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Aus: Ausgabe vom 24.06.2025, Seite 8 / Inland
NGOs unter Druck

»Unsere Aufgabe ist es, nicht neutral zu sein«

Frankfurt am Main: ATTAC-Veranstaltung in der Paulskirche zu Autoritarismus. Ein Gespräch mit Julia Elwing
Interview: Gitta Düperthal
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Der Journalist und SZ-Chefredakteur Heribert Prantl spricht zu den Teilnehmern des Kongresses (Kassel, 21.6.2025)

In der Paulskirche in Frankfurt am Main hat ATTAC am Wochenende zur Veranstaltung mit dem Titel »Den Abstieg ins Autoritäre stoppen« geladen. Woran machen Sie diesen Abstieg fest?

Die Unionsfraktion hatte direkt nach der Bundestagswahl mit der kleinen Anfrage »Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen« mit 551 Fragen die Organisationen der Zivilgesellschaft angegriffen. Das waren zwar Fragen, aber sie enthielten Unterstellungen. Obwohl jeder weiß, dass wir keine staatlichen Zuschüsse erhalten, wurde ATTAC dies unterstellt – und daraus dann ein sogenanntes Neutralitätsgebot abgeleitet.

Was kritisieren Sie daran?

Das ist absurd. Unsere Aufgabe ist es ja gerade, nicht neutral zu sein, sondern Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, guten Umgang mit der Natur und Demokratie einzufordern. Wir verstehen dies als Einschüchterungsversuch, zumal die Union solche Organisationen dabei in den Zusammenhang mit einem »Deep State« bringt. Dieses Verunglimpfen von Kritikern als Teil eines »tiefen Staates« ist eine rechte Verschwörungserzählung, wie sie auch in den USA Präsident Donald Trump gegenüber fortschrittlichen Nichtregierungsorganisationen verbreitet. Da musste man sehr genau hinschauen, von wem die Anfrage stammt. Zu vermuten wäre, dass hinter solch einem Angriff auf die Zivilgesellschaft nur die AfD stecken konnte. Aber nein: Die CDU übernimmt solch rechte Narrative.

Die »demokratische Zivilgesellschaft« sei in der BRD unter Druck. Wie macht sich dieser Druck bemerkbar?

ATTAC leidet unter dem Entzug der Gemeinnützigkeit. Andere Organisationen berichten ebenso von Einschüchterungsversuchen. Unternehmen, Regierungen und mächtige Einzelpersonen versuchen, kritische Stimmen mit sogenannten SLAPP-Klagen zu zermürben und zum Schweigen zu bringen. SLAPP steht für »Strategic Lawsuits against Public Participation«, strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Oft stehen damit hohe Anwaltskosten, jahrelange Gerichtsprozesse und horrende Schadensersatzzahlungen an. Thema bei unserer Veranstaltung war auch, dass in Ostdeutschland aufgrund der Stärke der AfD und der Zunahme rechter Gewalt die Räume für zivilgesellschaftliches Engagement und Kritik immer enger werden. Mediale Räume öffnen sich zunehmend für einen rechten Diskurs.

Inwiefern?

Talkshows öffneten sich in den vergangenen Jahren für extreme Rechte. Man wolle sie entzaubern, hieß es. Das ist gründlich schiefgegangen, wie wir an deren Erfolgen ablesen können. Statt ordentlich zu recherchieren und dagegenzuhalten, schob man »Faktenchecks« hinterher, die niemand mehr wahrnimmt.

Welche Konzepte kennen Sie, um diesen Abstieg zu stoppen?

Interessant ist dazu die Analyse, wie sich die Rechten in den USA vorbereiteten und wie spät sich dort Widerstand dagegen formierte. Laut der Journalistin Annika Brockschmidt war dies dort auf eine Schockstarre der Gesellschaft zurückzuführen sowie auf Fehleinschätzungen der Demokraten, die offenbar dachten, bei den Zwischenwahlen in den USA würde sich das schon wieder regeln. Nun haben die »No King«-Proteste begonnen. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erklärte, dass es jetzt gelte, zivilgesellschaftliche Defensivstrategien zu entwickeln, um Menschen, Wissen und Strukturen zu schützen. Dazu brauche es zudem Offensivstrategien, um linke Themen zu setzen. Auch wurde diskutiert, dass ein AfD-Verbot eingeleitet werden müsse, weil es nicht sein kann, dass eine verfassungsfeindliche Partei das Ruder übernimmt. Der Journalist Heribert Prantl argumentierte, wer die Demokratie mit völkischen Positionen zerstören wolle, dürfe nicht auch noch mit Steuergeld gefördert werden.

ATTAC organisierte ab 2012 die »Blockupy«-Aktionen gegen die EU-Finanzpolitik mit. Wie wollen Sie jetzt gegen den »Autoritarismus« vorgehen?

Wir dürfen keine Vereinzelung zulassen, wie die Neoliberalen es predigen. Wir müssen solidarische Strukturen aufbauen, auch in der Nachbarschaft. Unser Fazit: Solidarität ist etwas, woran Faschismus zerschellt.

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