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Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 6 / Ausland
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Gefühl von tiefem Chaos

Mumia Abu-Jamal spricht im Rolling Stone zur aktuellen politischen Lage
Von Jürgen Heiser
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Der US-Bürgerrechtler und Autor Mumia Abu-Jamal sei jemand, »der nicht nur über die hässlichsten Seiten dieses Landes schreibt, sondern sie auch jeden Tag selbst erlebt«. Das schreibt Dave Zirin in der Einleitung seines Interviews mit Abu-Jamal, das am vergangenen Dienstag im Musikmagazin Rolling Stone veröffentlicht wurde. Gemeint sind die Zellen des US-Gefängnissystems, in denen der politische Gefangene seit Dezember 1981 eingesperrt ist. Vor dem Hintergrund seiner bisher über 43 Jahre lang unschuldig erlittenen Haft erklärte der 71jährige, es habe »schon immer Phrasendrescherei über faire Verfahren, das Recht auf Geschworene von seinesgleichen und andere Verfassungsgarantien zum Schutz von Angeklagten gegeben«. Es komme jedoch nicht darauf an, was in der Verfassung stehe, sondern wie sie praktiziert werde.

»Es gibt Rhetorik und es gibt die Realität, und diese beiden Flüsse treffen sich selten«, sagte er, aber bei dem Thema denke er weniger an sich, sondern mehr an Fred Hampton, den ehemaligen Vorsitzenden der Chicagoer Ortsgruppe der Black Panther Party, der 1969 »vom Staat in seinem Bett erschossen wurde, weil er ein Black Panther war«. Er sei mit drei anderen »Panthern« aus Philadelphia unmittelbar nach Bekanntwerden von Hamptons Ermordung nach Chicago gereist. »Wir standen nur wenige Meter von seiner blutgetränkten Matratze entfernt und nicht weit von der Tür, die wie Schweizer Käse aussah«, so Abu-Jamal, »weil sie in den frühen Morgenstunden von automatischen Waffen durchlöchert worden war. Ein faires Verfahren? Am Arsch!«

Im April hatte Zirin Abu-Jamal im Staatsgefängnis Frackville in Pennsylvania besucht, anschließend führten sie das Gespräch per Telefon. »Ich hatte ihn bereits vor 15 Jahren interviewt«, schreibt Zirin, »aber jetzt, inmitten der aktuellen politischen Umwälzungen, steht viel mehr auf dem Spiel, wenn wir darüber diskutieren, ob der oft diskutierte ›Weg in den Faschismus‹ bereits ein Ziel erreicht« habe.

»Mumia, jetzt 71, beantwortet Fragen über die Katastrophe, die dieses Land ist, und die Kontinuität, die uns hierher gebracht hat«, erklärte Zirin gegenüber Prison Radio, dessen Mitgründerin Noelle Hanrahan auch Anwältin von Abu-Jamal ist und zusammen mit dem »Abolitionist Law Center« für das Zustandekommen des Interviews gesorgt hatte. Zirin dankte beiden dafür. Es sei wichtig, »Mumias Worte in den Rolling Stone zu bringen«, weil es bedeute, »dass ein breiteres Publikum als die engagierte Linke lesen wird, was er zu sagen hat«. Die Redakteurin Elisabeth Garber-Paul habe zwar »zu Recht meine hitzköpfige, interventionistische Einleitung gekürzt«, so Zirin, »aber es wurde kein einziges Wort, kein einziger Punkt von Mumia abgeschwächt«. Letzterem dankte er vor allem »für sein Vertrauen«.

Zirin hatte seinen Interviewpartner gefragt, wie er das verstehe, was außerhalb der Gefängnismauern politisch vor sich gehe. Abu-Jamal antwortete, es sei schwer, die Welt im Moment »nicht ohne ein Gefühl von tiefem Chaos zu betrachten, das einen jeden Tag ergreift«. Das liege zum Teil daran, »dass sich das Land für eine Politik des Wahnsinns, der Niedertracht und für eine Art von Massenignoranz entschieden« habe. Das dürfe man nicht ignorieren, aber es liege »in der Natur dieser Bestie«.

»Leben wir jetzt im Faschismus?« hakte Zirin nach. »Ja, es ist Faschismus«, sagte Abu-Jamal. In den 1960er Jahren habe »dieses Wort politischen Zwecken gedient, nicht um unsere Analyse, sondern unsere Rhetorik zu vertiefen«. Doch jetzt sei ein anderes Zeitalter angebrochen. »Mein Verständnis von Faschismus war immer die Verbindung von Staat und Konzernen.« Diese »Ehe« werde ständig erneut vollzogen. »Die Konzerne sind die wichtigste Machtquelle im politischen Leben.« Die Gesetze würden für sie geschrieben, »egal worum es geht«. Aber wie Karl Marx sagte, werde diese ökonomische Kontrolle über unser Leben – und die Versklavung durch das Auf und Ab der Wirtschaftskrise – nicht aufhören, solange die Menschen nicht anfangen, in andere Richtungen zu denken. »Das ist wichtig, denn der Kapitalismus ist Gangstertum auf globaler Ebene, und dem muss man entgegentreten.«

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