»Es braucht wieder zentrale Infrastruktur«
Interview: Marc Bebenroth
Sie sind seit kurzem wieder zurück aus Syrien. Dort haben Sie im Rahmen der Städtepartnerschaft des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und Al-Malikija – kurdisch Dêrik – die medizinische Situation im Nordosten des Landes evaluiert. Wie kam die Reise zustande?
Das war eine gemeinsame Reise mit dem Verband Kurdischer Ärzte in Deutschland e. V. Das Ganze hat Ende Mai im Rahmen der ersten offiziellen Klinikpartnerschaft zwischen Deutschland und Syrien stattgefunden. Die wird finanziert von der (staatlichen, jW) Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ. Davor wurden wenige Projekte offiziell begleitet und finanziert. Das änderte sich mit den neuen Machtverhältnissen in Syrien.
Sie konnten 72.000 Euro an die Klinik in der Stadt überreichen. Woher kam das Geld, und weshalb war die Spende notwendig?
Das hat die GIZ zur Verfügung gestellt. Es wurde dem kurdischen Ärzteverband anvertraut, um die Dialyseversorgung im Krankenhaus von Dêrik zu verbessern. Damit kann eine neue Maschine gekauft werden. Zusammen mit dem benötigten Verbrauchsmaterial entstehen sehr hohe Kosten. Des weiteren wird medizinisches Fachpersonal dadurch ausgebildet.
Wie viele Kliniken konnten Sie besuchen?
Wir haben uns unterschiedliche Einrichtungen angeschaut, darunter zwei große Krankenhäuser: das in Dêrik und das in Kamischli. Die baugleichen »National Hospitals« wurden 2006 von der WHO errichtet. Das in Dêrik ist seit vielen Jahren in der Hand der Selbstverwaltung und in einigermaßen gutem Zustand. In Kamischli dagegen wurde die Klinik erst im Zuge des Sturzes von Präsident Assad von der Selbstverwaltung am 8. Dezember übernommen. Die hygienischen Zustände dort, die Ausstattung, die Besetzung des Gesundheitspersonals – alles gravierend schlecht. Dieses Krankenhaus müsste kernsaniert werden. Wir konnten dort auch Gefängniszellen vorfinden. Mitten in der Eingangshalle.
Wurde es trotzdem noch zur Behandlung von Patienten genutzt?
Das war für mich schwer vorstellbar, aber ja. Die Krankenschwestern sagten, dass die letzten dort Inhaftierten am 8. Dezember vom Gesundheitspersonal freigelassen wurden. Geheimdienst und Militär waren fort. Die neue Leitung wurde von der Selbstverwaltung eingesetzt.
Wieso war es in Al-Malikija/Dêrik möglich, die Versorgung besser aufrechtzuerhalten?
Der »Islamische Staat« hat es nie dorthin geschafft. Die Region konnte immer erfolgreich verteidigt werden. Zudem ist Dêrik seit Jahren vollständig von der Selbstverwaltung kontrolliert und war nicht wie Kamischli zweigeteilt durch die Strukturen der Assad-Präsidentschaft, was die Arbeit erleichtert. Viele Vertriebene leben rund um Dêrik. Es gibt zwei große Flüchtlingscamps. Dort sind derzeit 5.000 Binnenvertriebene allein aus den von der Türkei besetzten Gebieten. Was der Stadt Sorge bereitet, ist die schlechte Versorgung mit Strom und Wasser infolge der völkerrechtswidrigen Luftangriffe der Türkei in den Jahren 2022 bis Anfang dieses Jahres.
Woher beziehen die Menschen ihr Trinkwasser?
In Dêrik gibt es 24 Brunnen. Aber es fehlt die Elektrizität. Daher betreiben wir dort eine solarbetriebene Brunnenanlage für 5.000 Menschen. Aber es braucht wieder eine zentrale Infrastruktur, wie Gaskraftwerke oder Wasserkraftwerke, die von der Türkei zerstört worden sind. Eine Großstadt wie Al-Hasaka mit Hunderttausenden Menschen hat noch größere Schwierigkeiten. Dort kommt einmal die Woche Wasser per Tanklastwagen.
Die Türkei kontrolliert Wasserkraftwerke, baut flussaufwärts Staudämme und zerstört Kraftwerke. Vor wenigen Wochen ist der Grenzfluss Harbour ausgetrocknet, der in der Türkei entspringt. Der Wassermangel ist sehr bedrohlich. Über eine Million Menschen ist durch die Politik der Türkei betroffen – Wasser wird als Waffe eingesetzt.
Wie geht es für Sie weiter?
Wir versuchen, unseren Teil beizutragen, um die Region zu unterstützen und zu stabilisieren. Wir sind sehr gut vor Ort vernetzt, mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit der Verwaltung und mit lokalen NGOs. Wir planen einen weiteren Wasserbrunnen für Binnenvertriebene in Dêrik. Außerdem unterstützen wir Fußballakademien, um der Jugend vor Ort das Trainieren zu ermöglichen.
Janosch Tries ist Vorstand des Vereins »Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg–Dêrik«
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