»Die nächste Stufe sind Zwangsmusterungen«
Interview: Gitta Düperthal
Unter dem Motto »Verweigert!« veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK, am Wochenende einen Kongress in Kassel gegen einen »neuen Wehrdienst«. Wie bewerten Sie die Wehrpflichtpläne der Bundeswehr als Teil der proklamierten militärischen »Zeitenwende«?
Es wird hochgerüstet. Die Bundeswehr hat neue Panzerbataillone in den Dienst gestellt, braucht nun Personal dafür. Weil sie für junge Menschen so unattraktiv ist, dass freiwillig niemand hin will, befürchten wir, dass in den kommenden Jahren die Daumenschrauben mit Zwangsmaßnahmen angezogen werden.
Unionsfraktionschef Jens Spahn fordert, die Wiedereinführung der Wehrpflicht jetzt vorzubereiten. Ist diese Entwicklung schon in vollem Gange?
Allerdings. Zwar wird es noch dauern, weil die Bundeswehr weder Ausbildungskapazitäten noch Raum hat, um junge Menschen unterzubringen und zu beschäftigen. Zunächst sollen junge Männer ab 18 Jahren Fragebögen ausfüllen müssen. Vermutlich wird dieser Prozess der Freiwilligensuche weniger erfolgreich für die Bundeswehr ausgehen. Klappt es nicht, wird es heißen: Dann müssen wir eben striktere Maßnahmen einführen. Die nächste Stufe mit Zwangsmusterungen ist absehbar.
Der Bundeswehr fehlen laut Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa 60.000 Rekruten. Der Wehrbeauftragte Henning Otte schlägt mehr Anreize vor, etwa Erleichterungen beim Studienzugang oder zusätzliche Rentenpunkte.
Die Zahlen des proklamierten Personalbedarfs steigen kritisch an. Anfang des Jahres war noch von 20.000 die Rede, jetzt von 60.000. Es macht unsere Gesellschaft noch ungerechter, wenn Militärs Zugang zu Privilegien erhalten sollen, die anderen vorenthalten werden. Möglicherweise kann man dagegen auch rechtlich vorgehen. Im Grundgesetz ist garantiert, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf.
Wie sieht es mit Frauen aus?
Das Grundgesetz sieht keine Wehrpflicht für Frauen vor. Wollte die Bundesregierung sie einführen, müsste sie eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag dafür organisieren. Wozu sie sich außerstande sieht. Deshalb können auch zum Ausfüllen des Fragebogens nur Männer verpflichtet werden.
Die DFG-VK will Berater für Kriegsdienstverweigerung ausbilden. Welche Fähigkeiten oder Voraussetzungen braucht es dazu?
Keine, es ist keine Rechtsberatung. Jeder kann ehrenamtlich mitmachen. Wir bereiten uns so vor, junge Menschen zu schulen, wie sie den Wehrdienst künftig verweigern können. Denn dazu erhalten wir zunehmend Anfragen von jungen Menschen oder besorgten Eltern. Reservistinnen und Reservisten wollen wissen, wie sie verhindern können, wieder eingezogen zu werden. Wir haben eine Webseite dazu erstellt: Verweigern.info. Der Kongress ist ein Versuch, ältere Aktivisten, die die Verweigerung noch von früher kennen, und junge Menschen mit Beratungsbedarf zusammenzubringen. Einige schieben das Thema noch von sich weg, hoffen, dass es nicht wieder zur Wehrpflicht kommt, andere engagieren sich.
Werten Sie es als Erfolg, wie antimilitaristische Bewegungen gegen den »Veteranentag« am Sonntag mobilisiert haben?
Der »Veteranentag« ist ein von oben verordneter Aktionstag, initiiert von Bundesregierung, Bundeswehr und Soldatenverbänden. Das heißt nicht, dass sich die Bevölkerung dafür interessiert. Es ermutigt, dass Menschen das Militärspektakel nicht einfach schlucken. Widerstand regt sich. Viele beteiligten sich an Aktionen: von klassischen Protesten bis hin zum Austausch von Werbeplakaten der Bundeswehr. Wir werden künftig dem jährlichen »Veteranentag« mit Protest begegnen.
Weshalb ist der Kriegsdienst und dessen Verweigerung in der Ukraine und in Russland Thema beim Kongress?
Wir wollen von Erfahrungen lernen: Wie gestaltet sich der Weg von einer noch lockeren Wehrpflicht bis hin zu Zwangsrekrutierungen, bei denen Menschen von der Straße geholt und an die Front geschickt werden?
Michael Schulze von Glaßer ist politischer Geschäftsführer der DFG-VK
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