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Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Alles nach Plan

Halbzeit der Radsportsaison 2025. Die Überraschung: Es gab keine Überraschungen
Von Felix Bartels
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Hier nur zweiter: Tadej Pogačar mit seinem Team UAE

Radrennen ist, wenn 180 Fahrer an den Start gehen und Tadej Pogačar gewinnt. Seit Eddy Merckx hat es eine solche Dominanz nicht gegeben, einen solch kompletten Fahrer nicht seit Bernard Hinault, Fausto Coppi oder eben Merckx. Pogačar kann alles. Stark im Zeitfahren, unschlagbar im Hochgebirge, explosiv bei hügeligen Klassikern, resistent im Wind als Roleur wie auf Kopfsteinpflaster, auch im Sprint konkurrenzfähig (die reinen Spezialisten beiseite). Was er an Watt im Verhältnis zum Körpergewicht auf die Straße bringt, ist beachtlich, und er hat 2025 ziemlich dort weitergemacht, wo er 2024 aufhörte.

So brachte diese erste Saisonhälfte wenig Überraschungen, außer der vielleicht, dass die Alphafahrer ihre Stellung behaupten konnten. Es fällt schwer, eine Zeit zu erinnern, in der ein solch starkes Gefälle zwischen der Handvoll Topfahrer und dem Rest des Pelotons bestand. Ausgenommen werden muss hier das Sprintsegment. Dort fehlen derzeit Figuren wie einst Cipollini, Petacchi oder Cavendish, die hamstergleich Siege bei Massenankünften sammeln.

Gründe, aus denen die Spitze so wenig breit ist, wären in der Tendenz zu kürzeren Renndistanzen zu suchen oder im Umstand, dass Fahrer heute weniger Renntage im Jahr fahren und, abhängig davon, dass sie zum Saisonstart in Topform antreten. Anders als die Indurains, Armstrongs und noch ein Froome holen die Tour-Favoriten sich ihre Rennhärte bereits im Training. Die Kalenderreform 2011 zudem hat mit der Schaffung der World Tour die Saisonplanung vereinfacht. Alles konzentriert sich auf 15 Rundfahrten (darunter drei Grand Tours), 21 Eintagesrennen (darunter fünf Monumente) und die zwei WM-Rennen. Der Kalender wurde entzerrt, große Rennen kollidieren weniger. Lediglich Paris–Nizza und Tirreno–Adriatico haben ihren Zwillingscharakter behalten, Baskenland und Katalonien überschneiden sich mit den Frühjahrsklassikern.

Die World Tour beginnt, Down Under beiseite, im Februar mit der UAE-Rundfahrt. Dieses blutleere Etappenrennen war auch dadurch nicht zu retten, dass Pogačar (UAE) hier zum Saisonstart siegte. Die Zielankunft der Schlussetappe, anscheinend auf einem Parkplatz, wirkte wie ein Kindergeburtstag während der Pandemie. Der UAE-Tour folgt der italienische März, eröffnet mit dem toskanischen Schotterklassiker Strade Bianche, den ebenfalls Pogačar gewann, abgeschlossen mit dem ersten Monument Milano–Sanremo, das ­Mathieu van der Poel (Alpecin) für sich entscheiden konnte. Von beiden Rennen umklammert wird die Fernfahrt ­Tirreno–Adriatico, bei der Pogačars Teamkollege Juan Ayuso gewann, während bei der parallel ausgetragenen, etwas renommierteren Fernfahrt Paris–Nizza Matteo Jorgensen siegte, der im Team von Pogačars großem Konkurrenten Jonas Vingegaard fährt: Visma und UAE teilten sich den März brav auf.

Mit Milan–Sanremo eröffnet der italienische März zugleich die Saison der Frühjahrsklassiker, die bis Ende April dauert. Zunächst schließen die Pflasterklassiker in Westbelgien an. Sie sind in der Regel ganz flach oder haben wenige, kurze, dafür sehr steile Passagen, weshalb sie keinen bestimmten Fahrertypus begünstigen. Ihr Hauptmerkmal ist der schwer zu fahrende Straßenbelag, Kopfsteinpflaster vor allem. Am wenigsten noch bei Gent–Wevelgem, das, wie Milan–Sanremo, sprintstarken Fahrern liegt. Dieses Rennen gewann mit Mads Pedersen (Lidl) denn auch ein Klassikerfahrer, der sich in den letzten Jahren zum Sprinter hin entwickelt hat. Das an der Grenze zu Belgien endende, flache Monument Paris–Roubaix hat etliche Kopfsteinpflasterpassagen und gilt als härtestes Eintagesrennen der Saison. Hier siegte van der Poel, der kraftvolle Steuerkünstler mit Cross-Hintergrund. Zweiter wurde Pogačar, denn der, wie gesagt, kann alles. Beim Pflastermonument Ronde van Vlaanderen holte er dann folgerichtig, der Kurs hat etwas mehr Steigungen als Paris–Roubaix, den Sieg. Beim ebenfalls kopfsteinbepflasterten Dwars door Vlaanderen siegte Neilson Powless (EF Education) aus einer vierköpfigen Gruppe mit drei Visma-Fahrern heraus. Visma hatte den Fehler gemacht, alles auf den Favoriten Wout van Aert zu setzen, statt Powless mit wechselnden Attacken zu zermürben.

Nach den Pflasterrennen zieht der Zirkus weiter ins östliche Belgien, von Flandern in die Ardennen. Hier haben Fahrer Vorteile, die mit zahlreichen, kürzeren, doch steilen Anstiegen zurechtkommen. Wer da an Pogačar denkt, denkt richtig, beim niederländischen Amstel Gold Race aber, das – warum immer – zu den Ardennenklassikern gerechnet wird, gewann überraschend Mattias Skjelmose (Lidl) gegen Pogačar im Zielsprint. Der wiederum holte den Sieg auf den steilen Kursen der echten Ardennenrennen Flèche Wallonne und Lüttich–Bastogne–Lüttich. Mit dem Frühjahr sind vier der fünf Monumente absolviert. Zwei (Sanremo, Roubaix) gewann van der Poel, zwei (Flandern, Lüttich) Pogačar, der Il Lombardia, das fünfte Monument im Oktober, bei den letzten vier Austragungen gewonnen hat. Die Tendenz verstetigt sich: Pogačar und van der Poel fahren bei den Klassikern in einer eigenen Liga so wie Vingegaard und Pogačar bei den Rundfahrten.

Derweil standen in Spanien die schweren Etappenrennen im Baskenland und in Katalonien an. Hier siegten Pogačars Teamkollege João Almeida und Primož Roglič (Red Bull), der Katalonien als Vorbereitung für den Giro d’Italia absolvierte, die erste Grand Tour der Saison. Während Almeida im Mai mit der Tour de Romandie eine weitere einwöchige Rundfahrt gewann, stürzte Roglič beim Giro früh und musste aufgeben. Das UAE-Team hatte mit Ayuso einen Favoriten am Start, der nicht zum ersten Mal zeigte, dass er kein Mannschaftsfahrer ist. Als er in der Gesamtwertung keine Aussicht mehr hatte, verausgabte er sich kaum für seinen in Führung liegenden Mannschaftskollegen Isaac Del Toro. Der lag bis zur vorletzten Etappe auf Position eins, machte aber einen kaum erklärbaren taktischen Fehler: Er konzentrierte sich auf den zweitplatzierten Richard Carapaz (EF Education) und ließ Simon Yates (Visma) am vorletzten Anstieg ziehen. Yates erhielt Hilfe vom vorausgefahrenen Fast-alles-Könner van Aert und sicherte sich den Giro-Sieg. Nicht das erste Mal, dass UAE, zweifellos mit dem besten Kader ausgestattet, taktisch wie auch als mannschaftliche Einheit versagte.

Im Juni fanden die letzten Etappenrennen vor der Tour de France statt. Da die Dauphiné eine Woche vor der Tour de Suisse beginnt, gingen die meisten Tour-Favoriten bei der französischen Rundfahrt an den Start. Sie gewährt mehr Spielraum für ein letztes Höhentrainingslager vor der Tour. So trafen mit Vingegaard, Pogačar und Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) die drei stärksten Rundfahrer aufeinander. Dass Evenepoel das Zeitfahren für sich entscheiden konnte, war wenig überraschend. Er kann, noch vor Stefan Küng (FDJ), Filippo Ganna (Ineos) oder Joshua Tarling (Ineos), als bester Zeitfahrer im Zirkus gelten. Dass er dem starken Zeitfahrer Pogačar auf 17 Kilometern 48 Sekunden abnahm, war dennoch ungewöhnlich. Vielleicht macht sich hier Pogačars Konzentration auf die Klassiker bemerkbar. Möglicherweise kollidiert das auf Spritzigkeit ausgelegte Training mit dem auf Gleichmäßigkeit ausgelegten Zeitfahren. Bei den Gebirgsetappen der Dauphiné konnte Pogačar dann den Rückstand tilgen und holte am Ende überlegen den Rundfahrtsieg vor Vingegaard, während Evenepoel in den Bergen vollends einbrach.

So zeichnet sich für die kommende Tour de France ein klares Bild ab. Das einschlägige Quartett Roglič, Pogačar, Vingegaard, Evenepoel scheint sich wiederum auf das Duell Pogačar vs. Vingegaard zu reduzieren. Topform beider vorausgesetzt, und Überraschungen, wie üblich, vorbehalten.

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