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Aus: Ausgabe vom 25.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Kapitalflucht nach Europa

Im Blick der Spekulanten

»Buy Europe«: Verstärkter Kapitalfluss von US-Märkten in europäische Aktienfonds
Von Dominic Iten
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Investitionen in Rüstungskonzerne wie Rheinmetall versprechen hohe Rendite (Kassel, 25.7.2023)

Globale Anleger ziehen Milliardenbeträge von den US-Märkten ab und verlagern sie nach Europa. Laut Daten der Analysefirma EPFR wurden bis Mitte Mai bereits rund 110 Milliarden US-Dollar in europäische Aktienfonds gesteckt – der größte Zufluss seit 2015. Besonders stark profitieren bislang Deutschland, Spanien und Italien, sie verzeichnen jeweils zweistellige Kursgewinne. Über die Gründe der Neubewertung internationaler Aktienmärkte ist man sich in der deutschen Presse rasch einig geworden: Die Frankfurter Börse zähle zu den Krisengewinnern – »dank US-Präsident Trump«, melden die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel oder die Stuttgarter Zeitung.

Etliche Anleger verspürten den Drang, »US-Exposure zu reduzieren und stärker zu diversifizieren«, erklärt Vincenzo Vedda, Global Chief Investment Officer bei DWS, dem Vermögensverwalter der Deutschen Bank – das gelte nicht nur für US-amerikanische oder asiatische Investoren, auch die Europäer selbst hätten ihren »Heimatmarkt« wiederentdeckt. Jahrelang waren europäische Aktien im Vergleich zu US-amerikanischen Anlagen nur wenig rentabel – der US-Index S&P 500 hatte im letzten Jahrzehnt sein europäisches Pendant Euro Stoxx 600 jährlich jeweils um acht Prozentpunkte übertroffen. Damit sei während der vergangenen Jahre ein Übergewicht in den USA aufgebaut worden.

Dann kam Trump und mit ihm die Unsicherheit – aber nicht nur: Aus einer ganzen Reihe von Gründen begann sich Anfang 2025 unter dem Motto »Buy Europe« an der Börse eine Neuausrichtung abzuzeichnen. Dazu zählen neben der protektionistischen Wende zunehmende Zweifel am KI-Boom in den USA, ausgelöst durch das chinesische Startup Deep Seek; günstige Einstiegschancen in Europa aufgrund niedriger Bewertungen; Zinssenkungen in der Euro-Zone sowie europäische Unternehmensstrukturen, die mehr Potential für Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen bieten.

Im Januar hatte Deep Seek aufgezeigt, in welchem Ausmaß Produkte aus China zur Gefahr für US-amerikanische Techunternehmen werden können. Dass es der chinesische KI-Chatbot trotz deutlich geringerem finanziellen Aufwand mit etablierten Modellen wie Chat-GPT aufnehmen konnte, förderte an der Börse die Zweifel an den Milliardensummen, die in US-amerikanische Techkonzerne fließen. Der Aktienkurs des führenden Chipkonzerns Nvidia brach kurzfristig um ganze 17 Prozent ein. Da erschienen relativ niedrig bewertete, europäische Anlagen verlockend – auch deshalb, weil die EZB eine deutlich lockerere Zinspolitik fährt als die US-amerikanische Fed.

Seither wenden sich Investoren zunehmend nach Europa, wo mehr Spielraum für strategische Neuausrichtung, Ausgliederung von Geschäftsbereichen, Rationalisierung von Prozessen und Stellenabbau besteht. Bereits im Februar warnte das Beratungsunternehmen Alvarez & Marsal vor dem Erstarken »aktivistischer Investoren« in Europa. Insbesondere in Deutschland und der Schweiz liefen Unternehmen Gefahr, zur Steigerung der Renditen zu operativen und strategischen Veränderungen gezwungen zu werden.

Dabei richtet sich der Blick der Spekulanten vor allem auf Industrie, Rüstung und Banken – ein Fokus, den Deutschland mit seinem gewaltigen Konjunkturpaket nochmals geschärft hat: mit einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro inklusive Klausel, die Militärausgaben über einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse ausnimmt. Damit wirkt das Paket doppelt: Es setzt sofortige Nachfrageimpulse und signalisiert zugleich eine längerfristige strategische Rückendeckung für Europas Rüstungs-, Energie- und Digitalinfrastruktur. Das macht es zum zuverlässigen Anker für europäische Aktien. Dax-Schwergewichte profitieren spürbar von diesem Programm, primär der Rüstungssektor. Rheinmetall hat inzwischen VW in der Marktkapitalisierung überholt. Dieser Trend dürfte sich verstärken. Die jüngste Festlegung des Fünfprozentziels der NATO bedeutet weiteren politischen Rückenwind für die Rüstungsindustrie.

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