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Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 7 / Ausland
US-Angriff auf Iran

Moralischen Kompass verloren

US-Angriff auf iranische Atomanlagen: Zorn islamisch-arabischer Welt auf Westen wächst. Teherans Außenminister setzt weiter auf Diplomatie
Von Karin Leukefeld, Beirut
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»Kein US-israelischer Krieg gegen Iran«: Protest gegen den Feldzug ihrer Regierung am 18. Juni in New York

Freitag in Genf, Sonnabend in Istanbul und von dort weiter nach Moskau, der iranische Außenminister Abbas Araghtschi lässt nichts unversucht, um den Krieg zu beenden, den Israel Iran aufgezwungen hat. Die Unterstützung der arabischen und islamischen Staaten ist Teheran sicher. Die Außenminister der Arabischen Liga erklärten bereits am Vorabend der Sitzung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) am Sonnabend in Istanbul, dass der nicht vom Iran provozierte Angriff von Israel sofort beendet und das internationale Recht, die UN-Charta und der Vertrag zur nuklearen Nichtverbreitung eingehalten werden müssten. Während Araghtschi in der türkischen Metropole mit zahlreichen OIC-Amtskollegen zusammentraf, fand unter Leitung des Gastgebers Recep Tayyip Erdoğan ein gesondertes Treffen zur Lage im Iran statt. Dort erklärten sowohl der Präsident als auch weitere Staaten ihre Bereitschaft, als Vermittler für Teheran aktiv werden zu wollen.

Iran sei der OIC dankbar für die umfassende und einstimmige Unterstützung angesichts der israelischen Aggression, erklärte Araghtschi auf X. »Während der Westen angesichts der israelischen Grausamkeiten – nicht nur gegen Iran, sondern gegen Muslime in der ganzen Region – wegsieht, gibt es beispiellosen Zorn und breite Solidarität in der islamischen Welt. Der Westen sollte das zur Kenntnis nehmen, er hat seinen moralischen Kompass komplett verloren.« Zuvor hatte Araghtschi am Freitag vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf die Verurteilung des israelischen Krieges gegen sein Land gefordert.

Am Nachmittag war er mit den Außenministern der sogenannten E3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zu einem mehrstündigen Gespräch zusammengetroffen. Bei einer anschließenden Presseerklärung sagte Araghtschi, Iran sei von Israel angegriffen worden und nehme sein international verbrieftes Recht auf Verteidigung wahr. Verhandlungen seien möglich, wenn Israel seine Angriffe einstelle. Die (militärischen) Möglichkeiten Irans, seine Interessen und das iranische Volk zu verteidigen, seien nicht verhandelbar. Die E3-Außenminister erklärten lediglich, Iran dürfe niemals eine Atomwaffe besitzen und müsse an den Verhandlungstisch mit den USA zurückkehren. Berichten zufolge forderten die drei an den Atomverhandlungen mit Teheran beteiligten Staaten zusätzlich, dass Iran sein ballistisches Raketenprogramm einstellen müsse. Das hatte Araghtschi zuvor bereits ausgeschlossen.

Zum US-Angriff auf drei nukleare Anlagen im Iran am frühen Sonntag morgen bei gleichzeitig laufenden Gesprächen erklärte Araghtschi: »Letzte Woche verhandelten wir mit den USA, als Israel beschloss, diese Diplomatie zu sprengen. Diese Woche sprachen wir mit den E3/EU (-Staaten), als die USA beschlossen, diese Diplomatie platzen zu lassen.« Gefolgt von der Frage: »Welchen Schluss würden Sie daraus ziehen?« Großbritannien und die EU-Kommission forderten, der Iran solle an den Verhandlungstisch »zurückkehren«, aber »wie soll der Iran zu etwas zurückkehren, dass er nie verlassen, geschweige denn hat platzen lassen?«

»Um unmissverständlich das kriminelle Verhalten der Vereinigten Staaten gegen Iran zu verurteilen«, forderte Araghtschi am Sonntag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Die USA sollten »für diese ungeheuerliche Missachtung internationalen Rechts und der Grundprinzipien der UN-Charta« zur Verantwortung gezogen werden. Noch am selben Tag wollte er nach Moskau weiterreisen, wo er an diesem Montag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammentreffen soll. Russland und China hätten eine Resolution für den UN-Sicherheitsrat vorbereitet, die angesichts der US-Eskalation gegen Iran neu beraten werde, teilte er mit.

Trita Parsi, Vizepräsident des Quincy Instituts für verantwortliche Staatsführung wies die Angabe aus dem Weißen Haus zurück, der Angriff sei eine Reaktion auf eine tatsächliche und unmittelbare Gefahr für die USA durch den Iran gewesen. Dafür gebe es »absolut keinen Beweis«, so Parsi. »Weder existentiell noch unmittelbar«. Tatsache sei, dass zwei Länder, die über Atomwaffen verfügen, ein drittes Land angegriffen haben, das keine Nuklearwaffen habe. »Israel wurde nicht vom Iran angegriffen, Israel hat den Krieg begonnen. Die USA wurden nicht vom Iran angegriffen, die USA haben diese Konfrontation begonnen.«

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