Rio rüstet auf
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Bisher hatte Rio de Janeiros Stadtpolizei, die sogenannte Guarda Municipal, »lediglich« Knüppel und Elektroschockpistolen, um das staatliche Gewaltmonopol rund um den Zuckerhut durchzusetzen. Nun haben sowohl die Mehrheit des Stadtrats mit 34 zu 14 Stimmen als auch Bürgermeister Eduardo Paes von der wirtschaftsliberalen Partei MDB einen Gesetzentwurf für die Bewaffnung der Polizeikräfte mit tödlichen Schusswaffen verabschiedet. Dies verleihe der Stadt eine aktive Rolle im Kampf gegen die Kriminalität und werde Rios Einwohnern (Cariocas) mehr Frieden und Sicherheit bringen, so Paes. Konkret wird eine Elitetruppe der Guarda Municipal geschaffen, die die Schusswaffen »integral« tragen und damit auch mit nach Hause nehmen dürfen. Die bis zu 600 Mann und Frau starke Einheit soll bereits im kommenden Jahr durch Rios Straßen patrouillieren.
Brasiliens Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) hatte sich bereits im Vorfeld der Entscheidung klar gegen die Aufrüstung der Guarda Municipal mit tödlichen Waffen ausgesprochen. In einem ausführlichen, noch vor der Abstimmung an den Stadtrat gerichteten Dokument brachte sie ihre Befürchtung zum Ausdruck, dass dies lediglich zu noch mehr Gewalt und Unsicherheit in den Straßen von Rio führe.
Schon seit Jahren verzeichnet der Bundesstaat Rio de Janeiro eine der höchsten Todesraten in Brasilien und weltweit durch Einsätze der mit Pistolen, Schnellfeuergewehren und Panzerfahrzeugen ausgerüsteten Landespolizei, Policia Militar (PM) genannt. Laut Daten des Instituts für öffentliche Sicherheit (ISP) erschossen die Beamten der Landespolizei im vergangenen Jahr 699 Verdächtige, flüchtige Verurteilte oder Unschuldige. Dies war zwar ein Rückgang um rund 20 Prozent gegenüber 2023, als die Sicherheitskräfte im Dienst 871 Personen töteten. Doch in den ersten vier Monaten dieses Jahres stieg die Rate der Getöteten bei Polizeieinsätzen wieder um mehr als 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Allein im Stadtgebiet Rio de Janeiros tötete die Policia Militar 285 Personen seit Anfang 2025. Die Bundesstaatsanwaltschaft befürchtet, dass der Schritt, auch die Stadtpolizei mit Schusswaffen auszustatten, diese traurige Statistik eher verschlimmern denn bessern wird. Rios 1992 gegründete Guarda Municipal habe sich bereits in der jüngsten Vergangenheit nicht als polizeilicher Musterknabe profiliert. Sowohl die Bundesstaatsanwaltschaft als auch andere Justizbehörden beklagen den Einsatz von exzessiver Gewalt insbesondere gegen Straßenhändler und Obdachlose sowie Verstöße gegen Menschenrechte durch die städtischen Sicherheitskräfte.
Außerdem zeigten kriminalistische Studien, dass die Zunahme von im Umlauf befindlichen Schusswaffen in Brasilien mit einem Anstieg von Morden und Raubüberfällen in Verbindung steht. Wenn die Guarda Municipal über mehr letale Waffen verfügt, so auch die Bundesstaatsanwaltschaft, könnte das Risiko steigen, dass diese auf den florierenden Schwarzmarkt und damit in die Hände von Kriminellen gelangen. Unter Berücksichtigung aller genannten Punkte kommt die Bundesstaatsanwaltschaft daher zu dem Schluss, dass die Verabschiedung des Gesetzes das Grundrecht auf öffentliche Sicherheit einschränken und die Gewaltsituation in Rio verschlimmern könnte.
Das Kriminalitätsproblem könne nicht mit mehr Waffen gelöst werden, kommentierte ein Beamter der Stadtpolizei den Beschluss in einem Interview mit einer Journalistin von »Rampas«, einem Projekt von Journalismusstudenten der Landesuniversität von Rio. »Mehr Waffen verschärfen nur die Kontrolle. Menschen mit Waffen in der Hand werden aggressiver, intoleranter und unkontrollierbarer«, so der Beamte, der anonym bleiben möchte. Nichts Gutes befürchtet auch Maria dos Camelôs, die seit über 20 Jahren als Straßenverkäuferin in Rio überlebt. Gegenüber »Rampas« sagte sie: »Wir leiden bereits jetzt täglich unter der Gewalt der Stadtpolizisten, auch ohne dass sie schwer bewaffnet sind. Wie wäre es wohl mit Schusswaffen?«
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