Die richtige Art, eine Auster zu schlürfen
Von André Weikard
»Menschen im Urlaub wirken immer würdelos.« Das ist einer dieser schönen dogmatischen Sätze in John von Düffels jüngstem Buch »Ich möchte lieber nichts«. Der Autor, Dramaturg und Schriftsteller von Düffel hat sein Thema gefunden: Konsumverzicht. Eigentlich mehr noch: Konsumverachtung. In dieser Hinsicht sind Urlauber natürlich verdächtig. Sie schlemmen, sie lassen sich bedienen, befördern, bespaßen.
Die Rahmenhandlung ist – wie schon im letzten Buch von Düffels, »Das Wenige und das Wesentliche« – schmal. Der Ich-Erzähler trifft nach 35 Jahren auf seine ehemalige Kommilitonin Fiona aus dem Philosophieseminar. Er, tief in der Midlife-Crisis, möchte von ihr, schon damals radikale Kaufverweigerin, die Gründe für ihre Haltung wissen. Das sokratische Palaver der beiden ist ein Best-of der philosophischen Stimmen zu dem Thema. Erich Fromm kommt zu Wort: »Haben ist der beste Ersatz für Sein.« Diogenes hat seinen Auftritt als Asket in der Tonne. Und Janis Joplin. Ja, die mit dem »Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz«. Letztere Geschichte hat die makabere Pointe, dass Joplin drei Tage nach der Aufnahme des Songs »am Konsum« gestorben sei, wie der Leser erfährt. Genauer: am Heroinkonsum.
Klingt verkopft? Ist es. Und nicht unbedingt originell. Die Erkenntnis, dass Narrative die Wirklichkeit beeinflussen können, breitet von Düffel über mehrere Seiten aus. Im Duden gibt’s inzwischen ein Wort dafür: Framing. So ganz unbekannt dürfte der Gedanke folglich nicht sein. So ähnlich wie dieser: »Bei jeder Art von Konsum geht es um den Unterschied.« Das sagt Fiona. Konsumieren will gelernt sein, führt von Düffel aus. Das Benutzen des richtigen Bestecks im Restaurant, die richtige Art, eine Auster zu schlürfen. Bourdieu lässt grüßen.
Das Erzählschema ist dabei immer ähnlich. Sie wirft ihm einen Satz hin. Er plustert den Gedanken auf mit Bücherwissen und Wortdrehereien. Dass Schuldner auch moralisch in der Kreide stehen, belege schon das Wort »Schuld«. Gläubiger glaubten an etwas, vielleicht den Wert des Geldes, das sie verliehen haben, usw.
Heraus kommt eine Art »Sofies Welt«, eine als Erzählung getarnte Einführung in die Philosophie des Verzichts. Dabei wird der Asket zum Ideal verklärt. »Wer nicht konsumiert, schlägt dem Kapitalismus ein Schnippchen«, heißt es etwa. Die Konsumverweigerung wird zum Akt der Rebellion. Der Messi, der alle Dinge behält, zum Widerstandskämpfer, weil er im Aufbewahren dem Kauf von Neuem vorbeugt.
Eine Wende bekommt die Erzählung, als Fiona eingesteht, dass ihr vermeintlicher Verzicht zu Studienzeiten auch damit zu tun hatte, dass sie schlicht arm war. Ihre für das Büchlein titelgebende Ausflucht »Ich möchte lieber nichts« ersparte ihr die Peinlichkeit zu sagen: »Ich kann es mir nicht leisten.« »Wer in einer Konsumgesellschaft lebt, aber nicht konsumiert, ist nicht Teil der Gesellschaft«, klagt sie denn auch. Das geht dem wohlstandsverwöhnten Erzähler erst jetzt auf, beschämt ihn. Er hat ihr nie beigestanden, als sie damals ausgelacht, ausgegrenzt wurde. Diesmal verkneift von Düffel sich das Zitieren. »Das Sein bestimmt das Bewusstsein« wäre möglich gewesen. Oder doch wenigstens: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.«
Erzählerisch hat die Erkenntnis, dass freiwilliger Verzicht heroischer ist als schierer Mangel, leider die Konsequenz, dass der zutiefst unsympathische Ich-Erzähler sich ausschweifig rechtfertigt für seine Ignoranz, seine Herkunft, seine Empathielosigkeit. Der Leser fühlt sich, als belausche er zwei Menschen beim ersten Date, krampfhaft darum bemüht, dem Gesprächspartner integer, eloquent, geistreich zu erscheinen. Umsonst.
Keine Frage, »Ich möchte lieber nichts« ist ein kluges Buch. Nicht schwer, schließlich hat von Düffel die Gedanken vieler gescheiter Menschen zu einem Potpourri der Konsumverweigerung verrührt. Manche Zutaten schmecken stärker heraus als andere. Camus, die erwähnten Fromm und Bourdieu etwa. Herman Melvilles Erzählung »Bartleby, der Schreiber« mit der ikonischen Maxime »I would prefer not to«, dem der Titel »Ich möchte lieber nichts« mehr als wahrscheinlich entlehnt sein dürfte, findet dagegen keine Erwähnung. Immerhin hat von Düffel es mit der Dialogform vermieden, sein Thema zu kategorisch, zu lehrhaft auszubreiten. Nie gleitet sein Büchlein ab in das Postulieren von Aha-Momenten, kein Jakobsweggequatsche über den wahren Sinn der Dinge, der irgend jemandem plötzlich bei wundgelaufenen Füßen und einer Erbsensuppe aufgeht. Ein Gewinn, denn »Menschen im Urlaub wirken immer würdelos«.
John von Düffel: Ich möchte lieber nichts. Eine Geschichte vom Konsumverzicht. Dumont-Verlag, Köln 2024, 208 Seiten, 24 Euro
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