Einrichtungsprüfer des Tages: Stadt Arnstadt
Von Nico Popp
Aus dem Umstand, dass der Armutsbevölkerung ein karges Über-die-Runden-kommen ermöglicht wird, leitet der bürgerliche Staat die grundsätzliche Befugnis ab, deren Lebensführung engmaschig zu reglementieren. Armut, die sich nicht mehr nützlich machen kann, muss damit rechnen, jederzeit rücksichtslos »sanktioniert« zu werden – die Normalität der Klassengesellschaft.
Deren Maßgaben strukturieren seit Jahrzehnten auch im thüringischen Arnstadt wieder das Zusammenleben. Die Resultate sind nicht erfreulich, denn mit dem Wegfall der DDR wurde dort nicht nur der schöne Titel »Älteste Stadt der DDR« gestrichen, sondern wie anderswo auch alles, was die Arbeiterklasse am Sozialismus zu schätzen wusste. Dabei ist die Stadt keineswegs überdurchschnittlich gebeutelt – nebenan liegt das Industriegebiet Erfurter Kreuz, und Lokalpolitiker versichern, dass der »Arbeitsmarkt leergefegt« sei.
Vielleicht erklärt das einen gewissen Zug zur Unduldsamkeit, der uns in einem Fall entgegentritt, über den die Thüringer Allgemeine berichtet. Ein offenbar älterer »Bürgergeldempfänger«, den die Zeitung »Siegfried« nennt, droht aus seiner Wohnung in Arnstadt zu fliegen, weil das Jobcenter keine Miete mehr an den Vermieter überweist. Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten 2024 geklingelt, um einen Rückstand bei der Hundesteuer per Pfändung einzutreiben. Dabei machten sie eine wichtige Beobachtung: Die Wohnung war, befanden sie, so spartanisch eingerichtet, dass der Verdacht aufkam, Siegfried habe dort gar nicht seinen »Lebensmittelpunkt«. Umgehend meldeten sie das dem Jobcenter.
Das stellte die Mietzahlungen ein, denn Siegfried wohne vermutlich bei einer Lebensgefährtin. Wer das sein soll, verrät das Jobcenter freilich nicht, versichern Siegfried und sein Anwalt. Nun droht der Gang in die Obdachlosigkeit. Wer die im befreiten Osten vermeiden will, sollte unbedingt auf einen bestimmten Einrichtungsstandard in den eigenen vier Wänden achten.
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