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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 6 / Ausland
Frankreich

Wegen Palästina-Soli vor Gericht

Frankreich: Staatsanwaltschaft fordert sieben Jahre Haft für Gewerkschafter Kazib – Prozess um ein Jahr verschoben
Von Bernard Schmid, Paris
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Sie fordern seinen Freispruch: Kundgebung am Vortag des zunächst geplanten Prozessbeginns (Toulouse, 17.6.2025)

Am Mittwoch demonstrierten 2.000 Menschen in der brütenden Mittagshitze vor dem Justizpalast in Paris aus Solidarität mit dem Angeklagten. Der Prozess gegen den palästinasolidarischen Gewerkschafter Anasse Kazib sollte beginnen. Die Staatsanwaltschaft fordert ganze sieben Jahre Haft ohne Bewährung. Dann kam die Nachricht: Das Verfahren, das die hier Versammelten als politisch motiviert wahrnehmen, wurde um ein Jahr verschoben. Erleichterung mischte sich mit Verwunderung. »So dringend kann der Fall nicht sein, wenn die Sache gleich um ein Jahr aufgeschoben wird«, erklärte der Angeklagte Kazib dazu in einer ersten Reaktion. Der 38jährige Franzose ist von Beruf Eisenbahner und gewerkschaftlicher Vertrauensmann der linken Basisgewerkschaft SUD-Rail am Bahnhof der nördlichen Pariser Vorstadt Le Bourget. Dort, wo an diesem Wochenende die Luft- ­, Raumfahrt- und Rüstungsmesse »Le Salon du Bourget« stattfindet. Bis zuletzt gab es Proteste wegen der Teilnahme israelischer Waffenfirmen.

Kazib ist auch Mitglied der 2022 gegründeten trotzkistischen Gruppe Révolution permanente (RP). Die Strafverfolgung hat drei von ihm im Oktober 2023 auf dem damaligen Twitterkonto seiner Organisation weitergeleitete Kurznachrichten eines Dritten zum Gegenstand. Deswegen wurde und wird neben Kazib auch der presserechtlich Verantwortliche der Publikationen von RP, Paul Morao, vor Gericht zitiert.

In zwei Fällen stand darin »Es lebe der palästinensische Widerstand!«, im dritten wurde Ursula von der Leyen als Repräsentantin der EU ihre Unterstützung für den »Schlächter« Benjamin Netanjahu vorgeworfen. Die Kurznachrichten erschienen im zeitlichen Kontext des 7. Oktober 2023, als aus dem Gazastreifen heraus israelisches Grenzgebiet angegriffen wurde und Zivilisten getötet sowie als Geiseln genommen wurden. Dies zu loben, hatte Kazib allerdings nach eigenen Angaben intendiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war das Ausmaß von Opfern unter israelischen Zivilpersonen nicht bekannt, und die Fernsehbilder waren noch weitgehend von der Darstellung der Überwindung der Sperranlagen an der Grenze, von Mauern und Wachtürmen und von über diese hinweggleitenden Drachenfliegern geprägt. Dass darauf auch Verbrechen gegen Zivilisten folgten, prägte erst mehrere Stunden später die mediale Berichterstattung.

Wie andere Teile der Linken auch bezog sich Kazib mit seiner symbolischen, sehr generell bleibenden Stellungnahme keineswegs positiv auf diese Taten, die er auch später nicht pries, sondern allgemein auf das Widerstandsrecht der palästinensischen Bevölkerung gegen die Besatzung als solche. Wie andere Teile der Linken auch wurde er daraufhin von den französischen Staatsorganen mit Repressionen überzogen. In seinem Falle erstattete die scharf rechts orientierte, durch den neofaschistischen Präsidentschaftskandidaten von 2022 Éric Zemmour unterstützte Vereinigung Jeunesse française juive (Französische jüdische Jugend) im Januar 2024 Strafanzeige.

Rund 600 Verfahren wegen »Terrorunterstützung« wurden seit Oktober 2023 eingeleitet, oft wegen sehr allgemeiner palästinasolidarischer Äußerungen. In vielen Fällen verliefen sie im Sande, etwa gegen Mathilde Panot, Fraktionsvorsitzende der linken La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) in der Nationalversammlung. In anderen führten sie zu Verurteilungen. Das traf etwa Jean-Paul Delescot, der in Nordfrankreich Bezirksvorsitzender des Allgemeinen Gewerkschaftsbunds CGT ist. Er wurde in erster Instanz zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.

Dort, wo das Gesetz bei »Terrorunterstützung« ein Strafmaß von bis zu sieben Jahren Haft vorsieht, endeten die Verfahren oft mit geringfügigen Strafen – ein Hinweis darauf, dass mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird? Ein Sympathisant der ursprünglich aus dem Trotzkismus kommenden Neuen Antikapitalistischen Partei erhielt etwa am 16. April in Dijon in zweiter Instanz eine Geldstrafe in Höhe von 300 Euro. Ein offenkundiges Missverhältnis zur Schwere der Anklage, das diese letztlich ad absurdum führt.

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