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Aus: Ausgabe vom 24.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Repression in Spanien

Maulkorb bleibt

Spanien: Auch in der zweiten Amtsperiode der »progressiven« Regierung hält die Repression gegen Antifaschisten und Gewerkschafter an
Von Carmela Negrete
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Protest gegen das »Maulkorbgesetz« am 22. Juni 2024 in Madrid

Vor zehn Jahren trat in Spanien das sogenannte Maulkorbgesetz in Kraft, das die Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblich einschränkt. Während die progressive Koalitionsregierung dieses »Ley Mordaza« bis heute nicht abgeschafft hat, häufen sich Festnahmen und Verurteilungen von linken Aktivisten.

So sind für diesen Mittwoch vier junge Aktivistinnen der linken Gruppe Rebeldía als Beschuldigte in einem Verfahren vor dem Gericht an der Plaza de Castilla in Madrid vorgeladen. Sie hatten am 8. Februar in der spanischen Hauptstadt gegen ein internationales Gipfeltreffen der extremen Rechten unter dem Motto »Lasst uns Europa wieder groß machen« demonstriert, an dem unter anderem der Vorsitzende der rechten spanischen Partei Vox, Santiago Abascal, sowie Marine Le Pen und Viktor Orbán teilnahmen.

Die Jugendlichen hatten eine friedliche, symbolische Protestaktion durchgeführt, bei der es zu keinerlei Schäden gekommen war. Dennoch werden sie nun strafrechtlich verfolgt. Sie sehen ihren Fall »als Teil einer Offensive gegen politisch organisierte Menschen« in Spanien. Ihr »Verbrechen« sei es gewesen, »ihre Stimme gegen die von der extremen Rechten geförderte Politik des Hasses« zu erheben, schreiben sie in einem Manifest. »Diejenigen, die Intoleranz anprangern, werden verfolgt, während die wahren Verfechter des Hasses ungestraft davonkommen.« Man wolle »Repression als Mittel einsetzen, um politische Organisation zu bestrafen und Angst zu verbreiten«.

Ein anderer Fall betrifft den Aktivisten Adrià Sánchez, dem am 21. Juni eine von einem für Strafsachen zuständigen Gericht in Barcelona verkündete Amnestie verweigert wurde, die im Zusammenhang mit dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 steht. Sánchez ist zu neun Jahren Haft verurteilt worden, weil er an einer Demonstration gegen die extrem rechte Polizeigewerkschaft Jusapol teilgenommen hatte, die Unterstützer des Referendums bedroht hatte. »Ein Teil der Justiz sucht nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach Rache«, kommentierte der frühere Europaabgeordnete der Vereinigten Linken (Izquierda Unida), Manuel Pineda, auf X. Die Entscheidungen vieler Richter seien »von einer ultrakonservativen Ideologie geprägt«, die Justiz agiere zunehmend »als politischer Arm der Reaktion«. Pineda und seine Partei, die zur Regierungskoalition gehört, fordern einen Freispruch für Adrià Sánchez und weitere Angeklagte, die sich ebenfalls wegen ihrer Teilnahme an den Protesten verantworten müssen.

Bekanntheit erlangte auch der Fall der »Sechs aus Zaragoza«: Seit April 2024 befinden sich sechs Antifaschisten in Haft, weil sie im Rahmen eines Protests gegen Vox 2019 die öffentliche Ordnung gestört haben und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet haben sollen. Vier von ihnen wurden zu Höchststrafen von sieben Jahren Gefängnis verurteilt, zwei weitere zu Jugendarrest von einem Jahr und Geldstrafen in Höhe von 11.000 Euro. In einer von mehr als 3.000 Personen, darunter etliche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, unterschriebenen Erklärung wird ihre Freilassung gefordert. Das Urteil sei »ungerecht«, da in dem Gerichtsverfahren die Unschuldsvermutung missachtet worden sei. Die Unterzeichnenden erklären, dass die sechs Antifaschisten nach willkürlicher Festnahme und bei fehlenden Beweisen aufgrund falscher Anschuldigungen durch die Polizei verurteilt wurden. Die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit selbst sei in Gefahr: »Daher verstößt das Urteil gegen die Grundprinzipien der Menschenrechte, und es ist leider nicht das erste in dieser Hinsicht«, stellen sie fest.

So befindet sich der Rapper Pablo Hasél allein aufgrund des Inhalts seiner Liedtexte seit vier Jahren in Haft. Valtònyc, ein anderer Rapper, musste ins Ausland fliehen, um der Verfolgung zu entgehen. Selbst Gewerkschafterinnen, die sich an einem Protest in einem Eisladen beteiligt hatten, wurden verfolgt, verurteilt und inhaftiert.

Hintergrund: »Maulkorbgesetz«

»Wir werden es abschaffen, sobald wir an der Regierung sind – da kannst du ganz sicher sein«, versicherte der Vorsitzende des sozialdemokratischen PSOE, Pedro Sánchez, als ihn im Wahlkampf 2015 ein junger Mann aus Madrid im Privatsender La Sexta zum sogenannten Maulkorbgesetz befragte. Inzwischen regiert Sánchez in zweiter Amtsperiode als Ministerpräsident. Das Gesetz ist immer noch in Kraft.

Als »Maulkorbgesetz« wird umgangssprachlich das Gesetz 4/2015 zum Schutz der öffentlichen Sicherheit bezeichnet. Dieses Gesetz, das die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt und mit dem die Sicherheitskräfte mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet und neue Strafen eingeführt wurden, ist von der rechtskonservativen Volkspartei (PP) im Zuge der Massenproteste der sogenannten 15.-Mai-Bewegung von 2011 während der Immobilienkrise und der von der Troika angeordneten Kürzungen verfasst worden. Es wurde im Juli 2015 rechtskräftig.

Als »sehr schwere« Gesetzesverstöße können seitdem etwa unangemeldete Demonstrationen an kritischer Infrastruktur wie Flughäfen oder Atomkraftwerken mit Geldstrafen in einer Höhe von 30.001 bis 600.000 Euro geahndet werden. Als »schwere« Verstöße gelten ungenehmigte Demonstrationen vor Parlamenten, das Filmen von Polizeibeamten, wenn dadurch deren Sicherheit gefährdet wird, sowie die Missachtung von polizeilichen Anweisungen. Dies kann mit Strafen zwischen 601 und 30.000 Euro geahndet werden. Leichte Verstöße wie Beleidigungen von Polizisten oder das Verweigern der Identitätsfeststellung ziehen Geldstrafen zwischen 100 und 600 Euro nach sich.

Ende 2024 debattierte das spanische Parlament über eine Gesetzesänderung, der PSOE weigerte sich zu großen Teilen, das Gesetz abzuschaffen. Die vorgeschlagene Reform sieht nun vor, dass keine Gummigeschosse mehr benutzt werden dürfen, dass Strafen wegen Respektlosigkeit und Widerstand gegen die Polizei gesenkt werden und Pushbacks von Migranten ohne Papiere verboten sind. (cn)

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