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Aus: Ausgabe vom 26.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Wer sind hier die Wilden?

Etwas mehr Gelassenheit: July Delpys neuer Film »Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne«
Von Ronald Kohl
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Die Wahrheit liegt auf dem Marktplatz

Man kann der französischen Schauspielerin und Filmemacherin Julie Delpy nicht vorwerfen, sie würde versuchen, ihrem Publikum einzureden, Frauen seien die besseren Menschen. Sie sind bei ihr nur etwas praktischer veranlagt. Wenn zum Beispiel das über alles geliebte Töchterchen plötzlich tödlich verunglückt, so geschehen in »Meine Zoe« aus dem Jahr 2019, entnimmt Mama kurzerhand dem leblosen Körper etwas Gewebe, um anschließend ihren Sonnenschein klonen zu lassen.

In »Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne«, Julie Delpys neuem Film, können die Geflüchteten aus Syrien keinen Job finden, der ihrer Qualifikation entspricht. Wie reagiert eine gelernte Grafikdesignerin darauf? Sie geht aufs Feld und erntet Artischocken, während ihr Mann daheim in seinem Stolz verharrt: »Entweder ich arbeite als Architekt oder gar nicht!«

Da wir uns im ländlichen Raum befinden und die Plackerei auf dem Feld nicht soviel abwirft, dass es für ein Auto reichen könnte, riecht das verdammt nach sozialer Hängematte. Das wiederum ruft die Figur auf den Plan, die der Aufnahme von Geflüchteten bei der Abstimmung im Gemeinderat ohnehin nur zähneknirschend zugestimmt hatte, und das auch nur, weil eigentlich Ukrainer kommen sollten. Doch war dieser Markt bereits leergefegt. Wofür weder der trottelige Bürgermeister noch die kinderlose, flüchtlingsengagierte Lehrerin (Julie Delpy) etwas konnten. Trotzdem fühlt sich der ortsansässige Klempner (Laurent Lafitte) von ihnen aufs Kreuz gelegt. Ein bisschen wie der Käfer auf dem Rücken liegt er nun da und schwenkt als letzter voller Stolz die bretonische Flagge. Bis es seiner Frau zu dumm wird: »Lass den Blödsinn. Du bist doch aus dem Elsass.«

Auch wenn Paimpont, die Gemeinde, in der die Handlung spielt, tatsächlich existiert, wirkt der Film oft beinahe märchenhaft; die ziemlich verwegen aussehenden rechten Typen, die kurzzeitig auftauchen, blicken eigentlich auch nur kurz grimmig und sind dann wieder verschwunden, lassen den Klempner allein zurück mit der syrischen Familie in seinem Dorf.

Genau das scheint mir die Botschaft des Films zu sein: Bitte etwas mehr Gelassenheit, schließlich leben wir noch immer im Paradies, auch wenn mittlerweile fast alle Beschäftigten in der Gemeinde Paimpont, zumindest im Film, in der Altenpflege arbeiten, die jedoch kein großes Thema ist und auch kein Betätigungsfeld für die Geflüchteten.

Dargestellt werden vor allem die Probleme des Kleinbürgertums. Das geschieht sehr humorvoll und zugleich realistisch. Kein Wunder angesichts der intensiven Recherche, die Delpy in Vorbereitung des Films betrieben hat. Sie ist in die Gemeinden gegangen und hat mit den französischen und auch mit den syrischen Familien Interviews geführt. Laut ihrer Erkenntnis braucht der französische Mann einfach etwas länger, eine veränderte Situation, einen fremden Mann im Dorf zu akzeptieren; Revierkämpfe verschwinden in den seltensten Fällen von selbst, da muss auch im Film kräftig nachgeholfen werden.

Bei den arabischen Familien fiel der Regisseurin die bereits beschriebene Bereitschaft der Frauen auf, schneller eine Arbeit unterhalb ihrer Qualifikation anzunehmen. Delpy: »Für einen Chirurgen ist es schwieriger, ein Fahrer zu sein.«

Dieses frustrierende Schicksal bleibt dem Architekten im Film erspart. Seine Frau bekommt von dem Mann, für den sie die Artischocken erntet, ein halbverfallenes Haus geschenkt. Darüber sind einige in Paimpont überhaupt nicht glücklich. Vor allem nicht der Besitzer des kleinen Supermarktes, der sich in der urgemütlichen Bruchbude regelmäßig heimlich mit der drallen Frau des Metzgers getroffen hatte. Jetzt, da sie kein Versteck mehr haben, fliegt die Sache auf. Nach ein paar Tagen erscheint die Frau des Supermarktbesitzers in der Fleischerei. Sie verlangt eine typisch bretonische Wurst, gut einen Meter lang und um die zehn Kilo schwer. Vermutlich, weil die Metzgersfrau Angst hat, sich vor lauter Aufregung beim Wechselgeld zu vertun (und weil sie nicht mit einem Bund Petersilie zwischen den Zähnen in der Auslage landen will), verschenkt sie das mächtige Teil. »Das geht heute auf Kosten des Hauses.«

Die betrogene Ehefrau lächelt zufrieden. Sie hat ihre Rivalin geschädigt und hält ein Phallussymbol aus bestem Fleisch in den Händen, mit dem sie schon in der nächsten Szene ihren Mann verprügeln kann. Wie praktisch.

»Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne«, Regie: Julie Delpy, Frankreich 2024, 101 Min., Kinostart: heute

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