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Aus: Ausgabe vom 18.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Kolumbien

Arbeitsreform von rechts

Kolumbien: Rechte Parlamentsmehrheit legt Alternative zum Gesetzentwurf von Präsident Petro vor und hat Großteil bereits beschlossen. Von Elias Korte, Cali
Von Elias Korte, Cali
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»Wenn der Kongress den Präsidenten ignoriert, ignoriert das Volk den Kongress«: Proteste in Bogotá, Kolumbien (11.6.2025)

In einem zugespitzten Machtpoker, geleitet von Interessengegensätzen, ringen Präsident Gustavo Petro und der kolumbianische Kongress um die Zukunft der Arbeitsgesetzgebung. Petros Ziel: ein umfassender sozialpolitischer Modernisierungsschub, gegen den die konservativ-liberale und unternehmerisch geprägte Mehrheit im Parlament seit Monaten mit Blockade opponiert – und seit kurzem auch mit einem eigenen Arbeitsreformvorschlag, der bei weitem nicht die arbeitspolitischen Verbesserungen für über 20 Millionen Kolumbianer mit sich bringen würde wie der Entwurf des regierenden Linksbündnisses von Petro. Am Freitag, dem 13. Juni, gelang dem Senat ein Teilerfolg: 75 Prozent des eigenen Reformpakets wurden verabschiedet, die letzten 19 Artikel sollten am Montag durch den Senat beschlossen werden. Wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Senator Miguel Uribe, der am 6. Juni Opfer eines Attentats geworden war, wurde die Sitzung unterbrochen.

Die Regierung unter Petro verfolgt eine sozialstaatlich orientierte Reformagenda: Reduzierung der Wochenarbeitszeit, 100-Prozent-Zuschläge für Sonn- und Feiertage, bessere Bedingungen für prekäre Arbeitsformen, Menstruationsurlaub und einen Pensionsfonds für landwirtschaftliche Arbeiter. So will die kolumbianische Regierung mehr formelle Arbeitsverhältnisse, höhere Kaufkraft und bessere soziale Absicherung für breite Bevölkerungsschichten schaffen.

Demgegenüber wartet die Mehrheit der Parlamentarier im Senat mit durchschaubaren Gegenargumenten auf: Die Reform treibe Arbeitskosten in die Höhe, bedrohe kleine und mittlere Unternehmen, erhöhe das Risiko von Unterbeschäftigung und informeller Beschäftigung. Mit zum Teil den gleichen Argumenten wurden Petros Mindestlohnerhöhungen oberhalb der Inflationsrate bereits aus dem Unternehmerlager kritisiert. Die heutige Realität: Kolumbiens Wirtschaftswachstum ist über dem regionalen Durchschnitt. Die Erwerbslosigkeit war laut der nationalen Statistikbehörde DANE im April 2025 so niedrig wie noch nie seit Beginn der monatlichen Erfassung im Jahr 2001.

Angesichts der institutionell versperrten Wege für seine Sozialreformen sucht Petro seine Chance in der Mobilisierung auf der Straße und in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung. Am 11. Juni ordnete er per Präsidialdekret eine Volksbefragung für den 7. August an, die juristisch momentan noch geprüft wird. Nicht auszuschließen, dass die Opposition mit ihrer Alternativarbeitsreform versucht, der Volksbefragung die legitimatorische Basis zu entziehen. Sie spricht von »Verfassungsbruch« und »Diktatur«, dabei sieht die Verfassung ein solches Dekret vor, und Petro geht es um die Beteiligung der Bevölkerung. Dahinter steht ein alter Konflikt zwischen konservativen und liberal-progressiven Kräften, der mit der Verfassung von 1991 besiegelt wurde: Kolumbien ist seitdem nicht mehr nur eine repräsentative, sondern auch eine bedingt partizipative Präsidialdemokratie.

Die 75 Prozent der rechten Arbeitsreform, die in der Plenarsitzung am Freitag angenommen wurden, sehen beispielsweise vor, dass die Startzeit für Nachtarbeit 19 Uhr ist, während die Regierung 18 Uhr durchsetzen will. Die Ausweitung gewerkschaftlicher Rechte wurde als redundant bewertet. Die linke Senatorin Aída Avella kritisierte in einem Redebeitrag, dass unternehmernahe Anwälte im Parlament herumliefen und Abgeordnete während der Debatte berieten. Insgesamt schwächt die vermeintliche parlamentarische Kompromissstrategie die Idee des sozialdemokratischen Reformvorschlags stark ab, behält aber auch einige Verbesserungen bereit, wie beispielsweise bei Nachtzuschlägen und der Formalisierung von Verträgen. Die ausstehenden Debatten über Artikel, die Regelungen für Auszubildende, Plattformarbeit, Kündigungsschutz und Zuschläge betreffen, müssen bis Freitag beschlossen sein, sonst verfällt das Gesetzesprojekt in dieser Legislatur, und der Weg für ein Referendum wäre rechtlich wohl deutlich weniger angreifbar.

Für Petros sozialpolitische Reformagenda wäre auch eine verwässerte Variante der Arbeitsreform ein Teilerfolg, aber es wäre bei gleichzeitigem Aus eines Referendums auch endgültig geklärt, dass es für Kolumbiens ersten fortschrittlichen Präsidenten keine Alternative zum Kompromiss mit den rechtsliberalen und -extremen Kräften im Parlament gäbe und jeder Reformansatz nur auf bürgerliche Interessen zugeschnitten eine Chance hätte.

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