Profit mit »Hungerspielen«
Von David Siegmund-Schultze
Mehr als 400 Tote und 3.000 Verletzte. Das ist die Bilanz der Massaker an und in der Nähe von Verteilzentren für Hilfsgüter der Gaza Humanitarian Foundation (GHF), seitdem sie am 27. Mai ihre Operationen im Gazastreifen begonnen hat. Laut der lokalen Gesundheitsbehörde wurden am Montag erneut zwei Hungernde in der Nähe einer GHF-Ausgabestelle durch die israelische Armee getötet und 35 verletzt. Für ihre Tätigkeit, die Palästinenser vor Ort als »Todesfalle« oder »Hungerspiele« bezeichnen, will die »Stiftung« nun Geld von den USA erhalten. 30 Millionen US-Dollar soll GHF bei der Entwicklungshilfebehörde USAID angefragt haben, wie die Nachrichtenagentur AP am Freitag berichtete. Einer Recherche des Nachrichtenportals Zeteo zufolge will GHF diese Summe bis Dezember monatlich erhalten, was insgesamt 210 Millionen US-Dollar entspricht.
Jeremy Lewin, der von Elon Musks DOGE-Behörde für »Regierungseffizienz« als Direktor für Auslandshilfe bei USAID eingesetzt wurde, soll Druck auf die Behörde ausüben, dass sie dem Antrag stattgebe. Das berichtet Zeteo unter Berufung auf anonyme Quellen aus den betreffenden Behörden. Auch hochrangige Vertreter der US-Regierung sollen demnach darauf hinwirken, dass die Entwicklungshilfebehörde die Gelder zahlt – vorbei an den üblichen Vergabeverfahren. Am 1. Juli wird die Behörde zudem dem Außenministerium angegliedert. Bereits Anfang Juni soll Reuters zufolge jenes Ministerium geplant haben, mittels USAID 500 Millionen US-Dollar in die GHF einzuspeisen.
Die GHF ist laut eigenen Angaben eine unabhängige Stiftung. Sie sei gegründet worden, um die »humanitäre Not« im Gazastreifen zu lindern und Hilfsgüter unter Umgehung »traditioneller Engpässe« zu verteilen. Was damit genau gemeint ist, wird nicht expliziert – wahrscheinlich aber das Versorgungssystem des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) und der großen internationalen Hilfsorganisationen.
Laut einer Ende Mai veröffentlichten Recherche der New York Times (NYT) ist die GHF hingegen das »geistige Produkt« israelischer Militär-, Geheimdienst- und Wirtschaftskreise. Bereits im Dezember 2023 habe sich eine hochrangig besetzte Gruppe getroffen, um Pläne für die Ausschaltung von UNRWA und die israelische Kontrolle über die Hilfsgüterverteilung im Küstenstreifen zu entwickeln. Jotam Hacohen sei Teil des Mikweh-Israel-Forums, benannt nach der Universität, an der sich die Gruppe getroffen habe. Im Juli 2024 hatte er in einer Militärzeitschrift eine erste Version des nun umgesetzten Plans vorgestellt: Private, nichtisraelische Sicherheitsfirmen sollen die Vergabe von Hilfsgütern übernehmen – in Zonen, die durch die Armee kontrolliert werden. Im Laufe des vergangenen Jahres habe die Gruppe laut NYT dann die Unterstützung der politischen und militärischen Führung gewonnen und US-Söldnerunternehmen ins Boot geholt.
Auch bei der Finanzierung der GHF soll Israel beteiligt gewesen sein. Angaben zu ihren Geldgebern macht die »Stiftung« nicht. Lediglich, dass sie eine Spende über 100 Millionen US-Dollar von einem westlichen Staat erhalten habe. Am 26. Mai fragte der Oppositionsführer Jair Lapid in der Knesset, ob die Regierung hinter der ominösen Spende stecke. Der ehemalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sagte gegenüber Haaretz, er sei sich sicher, dass sein Exministerium und der Mossad die GHF finanzieren.
Das +972-Magazine veröffentlichte am Freitag eine Reportage, basierend auf Augenzeugenberichten von Palästinensern, die – trotz Lebensgefahr – unter Beschuss von Snipern, Panzern und Drohnen zu den Verteilzentren gehen. Mahmud Al-Kafarna machte sich am Abend des 15. Juni auf den Weg, um im Morgengrauen eine Ausgabestelle zu erreichen. Die Ausbeute: »zwei Kilo Linsen, ein paar Nudeln, Salz, Mehl, Öl, ein paar Dosen Bohnen«. Ob es das wert war, fragte er sich: »Die Kugeln, die Leichen, das Kriechen durch den Tod? Wir sahen aus wie Tiere, die in einem Stall ohne Moral und Mitgefühl darauf warten, dass die Futterstelle geöffnet wird«, so Al-Kafarna. »Der Hunger hat uns dazu getrieben, Nahrung aus den Händen unseres Feindes zu suchen – Nahrung, die in Demütigung und Schande verpackt ist.«
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