Mehr Drohnen, weniger Priester
Von Reinhard Lauterbach
Einen Tag nach dem schweren russischen Raketenangriff auf das ukrainische Ballungsgebiet um Dnipro (früher: Dnepropetrowsk) am Dienstag morgen ist die Zahl der Opfer weiter gestiegen. Am Mittwoch vormittag sprachen die örtlichen Behörden von 20 Toten und etwa 300 Verletzten in Dnipro sowie den Nachbarstädten Samar (früher: Nowomoskowsk) und Pawlograd. Der Bürgermeister der Stadt, Boris Filatow, sprach von den schwersten Zerstörungen in der Stadt seit Kriegsbeginn. Während nach offiziellen Angaben aus Kiew die russischen Geschosse zivile Ziele wie Kindergärten, Geschäfte oder Krankenhäuser trafen, zeigen Videos von Anwohnern, dass mindestens eines der Ziele offenbar ein Industriebetrieb an einer Bahnlinie war. Aufnahmen einer Feuersäule direkt neben den Gleisen belegen das. Als »russischer Terror« skandalisiert wurde der Umstand, dass die Druckwelle des Einschlags in offenbar diesen Betrieb einen in unmittelbarer Nähe auf der Strecke stehenden Personenzug mit 14 Waggons stark beschädigte. Möglicherweise war der Zug dort zum Halten gebracht worden, um nicht im angriffsgefährdeten Bahnhof von Dnipro getroffen zu werden. Von den Passagieren soll niemand zu Schaden gekommen sein.
Nach Angaben von Präsident Wolodimir Selenskij hat Russland seine Drohnenangriffe auf die Ukraine zuletzt stark intensiviert. Vor dem niederländischen Parlament in Den Haag sagte er anlässlich seines Besuchs beim NATO-Gipfel am Dienstag, allein seit Anfang Juni habe die Luftabwehr 2.743 Drohnen abgefangen. Damit habe Russland seit Kriegsbeginn über 28.000 Drohnen auf die Ukraine losgelassen. Auf dem Forum Rüstungsindustrie der NATO warb Selenskij darum, in die landeseigene zu investieren. Die Ukraine habe Produktionskapazitäten für Rüstungsgüter im Umfang von 35 Milliarden US-Dollar. Diese seien jedoch aus Geldmangel nur zu 40 Prozent ausgelastet.
Unterdessen wächst in der Ukraine der passive und halbaktive Widerstand gegen die Zwangsrekrutierungen zum Militär. Ein am Dienstag veröffentlichtes und mutmaßlich im Kiewer Stadtteil Trojeschtschina entstandenes Video zeigt, wie vier Beamte der Rekrutierungsbehörde einen Mann festzunehmen versuchen; daran aber durch etwa die doppelte Anzahl anwesender Zeuginnen gehindert werden. Diese beschimpften und traten die Soldaten spontan, schlugen ihnen mit Einkaufstüten ins Gesicht und drehten ihnen die Arme auf den Rücken. In dem entstandenen Durcheinander konnte der als Rekrut vorgesehene Mann fliehen. Ähnliche Szenen werden immer wieder von Anwohnern dokumentiert.
Parallel dazu versucht die Ukraine, die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats durch Zwangseinziehungen ihrer Geistlichen zu schwächen. Anfang dieser Woche wurde ein Fall aus dem Gebiet Iwano-Frankiwsk bekannt. Der Priester war wegen angeblicher Meldeverfehlungen vorgeladen und im Schnellverfahren für tauglich erklärt worden. Allerdings weigerten sich offensichtlich mehrere Militäreinheiten, den Geistlichen in ihre Reihen aufzunehmen. Die ukrainischen Behörden wollen diese Konfession auf ihrem Territorium verbieten, weil ihre Vertreter als eine Agentenorganisation Russlands gelten. Es gibt Vorwürfe, dass Geistliche des Moskauer Patriarchats Informationen über militärische Ziele an Moskau weitergäben. Vor allem aber predigen sie für ein Ende des russisch-ukrainischen »Bruderkrieges«. Laut der vom Staatlichen Dienst der Ukraine für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit Anfang Juni veröffentlichten Liste gibt es (die »vorübergehend besetzten« Gebiete ausgenommen) 7.726 »religiöse Organisationen, die für das Funktionieren der Wirtschaft und das Leben der Bevölkerung in einer besonderen Periode wichtig sind«. Deren Vertreter haben damit die Möglichkeit, vom Militärdienst befreit zu werden. Die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats gehört nicht dazu.
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