Die nächste Front
Von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie
Israels Angriff begann zwei Tage vor den geplanten iranisch-amerikanischen Atomverhandlungen, die damit obsolet wurden. Er war offenbar von langer Hand geplant. Im Westen bekennt man sich teilweise unumwunden dazu, dass die Verhandlungen den Iran in falscher Sicherheit wiegen sollten, bevor Israel das Land am islamischen Feiertag überfiel. Trotz des Dementis von US-Präsident Donald Trump wurden und werden die israelischen Flugzeuge über Irak und Jordanien von US-Tankflugzeugen betankt.
Die Ermordung führender Militärs, Politiker und Wissenschaftler des Iran wurde nach Auskunft Israels durch mehr als tausend Agenten im Iran geplant und lehrbuchhaft staatsterroristisch durchgeführt.¹ Drohnen wurden geheim – was natürlich einen Bruch mit allen von den Staaten vereinbarten Regeln des Krieges bedeutet – ins Land geschmuggelt. Das offizielle Ziel der israelischen »Verteidigung« sind die Atomanlagen des Landes, was damit begründet wird, dass der Iran kurz davor sei, über »die Bombe« zu verfügen – was der US-Sender CNN unter Verweis auf amerikanische Geheimdiensteinschätzungen bestreitet.² Währenddessen geben westliche Politiker, Experten und Journalisten in Talkshows ihrer Freude über die Anschläge auf »das Regime« in Teheran mehr oder weniger unverhohlen Ausdruck. Sie changieren dabei zwischen offener Unterstützung des Angriffs, der Verurteilung von Irans Aggression und einem Aufruf zur Mäßigung zwischen »den Konfliktparteien«. An der Spitze steht wie immer Springers Bild, die »Deeskalation« zum »verlogensten Wort der Welt« erklärt.³
Dass der Iran bekundet, an einer Eskalation kein Interesse zu haben, deutet die westliche Meute (vermutlich zu Recht) als Ausdruck seiner militärischen Schwäche. Das spricht in diesem Fall übrigens gegen das angegriffene Land – und soll keinesfalls zu einem »David-gegen-Goliath-Effekt« und falschen Sympathien für den Iran führen, der von einem militärisch weit überlegenen Staat ohne Vorwarnung angegriffen wurde. Im gleichen Atemzug wird stets die immense Bedrohung, die vom »Terrorstaat« Iran ausgeht, betont.⁴
Israel lässt unterdessen wissen, dass es keineswegs an Deeskalation denkt. Im Gegenteil: Premier Benjamin Netanjahu kündigt weitere umfassende Zerstörungen an. Die Wasserversorgung der Hauptstadt, zivile Infrastruktur, die Energieversorgung und die nationale Automobilproduktion wurden bereits angegriffen.
Inzwischen stehen die USA offenbar kurz vor einem Eintritt in diesen Krieg. Die Sabotage Israels an den laufenden Verhandlungen nimmt Trump zum Anlass, nun den Iran zur Kapitulation aufzufordern – ein ebenso rasanter wie bemerkenswerter Übergang.
Das Völkerrecht ist als Maßstab der Beurteilung dieses Krieges von westlicher Seite eher nicht gefragt. Auch wenn Experten dem deutschen Publikum vor laufenden Kameras etwas zögerlich gestehen, dass es sich gemäß Artikel 51 der UN-Charta »wohl« um einen völkerrechtswidrigen Krieg handle,⁵ ändert das nichts daran, dass man der neuerlichen Aggression Israels verständnisvoll begegnet. Die Eliminierung eines ausländischen Staatsoberhauptes kann sich der Kanzler der »regel- und wertebasierten« deutschen Außenpolitik dabei ohne weiteres vorstellen: »Dieses Regime muss an sein Ende kommen«, äußerte er vorgestern. Dass über die israelischen Toten und Verletzten mit ungleich anderer Anteilnahme berichtet wird als über die iranischen, ist zwar inzwischen bereits eine selbstverständliche Routine für Medien wie Publikum, das im Gazakrieg diesbezüglich geschult wurde. Trotzdem ist die geistige Verrohung, die im Bekenntnis zu und der Feier von Gewalt gegen politische Gegner zum Ausdruck kommt, beachtlich.
Zum Schurkenstaat erklärt
Seit 2002 befindet sich der Iran auf der vom damaligen US-Präsidenten George Bush jr. definierten Liste der »Schurkenstaaten«. Auch wenn die Islamische Republik mit »9/11« nichts zu tun hatte, gehörte das Land ab da zu den zu erledigenden »Fällen« von Störenfrieden der US-amerikanischen Weltordnung, wiewohl die Gegnerschaft nicht erst damals begonnen hat. Israel als treuer Bündnispartner und Statthalter der US-amerikanischen Interessen im Nahen Osten hat diese Gegnerschaft nicht nur stets unterstützt, sondern betreibt sie längst auch aus eigenen Gründen.
Was aber stört an diesem Staat? Womit hat Teheran die unerbittliche Feindschaft der USA auf sich gezogen? Und warum beginnt Israel, das ja – wenn man seiner Darstellung als »bedrohtem Land« folgt – bereits an mehreren Fronten zu kämpfen hat, nun auch noch diesen Krieg mit seinem vielleicht schwierigsten Gegner? Warum eröffnet es die nächste Front?
Die Islamische Republik Iran (früher Persien) existiert seit 1979 – seit im Rahmen einer Revolution der vorherige Herrscher, Schah Reza Pahlevi, vertrieben wurde. Das Land verfügt über die weltweit größten Erdgasvorkommen und die viertgrößten Erdölvorkommen. Es liegt geostrategisch bedeutend an der Straße von Hormus, durch die ein Drittel der Welterdöltransporte geht, und verfügt über eine Bevölkerung von inzwischen 90 Millionen Menschen.
Persien war seit dem 19. Jahrhundert ein Objekt imperialistischer Interessen. Zunächst hatten die Briten das Land zu ihrer Einflusssphäre erklärt und vom aufkommenden Ölgeschäft profitiert. Mit Mohammad Mossadegh wurde 1951 ein Politiker der »Nationalen Front« vom iranischen Parlament zum Präsidenten gewählt, der mit den Öleinnahmen die nationale Entwicklung des Iran vorantreiben wollte. Er verhandelte mit den Briten um die Anteile an den Öleinnahmen; die USA traten in diesem Streit zunächst als Schiedsrichter auf. Sie gaben den Iranern zwar diplomatisch recht, putschten Mossadegh anschließend 1953 allerdings mit Hilfe der CIA weg – einer der vielen Fälle, in denen ein demokratisch gewählter Präsident wegen Verstaatlichungsabsichten der nationalen Ressourcen beseitigt wurde.
Mit dem zurückkehrenden Schah hatten die USA in der Folge einen engen verlässlichen Wirtschaftspartner und wichtigen Verbündeten im Kalten Krieg im Nahen Osten. Es kamen US-Militärberater ins Land. 40 Prozent des Staatshaushaltes wurden fürs Militär (vor allem amerikanische Waffen) verausgabt, der Iran unterhielt die fünftgrößte Armee der Welt. Als Ölstaat in Abhängigkeit von den USA stellten sich im Land bald die Folgen ein: Korruption, zunehmende Staatsverschuldung, Inflation, Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung – der typische Gang eines Entwicklungslandes unter westlicher Vorherrschaft.⁶ Dass die Menschen im Iran ihren Lebensunterhalt zur Zeit des Schahs kaum bestreiten konnten, durch eine Landreform Millionen von ihren Subsistenzmitteln getrennt wurden und in die Städte ziehen mussten, in denen sie kein Auskommen fanden, gehörte zu den »Kollateralschäden« der »Modernisierung«. Allerdings verarmte auch das städtische Bürgertum, so dass Teile der bürgerlichen Oberschicht zu dem Urteil gelangten, dass das Land im allgemeinen und ihr privilegierter Stand im besonderen vor die Hunde gehen würden. Demgegenüber stand der Prunk des Schahs, die Manifestation des Reichtums, der in das Land floss.
Ab 1970 entwickelte sich eine wachsende Oppositionsbewegung, zu der die »Nationale Front« (das von Mossadegh gegründete Bündnis nationaler, liberaler, sozialistischer und sozialdemokratischer Oppositionsgruppen und Parteien, deren Hauptziele nationale Unabhängigkeit und Verstaatlichung der iranischen Ölwirtschaft waren), die Tudeh-Partei (Partei der Massen des Iran, eine marxistisch-leninistische Partei), die Volksmudschaheddin (eine militante Oppositionsbewegung mit einerseits marxistisch-leninistischer, andererseits schiitisch konfessioneller Ausrichtung) und der schiitische Klerus gehörten.
Die politischen Akteure bestimmten das »Übel«, auf das sie trafen, sehr verschieden. Der Klerus kritisierte das Verkommen der Sittlichkeit, der die im Elend lebende Bevölkerung gar nicht genügen konnte. Die Bürgerlichen sahen in dem Ausverkauf des nationalen Ölreichtums und der Unterordnung unter die USA den Verfall der alten persischen Hochkultur. Für die Linken lag die Ursache der Armut in der kapitalistischen Verfasstheit des Staates. So verschieden ihre Kritik war, so einig waren sie sich in ihrer Feindschaft gegen den Schah und die Abhängigkeit von den USA. 1979 kam es zu einer vom Volk getragenen Revolution und der Beendigung der Monarchie nach großen Demonstrationen und Streiks (u. a. in der Ölindustrie). Der aus dem Exil zurückgekehrte Ajatollah Khomeini servierte in der Folge die Bündnispartner, die ihn unterstützt hatten, ebenso schnell wie blutig ab (zunächst die Volksmudschaheddin, dann die Tudeh-Partei).
Die westlichen Staaten und bisherigen Bündnispartner des Schah hatten zuvor beschlossen, Reza Pahlavi nicht weiter zu unterstützen. Der Unmut in der iranischen Bevölkerung war zu groß. Im Westen stellte man sich vor, auch mit einer neuen Regierung ins Geschäft zu kommen. US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński äußerte im Dezember 1978: »Während der nächsten Wochen bestand für uns das Problem nicht mehr darin, wie wir den Schah, sondern wie wir den Iran ohne den Schah retten können.« Und Außenminister Cyrus Vance schrieb: »Für uns war es gleichgültig, ob das neue Regime eine Monarchie oder eine islamistische Republik bilden würde« und setzte auf den Ajatollah als gleichermaßen verlässlichen Bündnispartner, wenn nur verhindert würde, dass die Linken sich durchsetzten und die Sowjetunion ins Spiel käme.⁷
Fundamentalismus an der Macht
Khomeini veränderte die Ausrichtung des Iran grundlegend – es war der erste Fall von religiösem Fundamentalismus an der Macht. Die USA wurden zum Feind erklärt und wenn schon nicht aus der gesamten Golfregion, so doch aus einem der wichtigsten Länder verjagt; sie verloren den Zugang zu den Ressourcen des Iran, den Iran als Markt und als geostrategischen Verbündeten. Die Neuausrichtung des Staats war religiös-antiwestlich, gegen die Ausbeutung des Landes durch fremde Kräfte und die eingetretene »Sittenverderbnis« durch die Orientierung an den USA, hin zu einem frommen Gottesstaat, in dem der oberste politische Führer zugleich das geistliche Oberhaupt des Schiitentums ist.
Ökonomisch galten weiterhin die Prinzipen kapitalistischen Wirtschaftens, modifiziert allerdings durch die Konzentration von Eigentum in staatlicher Hand (Banken) bzw. in der Hand religiöser Stiftungen, die 80 Prozent der Gesamtwirtschaft ausmachen – zumindest teilweise eine Art von religiös geführter »Kommandowirtschaft«. Die neue iranische Führung betrachtete das wirtschaftliche Wachstum vor allem als Mittel, um der Bevölkerung ein »sittliches« Leben zu ermöglichen und die religiöse Ordnung zu erhalten. Dafür sollten mit Hilfe der aus dem Ölverkauf erlösten Devisen nachholend bestimmte Industriezweige aufgebaut werden. Die notwendigen Bestandteile der kapitalistischen Wirtschaft – deren »Eigengesetzlichkeiten« man durchaus gelten ließ – sollten in Einklang mit der Religion gebracht werden. Da man etwa laut Koran keine Zinsen für das Geldverleihen nehmen darf, Kredite aber als notwendig anerkannt werden, wird so etwas in Form von »erwarteten« Spenden abgewickelt.
Seit 1979 wird unter diesen Prämissen eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die auf Basis der Nationalisierung der Rohstoffe einiges erreicht hat. Trotz vieler Probleme wies der Iran über lange Zeit eine positive Handelsbilanz auf und verzeichnete bis 2010 auch eine relativ geringe Staatsverschuldung und Inflationsrate; bis dahin gab es auch ein relativ stabiles Wachstum zwischen fünf und sieben Prozent.
Danach kam es sanktionsbedingt zu einem starken Wirtschaftsabschwung. Eine gewisse Ironie liegt darin, dass die westlichen Sanktionen für einige Wirtschaftszweige zwischenzeitlich wie eine Art Schutz wirkten. So existieren inzwischen eigene Industrieproduktion in Feldern, die sonst für ein Drittweltland eher schwierig zu entwickeln sind: etwa eine Autoindustrie mit 500.000 Arbeitsplätzen (der Iran ist der größte Autoproduzent im Mittleren Osten). Ab 2010 sah sich die Regierung, genötigt vom Internationalen Währungsfonds, zu einem massiven Abbau der Subventionen für Lebensmittel- und Energie(Benzin)preise veranlasst (Umfang 60 Milliarden US-Dollar). Darin liegen wesentliche Gründe für die immer wieder stattfindenden Demonstrationen materieller Unzufriedenheit, die – wenn es nach dem Willen des Westens ginge – zu einem Regime-Change führen sollen.
Feindschaft der USA
Die USA wollten den Verlust ihres ökonomischen und strategischen Verbündeten keinesfalls hinnehmen. Die sogenannte Islamische Revolution war aus ihrer Sicht ein Verstoß gegen ihre Weltordnung. Die Verstaatlichung der Ölquellen hatte nicht nur unmittelbare Folgen für amerikanische Geschäfte und Eigentumstitel, die USA gingen ihres prinzipiellen Verfügungsanspruchs über die Ölquellen des Nahen Ostens als Tankstelle des Weltkapitalismus verlustig und verloren einen der verlässlichsten Bündnispartner – schließlich hatte der Schah zuvor in der Region etwa die Rolle für die USA eingenommen, die Israel heute innehat.
Schon in den 1980er Jahren begann deshalb der Kampf der USA gegen die Islamische Republik. Da Washington den neuen Machthabern in Teheran die Auslieferung des vom Schah zusammengeraubten Vermögens verweigerte und ihm Zuflucht gewährte, wurde die US- Botschaft in Teheran mehr als ein Jahr lang von Studenten besetzt. US-Diplomaten wurden als Geiseln gehalten.
Die USA förderten in der Folge den Krieg des Irak unter Saddam Hussein gegen den Iran mit der Lieferung von Waffen. Daran war übrigens auch die BRD beteiligt, unter anderem mit der Lieferung von Giftgas an Saddam Hussein. Dieser Krieg – der Erste Golfkrieg – brachte 500.000 Tote und ökonomische Schäden in Höhe von 644 Milliarden US-Dollar für den Iran. Ähnlich geschädigt ging der Irak aus dem Krieg hervor. Saddam Hussein kam in der Folge auf die Idee, sich der kuwaitischen Ölquellen zu bemächtigen, um seine Schulden begleichen zu können – was zum Zweiten Golfkrieg führte.
Ab 2002 setzten die USA den Iran dann bezüglich seines Atomprogramms unter Druck, dessen Anfänge übrigens – Ironie der Geschichte! – noch auf eine Zusammenarbeit zwischen Israel und dem Schah zurückgehen. Der Iran hatte den NPT-Vertrag unterschrieben (Non Proliferation Treaty; die Unterzeichner streben keine Atomwaffen an, dürfen dafür aber zivil AKWs bauen und haben dabei sogar Anspruch auf internationale Unterstützung), darf also explizit zivile Atomenergie nutzen. Das iranische Argument, das Land brauche sein Öl, das es bisher bis zu 40 Prozent für seinen Eigenbedarf verwendet, für den Export, und wolle deshalb seine Energie auch aus Atomkraft gewinnen, wurde nicht anerkannt, das iranische Atomprogramm vielmehr als Streben nach »der Bombe« eingeordnet und mit erneuten Wirtschaftssanktionen und der Androhung militärischer Gewalt bekämpft. Israel hingegen, um auch das zu erwähnen, ist dem NPT-Vertrag nicht beigetreten, besitzt bereits seit den 1960er Jahren Atomwaffen (nach den Angaben von Statista 90 nukleare Sprengköpfe, nach anderen Schätzungen sogar mehr als 200⁸).
Unter der Regierung von US-Präsident Barack Obama kam es zu dem von der Europäischen Union vermittelten Atomabkommen, das eine militärische Nutzung der iranischen Anlagen durch eine strenge Aufsicht ausschließen sollte und dafür eine Aufhebung bestimmter Sanktionen in Aussicht stellte – ein Abkommen, dessen Regelungen der Iran nachweislich befolgte und das Trump 2019 als »worst deal ever« einseitig aufkündigte. Die USA verschärften ihre ohnehin einschneidenden Wirtschaftssanktionen im Anschluss noch einmal, mit dem erklärten Ziel, den Iran von den fünf wichtigsten internationalen Käufern seines Öls abzuschneiden (China, Indien, Japan, Südkorea, Türkei). Ab Mai 2019 traten Strafmaßnahmen gegen alle Nationen in Kraft, die mit dem Iran Öl handeln. Im Januar 2020 gingen die USA noch einen Schritt weiter und töteten auf Befehl von Präsident Donald Trump den ranghohen iranischen General Kassem Soleimani auf dem Hoheitsgebiet des Irak durch eine US-Drohne.
Die Islamische Republik hat sich allerdings – trotz dieser Feindschaft der Weltmacht und aller praktischer Schädigungen – bisher in ihrer Existenz behauptet. Und nicht nur das. Sie strebt eine vom Westen unabhängige, islamische Golfregion an. Im Irak, in dem es eine schiitische Mehrheit gibt, ist der Iran zu einer wichtigen Einflussgröße geworden, seit die USA Saddam Hussein und seine sunnitische Staats- und Armeeverwaltung beseitigt haben; in Syrien unterstützten iranische Milizen Baschar Al-Assad bei seinem Kampf gegen die von Saudi-Arabien und dem Westen finanzierten sunnitischen Fundamentalisten. Mit der Hisbollah im Libanon, der Hamas in Gaza und den Ansarollah im Jemen unterhält der Iran Beziehungen, die er als »Achse des Widerstandes« bezeichnet. Das kann man so deuten, dass das von der Weltmacht USA und ihrem Bündnispartner Israel massiv angefeindete Land seine eigene Sicherheitslage durch einen vorgelagerten Cordon sanitaire verbessern will. Oder so, dass der Iran damit seinerseits um die regionale Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten kämpft.
Seine Konkurrenten bzw. Gegner sind dabei zwei Staaten, die beide von den USA aus- und aufgerüstet sind: Saudi-Arabien, mit dem es vor kurzem ein durch China vermitteltes Abkommen geschlossen hat, und Israel.
Die israelischen Politiker berufen sich bei ihrem Krieg auf die »Vernichtungsabsicht«, die der Iran »wiederholt« gegenüber Israel ausgesprochen habe. Davon ist aus Teheran zwar auch jetzt am siebten Tag des Krieges nichts zu hören; statt dessen will die iranische Führung einerseits »Israel bestrafen«, andererseits aber den Krieg umgehend beenden, wenn die israelische Armee ihrerseits die Kampfhandlungen einstellt.
Kampf um die Existenz?
Die Behauptung, der Iran wolle die Existenz Israels auslöschen, bezieht sich meist auf eine Äußerung des ehemaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad aus dem Jahr 2005. Diese wird zitiert als »Israel must be wiped off the map«, sprich: Israel muss von der Weltkarte verschwinden. Katajun Amirpur hat in der Süddeutschen Zeitung aus »Gründen journalistischer Redlichkeit« allerdings bereits 2010 nachgewiesen: »Am 26. Oktober 2005 sprach Ahmadinedschad auf einer Konferenz, die unter dem Motto stand ›Die Welt ohne Zionismus‹. Es waren im wesentlichen die großen westlichen Nachrichtenagenturen, die die Übersetzung dieser Passage lieferten: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (dpa). Ahmadinedschad sagte jedoch wörtlich: ›in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad.‹ Das bedeutet: ›Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden.‹ Oder, weniger blumig ausgedrückt: ›Das Besatzerregime muss Geschichte werden.‹ Das ist keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden.«⁹
Offensichtlich gibt es an einer solchen Richtigstellung kein Interesse. Im Laufe der Zeit wurde der Iran systematisch zum Feind erklärt und das Feindbild vor allem in den letzten Jahren stetig verstärkt. Auf dieses zielstrebig hergestellte »Narrativ« des »Bösen« (Bestandteile: statt Politikern ein »Regime« bzw. die »Mullahs«, staatliches Handeln als pure »Repression« gegen das eigene Volk, Außenpolitik als »Terror«), kann man jetzt zurückgreifen.
Der Sache nach versucht Israel gerade, mit dem Iran seinen wichtigsten Kontrahenten in der Region auszuschalten, einen Staat, der den israelischen Absichten in die Quere kommen kann. Der Iran soll in seiner ökonomischen und militärischen Entwicklung getroffen und zurückgeworfen werden; wenn möglich, soll die iranische Bevölkerung zu einem Regime-Change ermuntert werden, der dann Politiker an die Macht bringt, die sich israelischen bzw. us-amerikanischen Interessen beugen.
Die Situation dafür ist aus israelischer Sicht günstig. Die Hisbollah im Libanon ist entscheidend geschwächt, die Luftabwehr Syriens gerade zerstört, die des Iran nach dem israelischen Schlag im letzten Jahr ebenfalls geschwächt, der Irak ohne Mittel. So nutzt die israelische Armee die bereits seit Jahren in Stellung gebrachten Mittel ihres Geheimdienstes, der offenbar genügend unzufriedene Iraner zur Sabotage gewinnen konnte. Das ist die militärische Seite, der die hiesigen Beobachter begeistert Beifall zollen.
Die Legitimation funktioniert auf dieser Basis fast wie von selbst. Selbst wenn Israel erstens angegriffen hat und dieser Angriff zweitens völkerrechtswidrig war (was im Ukraine-Krieg bekanntlich gegen Russland und für die unbedingte militärische »Unterstützung des angegriffenen Landes« sprechen soll) sei der Angriff eben doch unumgänglich gewesen angesichts eines solchen (siehe oben!) Gegners. Das setzt den staatlichen Terror Israels gegen den Iran ganz schnell ins Recht – und damit die Eröffnung der nächsten israelischen Kriegsfront nach Gaza, Libanon, Jemen, Syrien und dem Westjordanland – wobei Israel selbstverständlich an jeder dieser Fronten gegen nichts Geringeres als seine Vernichtung zu kämpfen hat.
Folgen für »die Weltordnung«
Die bilateralen und internationalen Verträge, die einst unter Federführung der USA im Sinne ihrer Weltordnung geschlossen wurden (und als deren Hüter sich die EU im Ukraine-Krieg bis heute treuherzig inszeniert), werden in diesem Konflikt gebrochen. Westliche Akteure bekennen sich dazu, Verträge zu schließen, um den Gegner geradezu schurkenhaft zu täuschen – wie schon im Falle des Ukraine-Kriegs, belegt durch Angela Merkels Äußerung zu den eigentlichen Absichten des Minsker Abkommens.¹⁰
Für Drittstaaten wird es damit offenkundig zunehmend sinnlos, auf diplomatische Verständigung mit dem Westen zu bauen. Als Optionen bleiben ihnen militärische Selbstbehauptung, die Aufgabe ihrer ohnehin bedingten Souveränität oder die spiegelbildliche Schurkerei. In jedem Fall wird die bisherige ohnehin brüchige Weltordnung, basierend auf dem Völker- und Menschenrecht, ausgehebelt. Was bleibt, ist der offene Kampf um militärische Dominanz. Als Schutzmächte internationaler Verträge bringen sich zunehmend die Rivalen der USA, insbesondere China und auch Russland, in Stellung, was die Gefahren für einen neuen Weltkrieg erhöht.
Anmerkungen
5 https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1476356.html
6 Vgl. Bahman Nirumand: Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt. Reinbek bei Hamburg 1967
7 Zit. n. Bahman Nirumand: Iran – hinter den Gittern verdorren die Blumen. Reinbek bei Hamburg 1985, S. 64
8 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36401/umfrage/anzahl-der-atomsprengkoepfe-weltweit/ u. https://wissenschaft-und-frieden.de/artikel/atomwaffenmacht-israel/
10 https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler
Renate Dillmann und Adrian Schiffer-Nasserie schrieben an dieser Stelle zuletzt gemeinsam am 5. Oktober 2018 über den Sozialstaat: Verwaltete Armut.
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