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Aus: Ausgabe vom 19.06.2025, Seite 5 / Inland
Keine Rendite mit der Miete

»Bauturbo« am Kabinettstisch

Bundesregierung beschließt Aufweichung planungsrechtlicher Standards im kommunalen Wohnungsbau. Angebotsmieten in Städten im Höhenflug
Von Oliver Rast
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Die sozialdemokratische Ressortchefin Verena Hubertz am Mittwoch zu Besuch an der Baustellenfront

Fahrt aufnehmen, Tempo machen – kurz: den Turbo zünden. In der deutschen Wohnungsbaupolitik. Das »schwarz-rote« Kabinett gab am Mittwoch »grünes Licht« für die Planspiele von Ressortchefin Verena Hubertz (SPD), für den »Bauturbo«, für den Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung. »Damit erhalten die Kommunen die Möglichkeit, vor Ort flexibler zu bauen«, hieß es gleichentags aus dem Ministerium.

Das Ziel: Aufstocken, Nachverdichten, Neubau. Und zwar flott, turbomäßig eben. Mittels geändertem Baugesetzbuch (BauGB). Gemeinden könnten Genehmigungsverfahren straffen, von bauplanungsrechtlichen Vorschriften abweichen. So kann zusätzlicher Bau von Wohnraum bereits nach einer zweimonatigen Prüfung durch die Gemeinde zugelassen werden – ohne Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans. Die Regel soll befristet bis Ende 2030 gelten. Ein weiterer Effekt: Die Bundesregierung rechnet mit einer finanziellen Entlastung für Verwaltung, Bürger und Wirtschaft von mehr als 2,5 Milliarden Euro. Jährlich.

Klar, im Bausektor muss etwas passieren. Das belegen nicht zuletzt Zahlen des Statistischen Bundesamts vom Mittwoch. Demnach lag die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Mehrfamilienhäusern in den ersten vier Monaten des Jahres bei 38.600. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Minus von 0,1 Prozentpunkten. Positiv gewendet: Die hiesige Bautätigkeit stabilisiert sich auf niedrigem Niveau.

Zurück zum »Bauturbo«: Der sei der erste Schritt für mehr Schnelligkeit im Wohnungsbau »und mehr bezahlbaren Wohnraum«, behauptete Hubertz. Gefragt und gefordert sei jetzt der Bundestag, der möge im Herbst das Gesetzespaket beschließen. Ferner sollen der Schutz vor Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und die Mietpreisbremse in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt verlängert werden.

Was sagt der DMB, der Deutsche Mieterbund? Zunächst: Bezahlbarer Wohnraum sei Mangelware – »mit dramatischen Folgen für Mieterinnen und Mieter«, wurde dessen Bundesdirektorin Melanie Weber-Moritz am Mittwoch in einer Mitteilung zitiert. Daher sei die geplante BauGB-Reform grundsätzlich zu begrüßen. Aber: Der »Bauturbo« garantiere nicht, »dass bezahlbare Wohnungen entstehen«. Im Gegenteil. Weiterhin fehlten im Gesetzentwurf Schutzinstrumente für Mieter, etwa das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten. Weber-Moritz: »Das muss geändert und sozialverträglich ausgestaltet werden.« Dringend.

Und wie reagieren Baugewerbe und Wohnungswirtschaft? Uneinheitlich. Der »Bauturbo« erweitere die Handlungsmöglichkeiten für mehr Wohnraum genau dort, wo Mangel herrsche: in den Städten und Gemeinden, meinte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, am Mittwoch gegenüber jW. Eine Novelle des BauGB sei eine gute Starthilfe für den Wohnungsbau.

Skeptischer reagierte Dirk Wohltorf. »Wer gleichzeitig aufs Gaspedal tritt und auf die Bremse, kommt nicht nur nicht voran, sondern macht das gesamte Getriebe kaputt«, erklärte der Präsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD) in einem Statement. Und genau das mache die Bundesregierung in ihrer Wohnungspolitik. Die Kabinettsmitglieder müssten entscheiden: »Wollen sie mehr Wohnungen oder mehr Hürden?«

Eine falsch gestellte Entweder-oder-Frage, findet die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Barbara Metz. Der Gesetzentwurf aus dem Hause Hubertz markiere »einen neuen Tiefpunkt in der deutschen Baupolitik«. Umweltstandards, Beteiligungsrechte gingen flöten. »Bezahlbarer Wohnraum entsteht so nicht – statt dessen drohen Bodenspekulation und Naturzerstörung.« Der blinde Glaube an das Mantra »Bauen, bauen, bauen« werde die Wohnungskrise nicht lösen.

Sicher nicht, betonte zuvor Caren Lay (Die Linke) wiederholt. Und solange etwa die Mietpreisbremse nicht flächendeckend und ausnahmslos ausgestaltet werde, bleibe sie faktisch wirkungslos, so die wohnungspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion am Mittwoch in einem Statement. Den Beweis führt das Forschungsinstitut des Bauministeriums selbst. Nach einer gleichfalls Mitte der Woche veröffentlichten Auswertung haben Vermieter die Angebotsmieten in den 14 größten kreisfreien Städten seit 2015 durchschnittlich um fast 50 Prozent angehoben. Nur so eine Idee: Wie wäre es mit einem Stopp des Mietpreisturbos?

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