Diagnose Rassismus
Von Yaro Allisat
Insbesondere bei Geburten werden Frauen mit afrikanischer Herkunft weniger sorgfältig medizinisch behandelt. Diskriminierende Erfahrungen beeinträchtigen darüber hinaus die mentale und physische Gesundheit Betroffener. Zu diesem Ergebnis kommt ein Mitte Mai veröffentlichter Jahresbericht für 2024 der Französischen Menschenrechtskommission (CNCDH), der Rassismus in der Medizin anprangert. Er bezieht sich auf eine Studie des Wissenschaftlers Xavier Bobbia der Universitätsklinik Montpellier vom Januar. Dafür wurden zwischen November 2024 bis Januar 1.500 Pflegekräfte aus 159 Städten in Frankreich, Belgien, der Schweiz und Monaco befragt – ein Novum.
Egal ob in Frankreich, Marokko oder anderswo geboren, als nichtweiß wahrgenommene Menschen werden der Studie zufolge weniger häufig als »lebensgefährlich verletzt oder erkrankt« eingestuft als Personen, die als weiß perzipiert werden. Am stärksten betroffen sind schwarze Frauen – ihre Fälle werden gegenüber denen weißer Männern 50 Prozent seltener als lebensgefährlich eingestuft. Allgemein würden Schwarze bei der Behandlung deutlich benachteiligt. Weiße Männer und Männer, denen nordafrikanische Herkunft zugeschrieben wird, werden dagegen von medizinischem Personal ernster genommen, hieß es in der Studie. Der ihnen begegnende Rassismus führe bei den Betroffenen zu chronischem Stress, Depressionen, Hypervigilanz und Angststörungen. Die Diskriminierung führt teils sogar bis zum Tod. So führt die Studie die Fälle von zwei Frauen an, die 2017 und 2023 starben, weil ihre Schmerzen nicht ernst genommen worden waren.
Die Untersuchung stellt die Diskriminierung im Gesundheitswesen in eine lange Historie: Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren rassenbiologische Argumente Teil von Fachbüchern und Lehrplänen. Sie fütterten Vorurteile über Schmerzresistenz oder Krankheitsanfälligkeit, was letztlich als Begründung für die Versklavung nichtweißer Menschen diente. Die Menschenrechtskommission fordert daher unter anderem verpflichtende Schulungen für Pflegepersonal und Ärzte, den Einbezug des Erlebens von Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus in Patientenfragebögen, frühzeitige Information über Diskriminierung bei Kindern, die Finanzierung weiterer Studien zum Thema und die Schaffung einer Kommission zur Arbeit gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen.
Insgesamt wird im CNCDH-Jahresbericht zwar festgestellt, dass rassistische und antisemitische Vorurteile in Frankreich abnehmen, gleichzeitig sei die Anzahl der gemeldeten diskriminierenden Vorfälle seit Jahren steigend. Ein Großteil der entsprechenden Straftaten blieb dabei ohne Verurteilung durch Gerichte. Rund 1.500 Täter werden jährlich verurteilt, bei mehr als 8.000 Anzeigen. Die Kommission fordert die französische Regierung auf, die Ergebnisse des Berichts ernst zu nehmen. »Es ist dringend notwendig, die Empfehlungen dieses Berichts umzusetzen, um die Straflosigkeit zurückzudrängen; es geht um den Zusammenhalt der Gesellschaft«, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die CNCDH erklärt den Anstieg der Fallzahl unter anderem mit den politisch instabilen Verhältnissen 2024. Nachdem Präsident Emmanuel Macron im Juni Neuwahlen einberufen hatte, konnte sich nach mehreren Anläufen erst im Dezember eine von Rechten tolerierte Regierung unter François Bayrou vom konservativen Mouvement démocrate bilden. Dadurch sei die Umsetzung des Nationalen Plans gegen Rassismus und Antisemitismus, der vor allem bessere Erforschung des Rassismus in Frankreich, Bildung und Opferhilfe vorsieht, beeinträchtigt worden.
Im vergangenen Jahr war auch in Deutschland die Studie »Diagnose Diskriminierung« im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung veröffentlicht worden. Darin wird festgestellt, dass es zu wenige Anlaufstellen für von Diskriminierung im Gesundheitssystem betroffene Personen gibt. Insgesamt liegen zu dem Thema jedoch nur wenige Zahlen vor. Auch die Auswirkungen von Diskriminierung auf die mentale und physische Gesundheit sowie der Zugang zum Gesundheitssystem für von Diskriminierung betroffene Personen sind bisher nur stellenweise aufgearbeitet. Und in allen Bereichen trifft es Frauen dabei ungleich öfter.
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