Ärmer als vor fünf Jahren
Von Niki Uhlmann
Fast das gesamte EU-Arbeiterheer in Tarifbindung leidet unter Reallohnverlusten. Die Reallöhne hätten 2024 im Durchschnitt der Euro-Zone rund fünf Prozent unter dem Niveau von 2020 gelegen, teilte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Mittwoch in seinem »Tarifbericht« mit. In der BRD betrage der Rückstand 4,7 Prozent. Würden die Methoden des Statistischen Bundesamtes angewendet und Sonderzahlungen ausgeklammert, wären es ganze zehn Prozent. Allerdings seien 2023 und 2024 europaweit »ausgesprochen streikreiche« Jahre gewesen, darum 2024 gemessen an 2023 Reallohnzuwächse von rund zwei Prozent zu verzeichnen gewesen. Das Urteil lautet: »Weiterhin Aufholbedarf.«
Die Verluste »seit dem Inflationsschub des Jahres 2021« seien vor allem den »langen Laufzeiten von Tarifverträgen« geschuldet gewesen. »Auf unvorhergesehene Ereignisse wie die Preisschocks« hätten Gewerkschaften nicht reagieren können. Nun wird aufgeholt. »Besonders hohe Kaufkraftgewinne« seien in Österreich, Portugal und der Slowakei erstreikt worden. Die BRD liege mit 2,8 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt. Im »europäischen Mittelfeld« habe man hierzulande mit »21 Ausfalltagen pro 1.000 Beschäftigten« auch beim Streikaufkommen gelegen. In Frankreich (102 Ausfalltage), Belgien (107) und Finnland (93) würde weitaus intensiver gestreikt. Schlusslicht war Schweden mit nur einem Ausfalltag.
Während einzelne Unternehmen aus den Krisen satte Extraprofite schlagen, bleibt Lohnabhängigen nichts anderes übrig, als die erhöhten Preise zu zahlen. In den letzten fünf Jahren gingen solche Krisen nahtlos ineinander über: die Coronapandemie in den Ukraine-Krieg, dieser wiederum in globales Wettrüsten. Was als Inflation bekannt ist, stellt sich somit schlicht als beschleunigte Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen weniger Monopolisten dar. »Weder ist das Streikvolumen besonders hoch, noch ist das Streikrecht besonders liberal«, bilanzierte die Studie mit Blick auf die BRD.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. Juni 2025 um 10:04 Uhr)Die im Artikel erwähnten besorgniserregenden Reallohnverluste verdeutlichen für mich den dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine strukturverändernde Steuerpolitik wäre dafür ein wichtiger Schritt: Dazu zählt etwa die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (oft als Tobin-Steuer bezeichnet), die spekulative Börsengeschäfte angemessen besteuert. Gleichzeitig sollten arbeitende Menschen durch die Reduzierung von Lohnsteuern entlastet werden. Auch Steuererleichterungen für produzierende Sektoren könnten die reale Wirtschaft stärken. Diese einfache Umverteilungslogik – Arbeit entlasten, Spekulation belasten – könnte die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten erhöhen, den Lebensstandard sichern und so zu mehr gesellschaftlicher Stabilität beitragen. Angesichts der Krisen der letzten Jahre wäre eine solche Neujustierung mehr als überfällig.
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