Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Juni 2025, Nr. 141
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Lohnsklaverei in Frankreich

Elendige Früchte

Frankreich: Überausbeuter wegen horrender Arbeitsbedingungen im Traubenanbau vor Gericht
Von Bernard Schmid
9.jpg
Traubenernte für die Weinproduktion auf Korsika (12.8.2024)

Mit »Früchte des Elends« übertitelten mehrere französische Regionalzeitungen einen Gerichtsprozess, der am Donnerstag im ostfranzösischen Châlons-en-Champagne stattfand, in Anlehnung an die berühmten »Früchte des Zorns«. Weniger literarisch formulierte es einer der Nebenkläger, Camara Sikou: »Wie Sklaven« hätten die Opfer schuften müssen. Und dies im beinahe buchstäblichen Sinne. »Selbst Tiere werden besser behandelt«, fügte der 33jährige Mauretanier Diadia Korera vor Journalisten hinzu.

Identifiziert wurden insgesamt 57 Opfer unmenschlicher Arbeitsbedingungen und organisierter Überausbeutung – weit über den kapitalistischen Durchschnitt hinaus. Mehrere sagten vor Gericht aus, etwa der ebenfalls aus Westafrika stammende Modibo Sidibé. Die Betroffenen, das waren meist undokumentierte, also bislang nicht mit staatlichen Aufenthaltstiteln ausgestattete Lohnabhängige, mehrheitlich aus den Ländern Senegal, Mauretanien, Mali und Côte d’Ivoire, aber auch aus Afghanistan.

Ausgangspunkt war eine Kontrolle der Inspection du travail, einer auf Arbeitsgesetze spezialisierten Gewerbeaufsicht in Frankreich, im September 2023 in der Traubenanbauregion zwischen Reims und Épernay. In jenem Monat starben während der Erntesaison vier abhängig beschäftigte Erntehelfer an Überhitzung und Entkräftung.

In der Kommune Nesle-le-Repons stieß die Gewerbeaufsicht auf eine Barackenunterkunft, in der zehn bis fünfzehn Arbeiter pro Zimmer untergebracht waren – ohne Wasseranschluss und Kühlung. Die Menschen schliefen ohne Betten auf abgenutzten Matratzen auf dem Boden, die Toiletten waren verstopft, die Stromkabel gefährlich marode. Die Arbeitszeiten reichten von fünf oder sechs Uhr früh bis nach achtzehn Uhr – mit einer einzigen, halbstündigen Pause. Als Essen gab es – den Untersuchungsergebnissen zufolge nur zweimal am Tag – dürftig aufgetaute Tiefkühlsandwiches; die Versorgung mit Getränken war unzureichend. Forderten die Betroffenen Pausen oder Wasser ein, wurden sie von Aufsehern mit Messern und Tränengas bedroht. Versprochen worden waren den Betreffenden 250 Euro Lohn pro Arbeitswoche; am Ende brachten die Auszahler aber nur das Entgelt für sechs Personen mit.

Nach 14 Stunden Verhandlung forderte die Staatsanwaltschaft vier Jahre Haft, davon zwei ohne Bewährung, für die 44jährige Hauptangeklagte und je drei Jahre – eines ohne Aussetzung zur Bewährung – für ihre beiden 33jährigen Mittäter, Temuri M. und Abdoulaye C. Das Urteil wurde zur Beratung ausgesetzt und wird nun für den 21. Juli erwartet.

In dem Prozess traten mehrere Organisationen als kollektive Nebenkläger auf. Neben dem Gewerkschaftsverband CGT, der »Liga für Menschenrechte« (LDH) und dem »Komitee gegen zeitgenössische Sklaverei« (CCEM) – die öfter in vergleichbaren Verfahren auftreten – meldete sich zum ersten Mal überhaupt auch ein Unternehmerverband in der Wein- und Champagnerproduktion, das Comité Champagne, dem 16.200 Winzer, 130 Kooperativen und 370 Champagnermarken angegliedert sind, zu Wort. Es plädierte dafür, dass besonders extreme Ausbeuter wie die, denen hier der Prozess gemacht werde, nicht die Bedingungen der Konkurrenz in einer Weise prägen dürften, dass man selbst »wettbewerbsunfähig« werde.

Auffällig ist aber auch, dass die, über die hier in strafrechtlicher Hinsicht zu Gericht gesessen wurde, in Wirklichkeit ebenfalls eher Handlanger waren. Die 44jährige Frau stammt aus Kirgistan, ihre Mitangeklagten sind selbst westafrikanischer Herkunft. Alle drei blicken auf eine Migrationsgeschichte zurück und rekrutierten Menschen, die in der Vergangenheit ihre eigenen Leidensgenossen hätten sein können. Man dürfe nicht darüber hinwegsehen, betonte in dem Prozess José Blanco im Namen der CGT, dass hinter denen, die Arbeitskräfte zu übelsten Bedingungen rekrutieren, auch »Auftraggeber stehen«. Wobei in diesem Falle immerhin zwei juristische Personen mit vor Gericht zitiert wurden: die durch die drei als Privatpersonen Angeklagten betriebene Personalfirma Anavim, die ihre Opfer direkt an der Pariser Porte de la Chapelle – dort befanden sich damals Elendsunterkünfte und Zeltlager für Geflüchtete – rekrutiert hatte, und ein Weinerzeuger, die Kooperative SARL Cerseuillat de la Grevelle.

Letztere soll laut Staatsanwaltschaft 200.000 Euro Geldstrafe bezahlen, weil sie wegen besonders lukrativer Preise auf die Personalfirma zurückgegriffen hatte, ohne auf die Einhaltung sozialer Mindeststandards zu achten. Die Anavim soll per gerichtlicher Anordnung aufgelöst werden.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Regio:

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!