Gegründet 1947 Mittwoch, 25. Juni 2025, Nr. 144
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 25.06.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Faschismuskonferenz in Berlin

Notwendige Analyse

Berlin: Internationale Konferenz zum Charakter des modernen Faschismus
Von Jörg Kronauer
15.JPG
Reges Interesse: Der Konferenzsaal im ND-Haus am Franz-Mehring-Platz (Berlin, 20.6.2025)

Ist der Faschismus zurück in Europa? Mit der Frage befasste sich am vergangenen Wochenende in Berlin eine internationale Konferenz, zu der das Zetkin Forum for Social Research geladen hatte. Vorab: Die Konferenz war erfreulich international; die Referenten kamen aus 14 Ländern. Viel zu Wort kamen dabei Weltregionen, über die man zwar recht viel, mit denen man aber viel weniger spricht: Ost- und Südosteuropa sowie – auch als Repräsentant des globalen Südens – Indien. Aus dessen Sicht beleuchtete die marxistische Ökonomin Utsa Patnaik, emeritierte Professorin an der Jawaharlal Nehru University (JNU) in Neu-Delhi, den dichten Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Neofaschismus. Indiens hindunationalistische Regierung stufen viele als fast oder klar faschistisch ein.

Geschieht letzteres zu Recht? Die Frage stellt sich nicht nur in Indien, auch weil Faschismusvorwürfe heute zuweilen von interessierter bürgerlicher Seite kommen: aus dem noch dominanten liberalen Segment der herrschenden Klasse, das gegen konkurrierende Fraktionen der Bourgeoisie gelegentlich das Label »faschistisch« zückt, quasi als rote Karte. Da werden antifaschistische Argumentationen für Herrschaftszwecke instrumentalisiert – und das von Kräften, die eine rassistische Abschiebepolitik forcieren und ihre Kriegspolitik mit drastischem Abbau bürgerlicher Rechte im Innern begleiten, die also selbst auf Elemente faschistischer Politik zurückgreifen. Ist das, was sie da tun, ein neuartiger liberaler, besser: postliberaler Faschismus? Die These vertrat etwa Florian Nowicki vor dem Hintergrund der Entwicklung in Polen.

Es gab starke Einwände. Ohne den erstickenden Autoritarismus zu verharmlosen, der auch in Deutschland wieder um sich greift, wiesen Beiträge darauf hin, dass das Phänomen nicht neu ist; erinnert wurde an die Noskes der Weimarer und die Adenauers der Bundesrepublik, die trotz allen – zuweilen unterschätzten – Übels, das sie anrichteten, doch keine Faschisten waren.

Will man die Debatte vom erhitzten Kopf auf solide Füße stellen, tut unter anderem eine Analyse des Klassencharakters der jeweiligen politischen Phänomene not. Exemplarisch leistete dies für Rumänien Vladimir Bortun, der an der Universität Oxford lehrt. Er legte dar, dass die beiden zuletzt sehr erfolgreichen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu und George Simion eine nationale Fraktion der Bourgeoisie vertreten – Kleinunternehmer und Immobilienhaie etwa –, während die herrschende Rechte im Interesse des auswärtigen, meist westlichen Kapitals regiert. Georgescu und Simion mobilisieren dabei durchaus mit einem modernisierten Faschismus, den ihre bourgeoisen Gegner nicht erfinden mussten.

Das Themenspektrum, mit dem sich die Konferenz befasste, reichte weit darüber hinaus. Vijay Prashad, Direktor des Tricontinental Institute for Social Research, wies darauf hin, dass die bürgerliche Gesellschaft aus sich heraus einen Gewaltcharakter hervorbringt, auf den der Faschismus jederzeit ganz problemlos zurückgreifen kann. jW-Autorin Susann Witt-Stahl rückte den »Erinnerungsweltmeister« Deutschland ins rechte Licht und wies auf seine – gerne ignorierte – Liaison mit dem alten und neuen ukrainischen Faschismus hin. Marlène Rosato vom Institut für politische Studien Paris schilderte die repressive, rechte Politik unter dem »liberalen« Präsidenten Emmanuel Macron und legte dar, dass ausgerechnet der Rassemblement National (RN) neue transatlantische Beziehungen in die USA entwickelt. Eine Debatte über heute angemessene antifaschistische Politik rundete die erkenntnisreiche Konferenz ab.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Nicht nur in Berlin wurde das Abschneiden der Parteien mit große...
    25.02.2025

    Deutschland gespalten

    Wie internationale Medien und andere Stimmen auf das Ergebnis der Bundestagswahl reagieren
  • Unendlich viel Zeit, die durch Gespräche, Essen und Trinken gefü...
    22.02.2025

    Streben nach Auskommen

    Berlinale. Ungleichzeitigkeiten und das liebe Geld: China, Südkorea, Indien in drei Festivalbeiträgen

Mehr aus: Antifaschismus

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!