Teheran erhöht die Schlagkraft
Von Lars Lange
»Heute Abend wird es eine große Überraschung geben, etwas, an das sich die Welt noch jahrhundertelang erinnern wird.« Mit dieser großspurigen Drohung zitierte das iranische Fernsehen Ajatollah Ali Khamenei, den Obersten Führer des Landes. Am Donnerstag, kurz darauf, feuerte Irans Revolutionsgarde etwa 25 bis 30 Raketen auf Israel ab. Darunter erstmals auch eine »Sejjil 2«-Rakete. Mit einer Reichweite von etwa 2.000 Kilometern und einer Nutzlast von 700 Kilogramm kann die »Sejjil 2« von praktisch jedem Punkt Irans aus israelisches Territorium erreichen. Das Festtreibstoffdesign ermöglicht deutlich schnellere Startvorbereitungen als ältere flüssigtreibstoffbasierte Systeme der »Shahab«-Serie.
Wie ein hochrangiger israelischer Geheimdienstmitarbeiter gegenüber NBC News am Donnerstag mitteilte, wurden in den vergangenen 24 Stunden nur noch 65 Prozent der iranischen Raketen abgefangen – im Vergleich zu fast 90 Prozent am Tag zuvor. Grund dafür sind offenbar schnellere iranische Raketensysteme, die die Vorwarnzeit von zuvor zehn bis elf Minuten auf nur noch sechs bis sieben Minuten verkürzen. Besonders beunruhigend ist nach Angaben des Geheimdienstexperten die präzise Navigation der Raketen in der Endphase, die gezielte Angriffe ermöglicht. Israel antwortete mit gezielten Drohnenangriffen auf iranische Stellungen. Drohnen griffen Ausrüstung und Truppen an, die versuchten, beschädigte unterirdische Raketenabschussbasen wiederherzustellen.
Beide Konfliktparteien kämpfen zunehmend mit der Erschöpfung ihrer Waffenarsenale. Außerdem zahlt Israel einen hohen Preis für seine Verteidigung. Nach Berichten der israelischen Wirtschaftszeitung The Marker kostet die Raketenabwehr das Land bis zu 285 Millionen US-Dollar – pro Nacht. Besonders teuer ist der Einsatz des »Arrow«-Systems gegen schwere iranische Raketen. Das günstigere »Iron Dome«-System erweist sich gegen die schnellen iranischen Geschosse als weitgehend wirkungslos.
Die Washington Post berichtet unter Berufung auf mit amerikanischen und israelischen Geheimdienstanalysen vertraute Quellen, dass Israel seine Raketenabwehr bei unveränderter Angriffsintensität lediglich noch zehn bis zwölf Tage aufrechterhalten könne. Bereits jetzt müsse das Land seine Abfangraketen rationieren und selektiv entscheiden, welche Ziele geschützt werden sollen.
Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts sind schon spürbar: Die Reederei Mærsk gab am Freitag bekannt, Schiffsanläufe im Hafen von Haifa vorübergehend einzustellen, nachdem iranische Raketen Hightechzentren in Beersheba getroffen hatten, darunter einen Microsoft-Standort. Der Hafen, der zu 70 Prozent der indischen Adani Group gehört, ist ein wichtiger Wirtschaftsknoten für Israel.
Die USA verstärken derweil ihre Militärpräsenz im Nahen Osten in beispiellosem Tempo. Nachdem bereits rund 40 Tankflugzeuge in Richtung Europa und Naher Osten verlegt wurden, setzt das Pentagon bald drei Flugzeugträger in der Region ein. Die US-Marine bereitet die Entsendung der USS »Gerald R. Ford« ins Mittelmeer vor. Die USS »Carl Vinson« ist bereits im Arabischen Meer stationiert, während die USS »Nimitz« derzeit westwärts von der Straße von Malakka unterwegs ist.
Jede dieser Kampfgruppen bringt ein Angriffs-U-Boot, einen Kreuzer und mindestens zwei Zerstörer mit, zusätzlich noch Kampfflugzeugstaffeln mit »F/ A-18 Super Hornets« und teilweise »F-35 Lightning«-Kampfflugzeugen. Diese Zusammenstellung bietet sowohl massive Landangriffsfähigkeiten als auch verstärkte regionale Luftverteidigung mit Antiflugzeug-, Antidrohnen- und Antiraketenabwehrsystemen. Parallel dazu verstärken die USA ihre Luftwaffenpräsenz in Europa. Zwölf »F- 22 Raptor«-Stealth-Jäger sind auf dem britischen Fliegerhorst Lakenheath eingetroffen.
Die amerikanische Luftbrücke in den Nahen Osten setzt sich fort, wobei mindestens zehn »C-17«-Transportflugzeuge der Air Force derzeit Fracht zu verschiedenen Stützpunkten des US-Zentralkommandos CENTCOM transportieren, das für den Nahen Osten und Zentralasien zuständig ist.
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