Verachtet, aber kaum bekämpft
Von Bernard Schmid
Die Waffen schweigen vorerst zwischen Israel, den USA und dem Iran. Unterdessen begann eine Verhaftungswelle im Iran: In den vergangenen Tagen wurden mindestens 700 Menschen unter dem Vorwurf inhaftiert, Spionage oder Sabotage zugunsten Israels betrieben zu haben. Drei von ihnen wurden hingerichtet. Das Regime hüllte bereits in den achtziger Jahren unter anderem linke Oppositionelle vor ihrer Hinrichtung in US-amerikanische Flaggen, um ihnen Agententätigkeit zu unterstellen. Man darf also davon ausgehen, dass mit solcherlei Vorwürfen nach Belieben umgegangen wird, wenn es nur darum geht, brutal gegen Kritiker durchzugreifen.
Hat der jüngste militärische Schlagabtausch, der am 13. Juni begann, etwas an den innenpolitischen Bedingungen geändert. Stehen gesellschaftliche Veränderungen im Land an? Bei allem, was sich aus dem begrenzten Nachrichtenaustausch mit im Land lebenden Menschen herauslesen lässt – das iranische Regime hatte während der israelischen Offensive den Zugang zu Internet und sozialen Medien drastisch eingeschränkt –, hat sich während der Tage der Bombardierungen die Polarisierung verschärft. Ein Teil der Bevölkerung schien angesichts der Erfahrungen mit der staatlichen Repression und aus eigener Machtlosigkeit dazu überzugehen, noch jede Form äußerer Intervention als Hoffnungsschimmer zu begreifen. Ein anderer Teil hielt dagegen.
Iranische Regierungsmedien wiederum berichteten von den Freitagsgebeten vom 20. Juni und legten Wert darauf, dass auch »schlecht verschleierte« Frauen (bad-hijab) daran teilgenommen hätten. Das soll als Hinweis darauf gelten, dass auch dem Regime fernstehende Kreise – sehr wahrscheinlich die deutliche Mehrheit der Bevölkerung – nun Partei für dessen Verteidigung gegen einen äußeren Aggressor ergriffen hätten.
Wo ein Staat beansprucht, unter Strafandrohung zu kontrollieren, was Menschen in ihren Schlafzimmern tun und was sie aus ihren Gläsern trinken, fällt kollektive Organisierung grundsätzlich schwer. Die antiimperialistische Rhetorik des herrschenden Regimes sollte zudem dafür sorgen, der Linken den Boden streitig zu machen. Dabei definierte die Propaganda Imperialismus nie anders denn als »kulturelle Aggression«, deren verderbliche Früchte Frauenrechte und die Tolerierung von Homosexualität seien. Von ökonomischen Fragen war nie die Rede. Dementsprechend gab es zu keinem Zeitpunkt auch nur Ansätze eines sozioökonomischen Gegenkonzepts zu den regionalen Ausformungen des weltweiten Kapitalismus.
Unter widrigen Bedingungen und extremen Repressionsdrohungen schafften es gesellschaftliche Oppositionelle dennoch, einige Arbeiterorganisationen über die Jahre aufrechtzuerhalten, trotz Inhaftierung etwa gewerkschaftlich aktiver Busfahrer und Lehrer.
In einem gemeinsamen Kommuniqué meldeten sich mehrere dieser Verbände – die Busfahrergewerkschaft VAHED im Raum Teheran, die Gewerkschaft der Beschäftigten der Zuckerfabrik Haft Tapeh, drei Rentnerzusammenschlüsse, ein »Koordinierungskomitee« für die Bildung von Arbeiterorganisationen – am 15. Juni zu Wort. Darin heißt es unter anderem: »Die Behauptung aus Israel, es gebe keinerlei israelische Feindseligkeit gegenüber der iranischen Bevölkerung – sondern ausschließlich gegenüber dem Regime – ist nichts anderes als eine Lüge und politische Propaganda.« Israels Verteidigungsminister habe am 14. Juni gedroht, »Teheran anzuzünden«. »Wir, die unabhängigen und basisorientierten Arbeiterorganisationen und -aktivisten, hegen nicht die Illusion, dass die USA und Israel uns Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit bringen wollten – wie wir auch keinerlei Illusion über die repressive, expansive und arbeiterfeindliche Natur der Islamischen Republik hegen.« Nur »aus eigenen Kräften« könne man einen positiven Wandel schaffen.
Jenseits progressiver sozialer oder politischer Organisationen baut sich aber auch eine andere angebliche Opposition von außen auf – mit erheblicher Unterstützung auswärtiger Mächte. Präsentiert werden soll eine angeblich strahlende Alternative für den Iran. Dies gilt vor allem für Reza Pahlavi, den Sohn des 1979 gestürzten Schahs, dem etwa französische und US-amerikanische Fernsehsender nun bereitwillig das Wort erteilen. Aus Sicht der US-Führung, aber auch Israels wäre er eine mehr als akzeptable Figur, die »den Übergang« vom alten zu einem künftigen Regime leiten könnte.
Im Iran selbst ist Reza Pahlavi allerdings weitgehend unbekannt. Es gibt dort allerdings eine verbreitete, eher unpolitisch-resignative Nostalgie, was die Tage des Schahregimes angeht. Diese Neigung nährt sich aus der Unzufriedenheit mit den jetzigen Verhältnissen. Damals gab es zumindest mehr individuelle und kulturelle Freiheiten. Zaman-e Schah khub bud (»Die Schah-Zeit war gut«) ist ein Satz, den ein Besucher des Landes durchaus von Taxifahrern, Restaurantangestellten oder privaten Bekanntschaften zu hören bekommt – als eine Art Stoßseufzer. Dass die Gesellschaft deswegen mehrheitlich bereit wäre, für eine Wiedereinsetzung der vor 1979 existierenden feudalen Privilegien einzutreten, bleibt allerdings eine gänzlich unbewiesene Annahme.
Hintergrund: Irans Minderheiten
Wenn die Minderheiten zusammen die Mehrheit bilden: Im Vielvölkerstaat Iran bildet die Persisch (farsi) sprechende, überwiegend schiitische Sprach- und Bevölkerungsgruppe derzeit mit rund 46 Prozent Bevölkerungsanteil derzeit nur noch die stärkste Minderheit. Ihr kommt zugleich eine staatstragende Rolle zu, fast alle wichtigen Funktionsträger des Regimes kommen aus ihren Reihen. Rund ein Drittel der Bevölkerung gehört turksprachigen Gruppen an, etwa Aserbaidschaner und Turkmenen, rund 14 Prozent sind kurdisch, zwischen drei und acht Prozent der Gesamtbevölkerung gehören zur arabischsprachigen Minderheit im Südwesten.
An den Protesten unter dem Motto »Frau, Leben, Freiheit« im Herbst 2022 waren vor allem die traditionell politisch stark engagierten Kurdinnen und Kurden im Westen, aber auch die in einem vom Zentralstaat systematisch vernachlässigten Landesteil lebenden Belutschen in der Grenzregion zu Pakistan überproportional stark beteiligt. Vor allem im kurdischen Landesteil gibt es eine lange Tradition eigenständiger politischer Organisation: Neben der historisch an der PKK in der Türkei orientierten PJAK war hier in der Vergangenheit vor allem die früher einmal aus einer Strömung des Maoismus entstandene kurdische Linkspartei Komala stark. Infolge der Abspaltung der Gründer der »Arbeiterkommunistischen Partei des Iran«, die vor allem in der Region Kurdistan-Irak und im schwedischen Exil Verankerung fand, ging Komala später zu Postionen über, die sich eher an der internationalen Sozialdemokratie orientieren.
Nicht alle nationalen Regungen verschiedener Bevölkerungsgruppen verfolgen notwendig einen fortschrittlichen Ansatz. In der iranischen Provinz Aserbaidschan kam es im Oktober 2020 zu einer antiarmenischen Demonstration, die sich für die Besetzung der Enklave Berg-Karabach durch das Regime in Baku aussprach. Iranische Polizeikräfte lösten die unangemeldete Versammlung damals auf. (bs)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. Juni 2025 um 08:27 Uhr)»Verachtet, aber kaum bekämpft«. Hat die junge Welt in der aktuellen Situation nichts besseres zu tun, als ausgerechnet Stimmung gegen die Islamische Republik Iran (IRI) zu machen und sich an Regime-Change-Spekulationen zu beteiligen? »In den vergangenen Tagen wurden mindestens 700 Menschen unter dem Vorwurf inhaftiert, Spionage oder Sabotage zugunsten Israels betrieben zu haben (…) Man darf also davon ausgehen, dass mit solcherlei Vorwürfen nach Belieben umgegangen wird, wenn es nur darum geht, brutal gegen Kritiker durchzugreifen«. Bernard Schmid tut hier so, als wären Vorwürfe von Spionage und Sabotage völlig aus aus der Luft gegriffen. Unter den Ermordeten vom 13. Juni befinden sich mehrere Physiker sowie hochrangige Militärs. Es liegt auf der Hand, dass der israelische Geheimdienst Informanten im Iran hat. Weiter heißt es: »Hat der jüngste militärische Schlagabtausch (!), der am 13. Juni begann (...)«. Militärischer Schlagabtausch?! So kann man Israels Überfall auf den Iran auch bezeichnen. Die Kommunistische Organisation schrieb am 13. Juni 2025: » (…) Ein Krieg gegen den Iran wie auch ein von außen initiierter Umsturz würde den Völkern des Iran nur eines bringen: Chaos, Zerstörung, Elend, Balkanisierung und Unterwerfung unter den Imperialismus. Aber es geht nicht nur um den Iran selbst: Die IRI ist die einzige Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten, die dem imperialistischen Westen etwas entgegensetzt. Und als solche ist sie auch der wichtigste Freund und Verbündete des palästinensischen Volkes: Ihr gesamtes militärisches Knowhow und ihre Ausrüstung – vor allem Raketen und Tunnel – und den mit Abstand größten Teil ihres Geldes haben die palästinensischen Fraktionen aus Teheran (…) Genau diese praktische antiimperialistische Solidarität ist – mehr noch als der Wunsch nach ökonomischer Ausbeutung des Iran – der Hauptgrund, weshalb das zionistische Regime die Islamische Republik als Hauptfeind betrachtet und der Westen sie zerstören will«.
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