Zehntausende gegen die NATO
Von Gerhard Feldbauer
In Deutschland kaum vorstellbar: Am vergangenen Freitag haben in Italien Gewerkschaften, Friedensbündnisse und Oppositionsparteien zu einem Streik und am Sonnabend zu Protesten gegen die Hochrüstung der EU und die Kriegspolitik der rechten Regierung mobilisiert. Der Anlass: der an diesem Dienstag beginnende NATO-Gipfel in Den Haag, auf dem die Erhöhung der »Verteidigungsausgaben« auf fünf Prozent des BIP beschlossen werden sollen. Initiiert wurde der Streik durch die Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB), die auch zur Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung aufgerufen hatte. Sie verband den Kampf gegen die Aufrüstung mit Forderungen nach höheren Löhnen, mehr Arbeitsrechten und höheren Sozialausgaben, darunter für das öffentliche Gesundheitswesen und die Schulen.
Zunächst wollten sich die drei großen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL dem Ausstand nicht anschließen. Doch nachdem auch das Friedensbündnis »Disarmiamoli« (Entwaffnen wir sie), das über 400 Mitglieder zählt – darunter die Linkspartei »Potere al Popolo« (Die Macht dem Volke), zahlreiche soziale Bewegungen, das autonome Hafenarbeiterkollektiv (CALP) und das »Kommunistische Netzwerk« – den Streikaufruf unterstützte, riefen die jeweiligen Metallarbeitergewerkschaften von CGIL, CISL und UIL ihre Mitglieder ebenfalls zur Arbeitsniederlegung auf. In weiten Teilen des Landes kam das öffentliche Leben, insbesondere im Verkehrssektor, zum Erliegen. Doch als es dann um eine gemeinsame Kundgebung auf dem Vittorio-Emanuele-Platz in Rom ging, zu der die USB und ihre Unterstützer aufriefen, war es mit der Einheit der Bewegung wieder vorbei. Der Stein des Anstoßes: Die Forderungen enthielten eine Verurteilung der NATO für den Völkermord Israels an den Palästinensern in Gaza und einen Aufruf zum Austritt Italiens aus dem westlichen Kriegsbündnis.
Die CGIL beteiligte sich statt dessen an einer von Sozialdemokraten, der »Fünf-Sterne-Bewegung« und der »Grün-linken Allianz« (AVS) organisierten Demonstration in einem anderen Teil der Hauptstadt. Sie stand unter den gleichen Losungen, klammerte aber die Verurteilung der NATO und die Forderung, aus ihr auszutreten, aus. Damit gab es, wie der frühere Generalsekretär der Metallgewerkschaft der CGIL, der heutige Nationale Koordinator von »Potere al Popolo«, Sergio Cremaschi, klarstellte, zwei Demonstrationen gegen den Krieg. »Eine derjenigen, die das Nein zur NATO, zu Israel und zum Krieg sowie die Streiks und die Kämpfe ohne Wenn und Aber unterstützen«, und eine andere, die »inklusiver« sei und die Wiederbewaffnung verurteile, ohne jedoch deren Hauptschuldigen, die NATO, zu benennen.
Während sich zu der »gemäßigten« Demonstration etwa 5.000 Menschen einfanden, waren es auf der Piazza Vittorio, wie das kommunistische Magazin Contropiano auf seinem Onlineportal berichtete, über 30.000: Arbeiter, Jugendliche, Studenten, Aktivisten und Mitglieder der USB. Sie fanden klare Worte: »Schluss mit dem Krieg, Schluss mit der Wiederaufrüstung, Schluss mit der Komplizenschaft mit der NATO, mit der Rüstungsindustrie und mit dem Völkermord am palästinensischen Volk!«
Doch für Aufsehen sorgten nicht nur der Streik und die Proteste. Am Freitag machte auch Italiens für »Verteidigung« zuständiger Minister Guido Crosetto Schlagzeilen. Überraschend stellte er die Existenzberechtigung der westlichen Militärallianz grundsätzlich in Frage. »Die USA und die EU sind nicht mehr das Zentrum der Welt. Die NATO muss sich den veränderten Zeiten anpassen«, so Crosetto bei einem Auftritt an der Universität von Padua. Der Politiker gehört zur faschistischen Regierungspartei »Brüder Italiens« (Fratelli d’Italia) und gilt als einer der engsten Vertrauten von Premierministerin Giorgia Meloni. Crosetto forderte zudem eine verstärkte Kooperation des Kriegsbündnisses mit Staaten des globalen Südens.
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