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Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 2 / Inland
Der Fall Jürgen Rose

»In dem Revier herrschte Willkür«

Im Todesfall Jürgen Rose leistet der Verein »Recherche-Zentrum« Aufklärungsarbeit. Ein Gespräch mit Nadine Saeed
Interview: Max Ongsiek
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Das Polizeirevier Dessau-Roßlau in der Wolfgangstraße 25

Am 8. Dezember 1997 kam der 36jährige Ingenieur Jürgen Rose nach einem Aufenthalt im Polizeirevier Dessau ungeklärt zu Tode. Gemeinsam mit Roses Familie arbeitet der Verein »Recherche-Zentrum« an Fallaufklärung und Täterüberführung. Was ist über den Tag der Festnahme bekannt?

Abends war Rose mit Freunden in einer Kneipe im Westteil der Stadt Dessau. Mit 1,98 Promille fuhr er anschließend zur Wohnung der Freunde und stieß beim Einparken gegen ein anderes Auto. Die Besitzer hielten ihn fest und riefen die Polizei. Die folgende Schilderung basiert auf Polizeiangaben, die mit Vorsicht zu genießen ist: Die Beamten führten bei Rose einen Alkoholtest durch, stellten dessen Alkoholisierung fest, nahmen ihn auf die Wache, entließen ihn um 3.01 Uhr. Er soll den Beamten dann angekündigt haben, mit seinem Auto fahren zu wollen. Die schickten eine Streife. Rose wurde gestoppt, zur Wache gebracht und um 3.35 Uhr wieder entlassen. Um 5.06 Uhr ging dort ein Anruf ein. Eine schwerverletzte Person läge vor der Wolfgangstraße 15, nur 250 Meter entfernt vom Polizeirevier. Zwei Beamte fanden ihn unterkühlt und schwer verletzt. Anschließend wurde der Ingenieur querschnittsgelähmt ins Krankenhaus gebracht. 24 Stunden später starb er. Laut Polizei soll Rose aus dem Fenster des Hauses Wolfgangstraße 15 gesprungen sein. Tatsächlich verursachten Tritte und Stockschläge die Verwundungen. Unserer Meinung nach wurde er nie aus dem Revier entlassen, sondern dort misshandelt.

In einer Petition von Mitte Juni fordert Ihre Gruppe zusammen mit Roses Familie neue unabhängige Ermittlungen im Todesfall. Auch soll der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernehmen. Warum der neue Anlauf?

Justiz und Polizei hätten den Mord an Jürgen Rose 1997 aufklären können. Insgesamt starben nach Rose noch zwei Menschen im Polizeirevier Dessau-Roßlau: Mario Bichtemann 2002 mit Schädelbruch in einer Zelle – kurz nachdem der Rose-Fall offiziell eingestellt worden war. Er sei zufällig dort gestorben, hieß es. 2005 wird Oury Jalloh in Zelle fünf angezündet. Diese unaufgeklärten Todesfälle stehen wahrscheinlich im Zusammenhang mit Polizeigewalt. Klärt man einen auf, so bricht man den Oury-Jalloh-Komplex. Aber ausgeschöpft sind die Rechtsmittel im Fall Rose nicht. Der Anwalt der Familie hat Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg und beim Generalbundesanwalt eingereicht.

Welche neuen Beweismittel wurden recherchiert?

Zum Beispiel wurde uns die Manipulation des Lagefilms (Einsatztagebuch, jW) gutachterlich bestätigt. Die damalige Rechtsmedizinerin im Fall Rose, Frau Romanowski, attestierte uns die Verletzungen durch Schlagstöcke und schloss einen Fenstersturz aus dem Haus in der Wolfgangstraße aus. Dazu kommen Ungereimtheiten: Von der zweiten Entlassung gibt es kein Einsatzprotokoll. Die ersten Ermittlungen wurden im Polizeirevier selbst durchgeführt. Erst dann wurde die Polizeidirektion Dessau informiert. Die Staatsanwaltschaft wurde spät eingeschaltet. Erst am zehnten Tag wurde eine Autopsie beantragt. Roses verschwundene 940 D-Mark entdeckte erst Jahre später ein Laborant bei weiteren Ermittlungsarbeiten in Roses Hose.

Warum kamen gerade im Polizeirevier Dessau-Roßlau drei Menschen zu Tode?

Personelle Kontinuität. In dem Revier herrschte Willkür. Es gab keine Kontrolle durch die Polizeidirektion, die Justiz oder das Innenministerium. Aus dem Fall Jalloh wissen wir, dass zwischen 1996 und 2005 keine Richtervorbehalte eingeholt wurden. Menschen wurden nach Gutdünken von der Straße geholt und über Stunden in Gewahrsam genommen. Mario Bichtemann war 13 Stunden in der Zelle, bevor er starb.

Welche Parallelen – insbesondere zum Fall Oury Jalloh – sind Ihnen durch die Nachforschungen bekannt?

Es gibt viele Parallelen. Wie mit Zeugen umgegangen wird. Widersprüche bleiben unhinterfragt. Personen werden gar nicht vernommen. Werden sie doch vernommen, gelangen die Aussagen nicht in die Ermittlungsakte. Der Umgang mit Beweismitteln ist fragwürdig. Bei Oury ist zum Beispiel ein Feuerzeug als Tatwerkzeug hinzugekommen, nur um eine Selbstanzündung zu beweisen. Ähnlich im Fall Rose. Du sammelst nicht Schlagstöcke und Handfesseln der gesamten Dienstschicht ein und stellst sie dann auf den Schrank.

Nadine Saeed ist Sprecherin des Vereins »Recherche-­Zentrum« (Berlin)

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