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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 6 / Ausland
Bolivien

Linke vor Machtverlust

Bolivien: Progressive Kandiadten erhalten laut Umfrage nur noch 20 Prozent – bei Wahlen im August droht Fiasko
Von Thomas Walter
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Seit Monaten protestieren Anhänger von Morales gegen die Regierung Arce und blockieren Straßen (Sacaba, 13.6.2025)

Die Wahrscheinlichkeiten, dass die zwei Jahrzehnte andauernde Vorherrschaft des Movimiento al Socialismo (MAS) in Bolivien zu Ende geht, sind hoch. Am 17. August stehen allgemeine Wahlen an, und laut einer aktuellen Umfrage kämen die verschiedenen Kandidaten der Rechten zusammen auf rund 61 Prozent. Die zerstrittene Linke hingegen würde insgesamt nicht einmal 20 Prozent einfahren. Schaut man auf die einzelnen Kandidaten, liegt der Unternehmer Samuel Doria Medina mit 24 Prozent an der Spitze, dicht gefolgt von Jorge »Tuto« Quiroga, dem früheren Allierten von Exdiktator Hugo Banzer, mit 22 Prozent. Der offizielle Kandidat des MAS, Eduardo Del Castillo, käme abgeschlagene nur auf 1,7 Prozent. Überholt würde er vom ehemaligen politischen Ziehson von Evo Morales, Andrónico Rodríguez, mittlerweile selbst von seinem einstigen Tutor distanziert, der für seine Partei Movimiento Tercer Sistema laut der Umfrage immerhin 14,7 Prozent einfahren würde.

Evo Morales selbst darf bei dieser Wahl nicht antreten, weil er gemäß der von ihm selbst eingeführten Verfassung nicht mehr als zwei Amtszeiten regieren darf. Insgesamt war er sogar schon dreimal Präsident. Das hindert Morales jedoch nicht daran, seine Kandidatur laut in alle Winde zu verkünden, begleitet von der Drohung, dass es entweder Wahlen mit ihm oder überhaupt keine Wahlen geben wird. In seiner Heimatregion Chapare verfügt Morales immer noch über eine solide und militante Basis, die versuchen könnte, diese Drohung wahrzumachen. Der amtierende Präsident Luis Arce, der für die aktuelle schwere Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wird, tritt überhaupt nicht an, wohl um dem MAS wenigstens eine kleine Chance einzuräumen. Denn infolge der wachsenden Unzufriedenheit ob der wirtschaftlichen Situation ist seine Beliebtheit auf einem absoluten Tiefstand.

Ursache der anhaltenden Krise ist der Niedergang der Erdgasproduktion. Der MAS war Anfang des Jahrtausends angetreten, um die Gewinne aus den damals neu entdeckten Gasvorkommen für ein sozial orientiertes nationales Projekt zu nutzen, anstatt sie wie zuvor in die Taschen der Oligarchie zu leiten. Mehr als sechzig Tote hatte der Aufstand gegen den Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada im Jahre 2003 gefordert. Der hatte vor, die Gasvorkommen an einen internationalen Konzern zu verkaufen. Am Ende flohen »Goni« und seine Minister mit Koffern voller Bargeld in die USA, und die goldene Ära des MAS begann, mit Evo Morales als ihrem damals unumstrittenen Führer. Die Chance, mit den reichhaltig fließenden Einnahmen aus dem Gasverkauf eine Ökonomie aufzubauen, die nicht nur auf der Vermarktung fossiler Energie fußt, sondern davon unabhängige Wirtschaftszweige etabliert, wurde jedoch vertan.

Infolge der ausbleibenden Einnahmen aus den allmählich versiegenden Förderanlagen hat die Regierung nicht mehr genug Devisen, um das notwendige Benzin und andere Güter des täglichen Bedarfs einzuführen. Das führte zu einer allgemeinen Verteuerung und langen Schlagen vor den Tankstellen. Auch wurde versäumt, nach anderen Vorkommen zu suchen. Das jüngst entdeckte neue Gasfeld im Norden des Landes kann erst nach großen Investitionen anfangen, zu produzieren. Geld, über das die Regierung nicht mehr verfügt. Die Aufnahme von Krediten wird im Parlament von einer Allianz aus Rechten und Morales-Anhängern blockiert.

Was ein Wahlsieg der Rechten bedeuten würde, ist absehbar. Als erstes würden wohl die inhaftierten Putschisten Jeanine Áñez und Luis Fernando Camacho freigelassen. Als nächstes müssten die Vertreter des MAS ihrerseits mit juristischer Verfolgung rechnen, in erster Linie Morales, gegen den ein Verfahren wegen Menschenhandels anhängig ist. Dann würde die neue Regierung mit großer Wahrscheinlichkeit darangehen, die nationalen Gasvorkommen an den Meistbietenden zu verkaufen. Dass die rechten Kandidaten bisher untereinander zerstritten sind, dürfte wohl kein ernsthaftes Hindernis für eine neue marktliberale Regierung sein. Die Rechte schlägt sich und die Rechte verträgt sich, und wenn es darum geht, an die Pfründe zu gelangen, findet sich immer eine Allianz.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (26. Juni 2025 um 22:20 Uhr)
    Dieses Wahldebakel wäre das Ergebnis des unvernünftigen Verhaltens zweier Egoisten, die sich nicht um das Wohl des Landes kümmern, sondern nur um ihre eigenen Interessen: Morales und Acre. Leider sind beide von der Macht besessen und ziehen es vor, dass die extreme Rechte anstelle des MAS gewinnen könnte. Dieser »Sieg« der Rechten wird auch das Kräfteverhältnis in den Anden und in Lateinamerika verändern.

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