Wer am Ende siegt
Von Ken Merten
Das Terzett »schreiben schwulsein kommunistsein« wird von drei Seiten angetastet. Zumal sich derjenige, der es schuf und der danach lebte, Ronald M. Schernikau (1960–1991), nicht mehr gegen eine Verein- oder Verzweidimensionalisierung wehren kann. Außer mit seinem Werk selbst. Das ist, trotz Schernikaus frühem Aidstod, opulent. Und es wird von den Denis Schecks, Volker Weidermanns und sonstigen Literaturbetriebsnudeln und Nullaposteln der hiesigen Feuilletons geflissentlich missachtet. Das ist wenig schlimm, mindert allerdings das Problem nicht: Wie kommt der Schernikau in die Köpfe?
In Magdeburg, der Stadt, in der Schernikau seine ersten Lebensjahre verbrachte und der zu Ehren er sich das M. (für Maurizius, der Schutzheilige der Stadt) in den Namen setzte, macht sich nun das hiesige Literaturhaus verdient darum, ihrem Sohn wieder mehr Bekanntheit zu verschaffen. Einen Monat lang, noch bis zum 65. Geburtstag Schernikaus am 11. Juli, wird in zwei Räumen des Vereins in der Thiemstraße die Ausstellung »vergnügen der götter: ronald m. schernikau. leben und werk« zu sehen sein. Entstanden während eines Masterpraktikums der Mediengermanistikstudentin Dana Paschert, geben die schön schlicht und Schernikaus »Legende« entsprechend nummeriert und in Doppelspalten gehaltenen Infotafeln Auskunft über den Autor und drei seiner zentralen Werke: »Kleinstadtnovelle« (1980), »die tage in l.« (1989) und seine erst posthum erschienene Bibel »Legende« (1999). Der Einblick ist gelungen; die gern begangene Klitterung, Schernikaus diesen April verstorbene Mutter Ellen sei mit ihrem Jungen 1966 aus der DDR in den Westen »geflohen«, statt, wie sie stets betonte, aus privaten Gründen rübergemacht (der Liebe zu Ronalds Vater wegen), wird hier nicht wiederholt. Zu lamentieren ist wenig. Einzig der erwähnte Studiengang »Literarisches Schreiben« ist einer des heutigen Deutschen Literaturinstituts Leipzig statt der Vorgängereinrichtung, des Instituts für Literatur »Johannes R. Becher«, an dem Schernikau von 1986 bis 1989 studierte.
Schernikau muss hier auch nicht vor jenen gerettet werden, die vorgeben, ihm zu Hilfe zu eilen und ihn dabei weggrätschen; jene also, die Schernikau ausschließlich als Literaten – vielleicht noch als schwulen – konservieren wollen und seine affirmative Haltung zum Sozialismus, seine Liebe zur DDR und seine marxistisch-leninistische Überzeugung als Schrulle abtun. Schernikaus Mitgliedschaften in Organisationen der kommunistischen Bewegung (SDAJ, DKP und SEW) werden weder ausgeklammert noch als die Flausen abgetan, die sie nicht waren. Schließlich wird auch das Geheimnis des Göttervergnügens aus der »Legende« gelüftet: Es ist deren »Botschaft des Kommunismus«.
Selten Gesehenes gibt es auch: Ein Plakat der Inszenierung des Stücks »die schönheit« durch das Berliner Tuntenensemble »Ladies Neid« von 1987 sowie Werbeprospekte für die Subskriptionsausgabe der beim Dresdner Verlag Goldenbogen publizierten »Legende«, die 2019 vom Verbrecher-Verlag in Berlin neu und kommentiert herausgebracht wurde.
Die »Legende«-Lektüre lohnt, mag ob ihrer Mächtigkeit aber auch Respekt einflößen. Sanftere Einstiege sind gewiss die »Kleinstadtnovelle«, die »Tage in L.« oder der Sammelband »Königin im Dreck« (Verbrecher-Verlag 2018). Einen noch sanfteren Einstieg aber hat derzeit das Literaturhaus Magdeburg mit »vergnügen der götter« zu bieten.
Die Pforte der Ausstellung aber lässt die Hoffnung eigentlich fahren: Im Vorraum findet sich, entsprechend billig und fehlerhaft abgedruckt, Christian Könnes Text »Schwule und Lesben in der DDR und der Umgang des SED-Staates mit Homosexualität«, kopiert von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Chance zur direkten Gegenüberstellung, die sich durch »die tage in l.« und die darin verhandelten schwulen Stelldicheins in Leipziger Parks oder die Treffen kirchlicher Schwulengruppen aufdrängt, wird ausgelassen.
Bei Könne jedenfalls kippt die »normierte Gesellschaft der DDR« in einer Freudschen Fehlleistung gleich in die »formierte«. Die von ihm angeführten hohen Zahlen derer, die in der DDR noch in den 1980ern Homosexualität ablehnten, und die Tatsache, dass viele Schwule und Lesben Gewalt erfahren hatten bzw. über Suizid nachdachten, weisen darauf hin, wieviel noch zu tun war in der DDR in Sachen kleinbürgerlicher Prüderie und Homophobie.
Als allgemeiner Zivilisationsvorsprung beseitigte die DDR nach dem Ende ihrer Existenz noch Dreck der Bundesrepublik – wie Könne, Demokratie sei Dank!, einräumt – durch die Rechtsangleichung 1994: »Die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität in der DDR 1988 ebnete den Weg zur Streichung des Paragraphen 175 sechs Jahre später im wiedervereinigten Deutschland.« Ronald M. Schernikau wies darauf hin: »der kommunismus wird siegen werden.
»vergnügen der götter: ronald m. schernikau. leben und werk« – Literaturhaus Magdeburg, Eintritt frei, bis 11. Juli 2025
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