Haltungskontrolleur des Tages: SPD Neumünster
Von Nico Popp
Der Umgang mit Kritikern der jeweiligen rechten Vorstandslinie war in der deutschen Sozialdemokratie immer recht robust. Nach 1914 zum Beispiel, als die Vaterlandsverteidigung rücksichtslos gegen die Parteilinke durchgesetzt wurde – da flogen ganze Wahlkreisorganisationen raus, linke Redaktionen von Parteiblättern wurden weggeputscht, und schließlich war die Spaltung fällig. Auch in späteren Jahrzehnten gebärdeten sich die Funktionäre immer dann besonders unversöhnlich, wenn sich Ansätze für eine Antikriegsopposition zeigten: 1961 etwa wurde der Hochschulverband SDS abgeräumt, weil er die Remilitarisierung ablehnte.
Eine Disziplinierung dieses Kalibers droht, soweit bekannt, den Unterzeichnern des vieldiskutierten Manifests zur »Friedenssicherung in Europa« vorerst nicht. Einstweilen müssen sie nur mit Rempeleien von Genossinnen und Genossen klarkommen, die, von der Sorge um die vollständige Durchsetzung des Regierungsstandpunkts angetrieben, aus eigenem Entschluss tun, was eben getan werden muss.
Und deshalb muss Ralf Stegner, Erstunterzeichner des nämlichen Manifests, nun damit klarkommen, dass er am 4. Juli nicht als Redner beim »traditionellen Rote-Grütze-Essen« (NDR) der SPD-Rathausfraktion in Neumünster auftreten wird. Man hat ihn nämlich ausgeladen. Begründung: Die »nicht vermeidbare« Diskussion über das Manifest drohe die »humorvolle Veranstaltung« zu überlagern. Auch inhaltlich distanzierte sich die Fraktion (deren Vorsitzender erst am Mittwoch für die »Wiedereröffnung der ehemaligen Rantzau-Kaserne« getrommelt hat) von dem Manifest.
Laut Kieler Nachrichten hieß es in dem ursprünglichen Einladungsschreiben: »In Zeiten, in denen Politik oft geschmacksneutral erscheint, ist es gut, wenn jemand wie Ralf Stegner mit Profil und Haltung sich zu Wort meldet.« Ist halt Grütze, wenn die »Haltung« nicht mehr zum »humorvollen« Politikersatz passt.
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