Vertrieben und entrechtet
Von Nick Brauns
Ein aus den Fugen geratendes imperialistisches Weltsystem mit immer brutaleren Verteilungskämpfen, aber auch die Folgen des von den Industrienationen angeheizten Klimawandels – Dürren und Flutkatastrophen – vertreiben immer mehr Menschen aus ihrer Heimat. Das ist die alarmierende Bilanz zum Weltflüchtlingstag, der auf eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2001 zurückgehend am Freitag zum 25. Mal begangen wird.
123,2 Millionen Menschen waren zum Jahreswechsel 2024/25 laut dem in diesem Monat vorgelegten Weltflüchtlingsbericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) auf der Flucht. Das ist ein erneuter Anstieg um 6,2 Prozent innerhalb eines Jahres.
Entgegen den Reden rassistischer Demagogen strebt nur ein sehr kleiner Teil dieser Schutzsuchenden nach Europa und Deutschland. So sind fast 60 Prozent der Flüchtlinge Binnenvertriebene innerhalb ihres Heimatlandes. Zur »größten Vertreibungskrise unserer Zeit« hat laut UN-Angaben der Bürgerkrieg im Sudan geführt. Dort sind 11,3 Millionen Menschen im Inland auf der Flucht, weitere vier Millionen haben im Ausland Schutz gesucht. Auch 90 Prozent der rund zwei Millionen palästinensischen Einwohner des abgeriegelten und verwüsteten Gazastreifens sind Binnenvertriebene infolge des genozidalen Krieges der israelischen Armee.
Flüchtlinge, die ihre Heimatländer verlassen müssen, finden zu 67 Prozent in direkten Nachbarländern Zuflucht. So ist die Türkei neue Heimat für 2,9 Millionen Syrer. Nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad Ende vergangenen Jahres sind zwar bereits 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge aus dem Ausland zurückgekehrt. Doch Massaker der neuen dschihadistischen Herrscher an Alawiten trieben erneut mehr als 100.000 in den Libanon, der bereits 1,4 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen hat.
Obwohl heute doppelt so viele Menschen weltweit auf der Flucht sind wie noch vor zehn Jahren, bewegt sich das Budget zu ihrer Unterstützung auf dem Stand von 2015, warnte UNHCR-Repräsentantin Katharina Thote am Donnerstag in Berlin vor einer dramatischen Unterfinanzierung. Die Folgen: Schwangere Frauen könnten oft nicht mehr angemessen versorgt werden, für Kinder fehlen wichtige Medikamente, Schulen müssten schließen. »Das raubt diesen Mädchen und Jungen gleichsam die Zukunft«, so Thote.
Mit 2,7 Millionen Geflüchteten steht Deutschland an vierter Stelle der Aufnahmeländer. Fast die Hälfte davon sind Ukrainer. Für andere will Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Grenzen dichtmachen. Trotz Gerichtsschelte hält der CSU-Mann an Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen EU-Binnengrenzen fest. »Flüchtlingsschutz ist vorbeugender Menschenrechtsschutz«, mahnte Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte am Donnerstag vor der Unterminierung der Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Menschenrechtskonvention.
»Die traurige Realität: Jedes Jahr steigt die Zahl der Menschen, die fliehen müssen, auf ein neues Rekordhoch«, erklärte die Abgeordnete Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, mit Blick auf den Weltflüchtlingstag gegenüber jW. »Hinter diesen Zahlen stehen echte Schicksale, echte Menschen, die unsere Solidarität brauchen und unseren entschlossenen Kampf für ihre Rechte. Nicht nur heute, sondern an jedem Tag.«
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Anadolu Agency/imago04.06.2025
Israels Massaker nicht ungehört
- Denis Balibouse/REUTERS07.11.2024
Alle für Albanese
- REUTERS/Jamal Saidi18.02.2016
»Die Menschen leben in ungeheurer Enge«