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Aus: Ausgabe vom 25.06.2025, Seite 4 / Inland
Görlitzer Park in Berlin

Repressiver Bauzaunbau

Einzäunung des »Görlis« in Berlin beginnt. Bündnis kritisiert Symbolpolitik, Polizei ihre Überlastung. Senat lässt unbehelligt weiterbauen
Von Niki Uhlmann
Verhältnismäßig: Große Zäune erfordern große Bolzenschneider (Berlin, 23.6.2025)
»Görli bleibt auf«, lautete die Parole, die mehr als 1.000 Demonstranten skandierten (Berlin, 23.6.2025)
Das revolutionäre Frühstück auf der werdenden Baustelle am Görli (Berlin, 24.6.2025)

Tag Z ist gekommen. Der Zaunbau am Görlitzer Park in Berlin hat allen Einwänden zum Trotz begonnen. Dagegen haben laut dem Bündnis »Görli zaunfrei!« (GZ) am Montag abend mehr als 1.200 Menschen protestiert. Die Verschiebung des Baubeginns um »mindestens einen Tag« nach Ankündigung des Protests wertete es auf seiner Webseite als kleinen »Erfolg«, der aber »erst der Auftakt« gewesen sei. »Gegen den Willen der Bevölkerung« könne die Abriegelung des Görlis nicht »durchgesetzt werden«. Klar benennt GZ Verantwortliche und Ziel: »Herr Wegner, blasen Sie dieses irrsinnige Projekt ab, und deeskalieren Sie die Situation!«

Daran denken aber weder der Regierende Bürgermeister noch sein Senat. Schon am Morgen vor der Demo umriss Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) den Bauplan gegenüber dem RBB: Zunächst werde die Baustelle eingerichtet, darauf folgten die Fundamente für die Tore und die Schließung aller Lücken, bis zuletzt die Tore gesetzt würden. »Die Debatte ist sehr hoch emotionalisiert«, habe gleichentags Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses erzählt. Der Nachfrage von Niklas Schrader (Linke), wie viele Polizisten zur Absicherung des Baus benötigt würden, sei sie ausgewichen. Die Polizei ergreife »Maßnahmen, angepasst an die jeweilige Lage«.

Nur hatte die sogenannte Gewerkschaft der Polizei die »Bauarbeiten für den umstrittenen Zaun« bereits vergangene Woche auf Facebook als »riesige Herausforderung« kritisiert. Demnach reichten die »personellen Kapazitäten« nicht aus, um »dutzende Kollegen« dafür einzuspannen, »dass ein paar Zaunteile hochgezogen werden«. Die »alltägliche Kriminalitätsbekämpfung« würde beeinträchtigt, weshalb der Bezirk »von seinem Hausrecht im Park Gebrauch« machen und auf »private Wachschützer« zurückgreifen solle. Deutlich wird jedenfalls, dass das Projekt eingezäunter Görli den von der Berliner Regierung prognostizierten Kostenrahmen von rund 1,7 Millionen Euro mit Leichtigkeit sprengen dürfte. Die Berliner Polizei äußerte sich auf jW-Nachfrage bis Redaktionsschluss am Dienstag nicht zu Kosten oder Überlastung.

Weniger eigennützige Einwände erreichten jW im Nachgang der Demo von einem Beteiligten des Bündnisses. Als »reine Symbolpolitik«, die die »Probleme im Kiez nicht löst, sondern einfach verlagert«, bezeichnete Johan von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) den Zaunbau. Das soziale Angebot, das im Görli vielen Menschen helfe, würde schwieriger, und das umliegende Gebiet folglich unsicherer. Statt des Zauns brauche es mehr Konsumräume, Unterkünfte und Straßensozialarbeit, zumal ein Großteil der Drogendelikte bereits jetzt nicht im, sondern nahe dem Park stattfinde. Letztlich sei der Görli schon immer »Sinnbild eines rebellischen und kreativen Berlins« gewesen. Die Einzäunung lasse sich in eine »generelle Entwicklung hin zu einem reaktionären Staat« einordnen. Letzterer reagiere auf Probleme immer häufiger mit »mit mehr Überwachung, mehr Polizei, mehr Gewalt und mehr Verdrängung«. Im Juli werde man den nächsten »Rave against the Zaun« veranstalten.

Bautechnisch war im Görli am Dienstag vormittag tote Hose. Zwar waren gleich an mehreren Parkeingängen Radlader aufgefahren worden. Bedient wurde jedoch nur ein einziger. Von vier an der Wiener Straße anzutreffenden Bauarbeitern waren zwei damit beschäftigt, zwecks künftigem Zaunbau einen Bauzaun zu errichten. »Bis Weihnachten« sollen die Bauarbeiten andauern, wusste einer der beiden. Zu ihrer Meinung zum Zaun befragt, korrigierte der andere in gebrochenem Deutsch: »Nicht Zaun, Tür.« Eine Anwohnerin ging vorüber und empörte sich: »Das wollen die alles dichtmachen?!« Ob sie damit die Bauarbeiter oder die Berliner Regierung gemeint hat, bleibt Spekulation.

Rund 40 aktivistische Vertreter der empörten Stadtgesellschaft seien zuvor zu einem Frühstück auf der geplanten Baustelle zusammengekommen, teilte GZ am Dienstag morgen auf dem Kurznachrichtendienst X mit. Laut Tagesspiegel hätten 100 Polizisten die Demonstranten »umstellt«, zwei von ihnen sogar »kurzzeitig verhaftet«, obwohl die Bauarbeiten »nicht blockiert« worden seien. Es war ein beiderseits medial flankiertes Spektakel, auf dessen ausgiebige Fortschreibung sich die Berliner in den kommenden sechs Monaten einstellen dürfen.

Allerdings sind nicht alle Anrainer und Besucher des Görlis kategorisch gegen den Zaun. So schilderte der Beschäftige eines angrenzenden Geschäfts der jW, dass es vor dem Laden ebenso wie im Park »jeden Abend Probleme« gäbe. Ähnliches schilderten zwei drogenabhängige Männer, während sie Crack-Kokain durch kleine Metallpfeifen geraucht haben. »Einige hier machen Stress, nachdem sie Drogen genommen haben«, hieß es. Der Park an sich sei aber schön. Darum begrüßte einer die Schließung des Görlis bei Nacht. Immerhin könne man tagsüber in den Park. Der zweite wendete ein, dass einige im Park leben, bei einer Abriegelung womöglich keine andere Bleiben finden würden. Zum Abschied boten sie der jW freundlich ein wenig Crack an.

Resümieren lässt sich vorläufig nur, dass GZ noch reichlich Aufklärung zu leisten hat, bis es von einer einhelligen Ablehnung des Zauns durch die Berlinerinnen und Berliner sprechen kann. Erstmal wird weiter gebaut.

Hinweis: In einer älteren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise Niklas Schenker (Die Linke) habe im Innenausschuss die Nachfrage gestellt. Richtig ist Niklas Schrader.

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