»Nutzt eure Netzwerke«
Von Andreas Müller
Es ist bezeichnend für den Umgang der Bundespolitik mit dem Sport und dessen knapp 29 Millionen im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisierten Menschen, dass sie als innenpolitische Größe durchweg ignoriert werden. Allein rund acht Millionen Vereinsmitglieder bekleiden ein sportliches Ehrenamt und erbringen dabei gesellschaftspolitische Leistungen, die einen – leider nie konkret ermittelten – Gegenwert im Milliardenbereich ausmachen oder anders: mit Geld nicht zu bezahlen sind. Neuester Tiefschlag vornehmlich für den »kleinen Sport« und seine Enthusiasten: Bei der Verteilung des sogenannten Sondervermögens von einer halben Billion Euro für Investitionen in die veraltete Infrastruktur dieses Landes kam der Sportsektor in der ersten Fassung der Gesetzentwürfe überhaupt nicht vor. Von den zahlreichen – circa 231.000 – landauf, landab maroden und dringend sanierungsbedürftigen Sportstätten scheint man im politischen Berlin noch nichts gehört zu haben – und mithin nichts von den Problemen, von denen die rund 86.000 Sportvereine und die nach der Rechtslage für den Basissport verantwortlichen Länder und Kommunen bedrückt werden.
Grund genug, dass sich im normalerweise äußerst langmütigen, kaum zu vehementen Forderungen neigenden Dachverband des Sports gegen die Ignoranz der neuen Bundesregierung inzwischen Widerstand regt. In einem internen Rundschreiben, das jW vorliegt, werden sämtliche Mitarbeiter des DOSB, die Köpfe aller Sportverbände, der Olympiastützpunkte sowie Athletenvertreter aufgefordert, sich dafür zu starkzumachen und ihre persönlichen Kontakte zu nutzen, damit die 500 Milliarden Euro für zivile Zwecke nicht am Sport vorbeifließen. »Ein Sondervermögen ohne Sport ist eine vertane Chance für unser Land«, lautet die Kernbotschaft, die in den nächsten Tagen und Wochen vom Sport auf allen Ebenen vielstimmig an die Politik gerichtet werden soll. »Der DOSB führt natürlich die Gespräche mit der Bundesregierung und dem Parlament. Aber gemeinsam sind wir stärker und lauter. Deshalb möchten wir eine gemeinsame Kampagne starten, die die Mithilfe aller im Sport engagierten Menschen erfordert. Nutzt eure Netzwerke, sprecht und schreibt eure Bundestagsabgeordneten, eure Landtagsabgeordneten, die Bundesregierung und die Landesregierungen an. Fordert eure Gesprächspartner*innen auf, sich für den Sport einzusetzen und ihn ins Sondervermögen aufzunehmen«, heißt es in der Rundmail.
Eine konzertierte innenpolitische Aktion, wie man sie vom Dachverband lange nicht gesehen hat und die medial begleitet wird: »Wir werden als DOSB und verlängert über unsere Mitgliedsorganisationen auch die öffentliche Debatte hierzu mit medialen Aktivitäten unterstützen. Neben klassischen Interviews werden wir eine Social-Media-Kampagne starten, um den Mehrwert von Investitionen in den Sport ›begreifbar‹ zu machen.«
Der Handlungsbedarf ist akut. Nicht nur objektiv wegen des immensen Investitionsstaus bei den Sportstätten, der je nach Erhebung insgesamt bei wenigstens zehn oder zwölf Milliarden Euro bis zu über 30 Milliarden Euro ausmachen soll. Ob und in welchem Maß der organisierte Sport vor diesem Hintergrund von den 500 Milliarden Euro des Bundes für die Infrastruktur profitiert bzw. überhaupt berücksichtigt wird, gerät nun zu einer Art Goldprobe für die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit des DOSB als Cheflobbyist des Sports. Diese Tragweite scheint man in der Sportzentrale erkannt zu haben, man versucht, sämtliche Hebel in Bewegung zu setzen.
Mit der im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enthaltenen »Sportmilliarde« konnte zumindest ein Minierfolg erzielt werden. Wobei jedermann weiß, der nur einigermaßen mit der Sportstättenmisere vertraut ist: Mit diesem Sümmchen ist wenig auszurichten, weshalb die Linke im vorigen Bundestag den Antrag stellte, der Bund solle 15 Jahre lang eine Milliarde Euro jährlich für dieses Segment bereitstellen. Übrig blieb die »Bundesmilliarde« für die gesamte Legislaturperiode bis 2029. Es geht jedoch nicht nur um die Summe an sich, die aus dem »Sondervermögen« bitteschön und unbedingt für den Sport abgezweigt werden solle. Es geht zugleich darum, dieses Geld den Ländern, Kommunen und Vereinen möglichst unbürokratisch und effizient zukommen zu lassen und damit eine schnelle, sicht- und spürbare Wirkung zu erzielen.
Was die Bürgermeister wünschen, hatte Christian Raffer vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin gegenüber jW bereits zu Jahresbeginn deutlich gemacht. Bei einer Analyse in 307 Städten, Gemeinden und Landkreisen zur Sportstättensituation seien die Verantwortlichen vor Ort zugleich danach gefragt worden, in welcher Form ihnen finanzielle Unterstützung am liebsten wäre. »Drei von vier Kommunen würden es für sinnvoll halten, dank Bundeshilfen die finanzielle Grundsituation vor Ort zu verbessern. Das würde die Kommunen in die Lage versetzen, die Sanierung und Instandsetzung ihrer Sportstätten aus dem eigenen Haushalt zu bestreiten. Dieser Lösungsansatz wird in den Städten und Gemeinden im Vergleich zum Ruf nach einem neuen speziellen Sportsanierungsprogramm vom Bund klar favorisiert«, so Christian Raffer. »Ihre Grundfinanzen zu verbessern, das hieße, den Kommunen auf unbürokratische Weise neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Dagegen werden Förderprogramme des Bundes mit oft komplizierten und langwierigen Anträgen eher als zweite Wahl angesehen.«
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Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (26. Juni 2025 um 11:52 Uhr)Der Sinn des Sondervermögens ist es – über Umwege zwar, aber doch gut genug erkennbar – Leben zu zertrümmern. Und nicht, wie vom DOSB untertänigst erbettelt, das Leben lebenswerter zu gestalten. Wie blauäugig muss eine so große Organisation sein um nicht zu verstehen, dass sie lediglich dazu ist, um das Menschenmaterial eines künftigen Krieges ausreichend verwendungsfähig zu machen. Gewiss fallen da auch ein paar Brosamen für den Sport ab, bevor die Sportler auf dem Felde der Ehre verheizt werden. Wäre es nicht viel besser, die Netzwerke zu nutzen, um das Abdriften in die Katastrophe zu verhindern, als darum zu betteln, auch irgendwie mit dabei sein zu dürfen?
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