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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 14 / Medien
Palantir-Software in Behörden

Kommissar Staatsfeind

Politik und Polizei wollen Überwachungstechnik Palantir des libertären US-Multimilliardärs Peter Thiel bundesweit nutzen. Alle sind verdächtig
Von Ralf Wurzbacher
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Der andere Thiel, »Tatort«-Ermittler und Namensvetter, kann auch mal weghören (Schauspieler Axel Prahl mit Wachsfigur)

Steven Spielbergs »Minority Report«, ein dystopischer Blockbuster von 2002 mit Tom Cruise in der Hauptrolle, ist in der Realität angekommen. Darf man Menschen wegen eines Verbrechens verfolgen und bestrafen, das sie noch gar nicht verübt haben? Deutsche Fahnder haben ihre Wahl getroffen. In Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen setzen Polizeibehörden schon länger auf eine abgespeckte Version des digitalen Analyseverfahrens Palantir des gleichnamigen US-Techunternehmens. Die Software hat Zugriff auf etliche Datenbanken, verknüpft Informationen und wertet sie mit künstlicher Intelligenz aus. Das alles zum Zweck der »Terrorabwehr und Abwehr schwerer Gefahrenlagen«. Jetzt ist eine Debatte darüber entbrannt, das Instrument in ganz Deutschland zu etablieren.

Ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte der Bundesrat in einem Beschluss vom 21. März den bundesweiten Einsatz der Technik als »Interimslösung« gefordert. Explizit verwiesen wurde auf Vorfälle aus jüngerer Vergangenheit, in denen »oftmals Personen mit psychischen Auffälligkeiten als Täter von Gewalttaten in Erscheinung getreten sind«. Um das künftig zu verhindern, müssten »personenbezogene Verhaltensmuster und Risiken rechtzeitig festgestellt, analysiert und bewertet werden«. Als Vorreiter profiliert sich insbesondere die CSU im Freistaat, wo das System Vera (verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform) nach einer viermonatigen Testphase seit Jahresbeginn im Regelbetrieb läuft. Unter bayerischer Federführung war 2022 mit Palantir ein Rahmenvertrag abgeschlossen worden, der Bund und Ländern den »unkomplizierten Einstieg« in das System erlaube. »Diese Möglichkeit sollte genutzt werden«, verlangte CSU-Innenpolitikerin Mechthilde Wittmann.

Bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) fürchtet man Schlimmstes: »Mit dem Einsatz der Software gehen schwere Grundrechtseingriffe, erhebliche Diskriminierungs- und Stigmatisierungsrisiken sowie Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und der allgemeinen Missbrauchsgefahr einher«, warnt die Bürgerrechtsbewegung. Die GFF hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Praxis angestrengt – mit Erfolg. 2023 hat Karlsruhe die Nutzung der Software bereits eingeschränkt. So dürfen Personen, die im Zuge einer Recherche auftauchen, gegen die aber kein erhärteter Verdacht vorliegt, den Ermittlern nicht namentlich kenntlich werden.

Der Datengier der Fahnder setzt das wohl nur mit Abstrichen Grenzen. Nach Berichten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) vom Freitag bilden »Großlagen«, also Anlässe wie mögliche Terrorattacke oder Amokläufe, nur eine Minderheit der Abfragen. Die Journalisten haben rund Hundert Einträge ausgewertet, bei denen Vera in Bayern innerhalb von neun Monaten zur Anwendung kam. Allein 20 Mal ging es um um Straftaten im Bereich »Eigentums- und Vermögenswerte«, etwa bandenmäßigen Fahrraddiebstahl. Die Liste hat Benjamin Adjei von Bündnis 90/Die Grünen auf dem Weg einer parlamentarischen Anfrage erhalten. Vera werde »für deutlich weniger gemeingefährliche Situationen genutzt, und das besonders oft«, zitierte ihn die »Tagesschau« online. Auch Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri ist alarmiert: Beim routinemäßigen Einsatz zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten würden »massenhaft unbescholtene Menschen auch dem Risiko von polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt«.

Während die Union auf den Zugriff des Systems für die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt drängt, gibt es bei der SPD Vorbehalte. »Industriepolitik für ein einzelnes US-amerikanisches Unternehmen finde ich generell problematisch«, sagte der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Sebastian Fiedler, unlängst dem Handelsblatt. Tatsächlich arbeitet der Bund an der Entwicklung einer hauseigenen Recherche- und Analyseplattform im Rahmen des Projekts »Polizei 20« (P 20), das allerdings nicht vor 2030 fertig sein wird. Bis dahin soll Palantir die Lücke schließen. Dass dessen Gründer und libertärer Großinvestor Peter Thiel ein bekennender Demokratieverächter und Staatsfeind ist, will da irgendwie nicht ins Bild passen. Oder vielleicht gerade doch? Die Precrime-Einheit in »Minority Report« jedenfalls muss am Ende dichtmachen. Das System hatte auch Unschuldige ans Messer geliefert.

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