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Aus: Ausgabe vom 19.06.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Gewerkschaftskonferenz für Frieden

Gewerkschafter gegen Kriegskurs

3. Gewerkschaftskonferenz für Frieden: »Zeitenwende« bedeutet Unterordnung unter »Sicherheitspolitik«. Das muss Gewerkschaften interessieren
Von Jana Werner
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Gewerkschaften dürfen sich nicht raushalten: Demonstration gegen Aufrüstung und Krieg (Berlin, 3.10.2024)

Seit 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, verschickt die Bundeswehr jedes Jahr personalisierte Postkarten an minderjährige Jugendliche, die im Folgejahr 18 Jahre alt werden. Ziel der PR-Aktion ist es, Jugendliche für die Truppe zu begeistern. Die entsprechenden Daten liefern die Meldeämter, so regelt es das Soldatengesetz. Tausende Minderjährige hatten daher jüngst eine Postkarte der Truppe im Briefkasten. Darauf gedruckt ihr Name auf Flecktarn, ganz so wie die echten Namensschilder der Truppe. Im Angesicht der »Zeitenwende« kommt diese Post einer Drohung gleich – schließlich hat der Verteidigungsminister unmissverständlich klargemacht: Wenn die Zahl der Freiwilligen nicht reicht, kommt die Wehrpflicht zurück.

Auch deshalb sorgte die Aktion wohl für Presseecho – das Verteidigungsministerium erklärte gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, dass die Bundeswehr als größter Arbeitgeber in Deutschland auch vom Fachkräftemangel betroffen sei und im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern stehe. Warum aber gerade die Bundeswehr durch die Herausgabe personalisierter Daten einen solchen Wettbewerbsvorteil im Werben um Ausbildungsinteressierte erhalte, bedarf nicht mal mehr einer Begründung. Dabei fehlen auch in zahlreichen anderen Berufsgruppen Fachkräfte, etwa Handwerk, Gesundheit und Pflege sowie Erziehung und Bildung. Personalisierte Informationen für zivile und gesellschaftlich nützliche Jobs frei Haus? – Fehlanzeige!

Seit Olaf Scholz 2022 den Begriff Zeitenwende geprägt hat, erleben wir eine beispiellose Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter das Primat der Außen- und Sicherheitspolitik. Das bleibt auch für die Klasse der abhängig Beschäftigten nicht folgenlos. Die Angriffe zeigen sich auf verschiedenen Ebenen und machen deutlich, dass es von seiten der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften keine Indifferenz gegenüber der Kriegs- und Aufrüstungspolitik geben darf. Denn jeder Euro, der in den Rüstungshaushalten versenkt wird, fehlt dort, wo er gesellschaftlich nützlicher angelegt wäre: für gute Bildung, eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung, eine funktionierende Daseinsvorsorge sowie den ökologischen Umbau der Industrie.

Der militärische Wahnsinn wurde noch mit alten Mehrheiten durchgesetzt – Rüstungsausgaben ab einem Prozent des BIP sind von der Schuldenbremse ausgenommen. Ein Prozent klingt zwar harmlos, entspricht aber nach gegenwärtiger Wirtschaftslage 43 Milliarden Euro im Jahr. Dagegen nehmen sich die Kosten für die Kindergrundsicherung mit drei bis vier Milliarden Euro lächerlich aus – aber dieses Projekt hat es noch nicht einmal in den Koalitionsvertrag der neuen Regierung geschafft. Auch der Mindestlohn wird keineswegs politisch erhöht, sondern man vertraut weiter auf die Sozialpartner und ihre Arbeit in der Mindestlohnkommission. Zur Erinnerung, jene Kommission, die zuletzt einseitig und gegen die Gewerkschaftsvertreter jeweils 41 Cent für 2024 und 2025 beschlossen hatte. Selbst die versprochene Tariftreue steht unter dem Primat der »Zeitenwende«, denn Aufträge für Bundeswehr und Rüstung sollen bis 2029 von der Tariftreue befreit sein, so sieht es der Gesetzentwurf vor.

Der Umweg über Sondervermögen sowie die Einbindung militärischer Erfordernisse in zivile Gesetzesvorhaben, die von den Gewerkschaften befürwortet werden, erfüllen ein Ziel: Den Zusammenhang von Aufrüstung und Sozialabbau zu verschleiern, um Gewerkschaften sowie Teile der politischen Linken einzuseifen und in ihren Aufrüstungskurs, den sie »Stärkung der Verteidigungsfähigkeit« nennen, einzubinden. Dabei ist mehr als klar, dass dieser Freifahrtschein für grenzenlose Rüstungsausgaben früher oder später die Frage der Gegenfinanzierung aufwerfen wird.

Schon heute ist die Militarisierung aller Lebensbereiche real: Jungoffiziere drängen in die Schulen, die Arbeitsagenturen vermitteln neuerdings in militärische Arbeits- und Ausbildungsstellen, Kriegsgegner werden öffentlich als Putin-Trolle oder Antisemiten verleumdet, und die öffentliche Daseinsvorsorge wird Schritt für Schritt den militärischen Erfordernissen untergeordnet. Das gilt vor allem für das 500 Milliarden schwere Sondervermögen Infrastruktur. Es wird absehbar dafür genutzt werden, die Infrastruktur kriegstüchtig zu machen, um den Transport militärischen Geräts zu ermöglichen.

Das alles zeigt: Widerstand gegen den Aufrüstungskurs und die Rückkehr der Wehrpflicht ist notwendig, und Gewerkschaften spielen dabei eine tragende Rolle. Denn es ist eine Binse, dass auf die militärische Zeitenwende eine sozialpolitische Zeitenwende folgen wird. Das wiederum trifft den Kern gewerkschaftlicher Arbeit: Umverteilung. Das Streiten für gute Arbeits- und Lebensbedingungen erfordert zwingend Entspannungspolitik. Deshalb ist Frieden ein gewerkschaftliches Thema. Schließlich sind es vor allem die Lohnabhängigen und ihre Kinder, die im Krieg verheizt werden und ihr Leben lassen.

Auf der inzwischen dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden, die am 11. und 12. Juli im Gewerkschaftshaus Salzgitter stattfindet, sollen die Auswirkungen der »Zeitenwende« auf die abhängig Beschäftigten diskutiert und friedenspolitische Positionen innerhalb der Gewerkschaften gestärkt und organisiert werden.

Jana Werner ist im Vorbereitungskreis der Gewerkschaftskonferenz für den Frieden: https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/JHXGV/den-frieden-gewinnen-nicht-den-krieg

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