeren Sinn«, sagt Granacher über die Neujustierung. »Damit wird unsere Zielstellung geschärft. Wir werden uns ab jetzt wohler fühlen, das gilt für die Kommission wie für die Verbände. Für beide Seiten ging mit der Analyse der Verbandsstrukturen ein sehr hoher Arbeitsaufwand einher.«

Nun gibt es nur noch moderne Datenportale statt lästige Fragebögen und damit deutlich weniger Bürokratie. Da wird etwa in den Sparten Rennrodeln, Skeleton und Bob schwer aufgeatmet werden, die mit ihren sportlichen Ergebnissen im PotAS-Wintersportbericht 2022 zwar gut abschneiden, in der Kategorie »Struktur« aber nur Plätze im hinteren Mittelfeld belegten. Mit der Neufokussierung rücken unweigerlich die Fragen ins Zentrum, wie genau »Erfolg« und »Potential« für die kommenden olympischen Zyklen zu definieren sind. Soll man sich weiterhin an der Weltspitze orientieren, sprich an den besten drei Nationen in der betreffenden Disziplin? Oder soll künftig eher das »nationale Kriterium« priorisiert werden, also beim nächsten großen Wettkampf besser abzuschneiden als zuvor? Unter anderem darüber haben Granacher und seine Kollegen kürzlich mit den Sportdirektoren ausgiebig diskutiert: »Wir wollen den Verbänden ja von Seiten der Kommission nichts vorsetzen und über sie bestimmen, sondern sie als Partner mitnehmen.«

Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, ebenso bei anderen Fachfragen. Es geht teils um sportpolitisch heikle Themen. Zum Beispiel, ob die Schlusslichter in den aktuellen Analyseranglisten künftig nicht mehr gefördert werden sollten – das betrifft Wasserball, Gewichtheben, Taekwondo bzw. Eiskunstlaufen (Männer), Curling, Shorttrack und Eisschnelllauf (Frauen). Oder ob auch weiterhin Nationalteams aus reinen Profis wie im Basketball, Handball oder Basketball von der PotAS-Kommission untersucht werden sollen? »Das zu verfügen, ist nicht unsere Aufgabe«, stellt Urs Granacher klar. »Wir haben kein sportpolitisches Mandat. Wir liefern nur Grundlagen für Entscheidungen.«

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