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Aus: Ausgabe vom 17.06.2025, Seite 7 / Ausland
Krieg gegen Iran

Exodus aus Teheran

Iraner verlassen in Scharen Hauptstadt. Opferzahlen der fortgesetzten Angriffe steigen. Israel versucht, USA in Krieg zu ziehen. Von Mawuena Martens
Von Mawuena Martens
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Verletzte nach israelischem Angriff in Teheran am Sonntag

In bekannter Täter-Opfer-Umkehr hat der »Verteidigungsminister« Israels am Montag mit neuen Kriegsverbrechen gedroht: Teherans Einwohner würden »den Preis für die Diktatur zahlen«, so Israel Katz. Allein in den ersten drei Tagen sind bei israelischen Angriffen 224 Menschen im Iran getötet worden, davon 90 Prozent Zivilisten. Auf der anderen Seite wurden bislang 24 Todesopfer der iranischen Vergeltungsschläge bestätigt. Am Mittag rief Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Bevölkerung auf, die iranische Hauptstadt zu verlassen. Sein Land habe mittlerweile die Hoheit über den Luftraum Teherans übernommen. Die gegenseitigen Angriffe gehen seit vier Tagen unvermindert weiter. Dabei wurden zuletzt Wohnhäuser in den israelischen Städten Haifa und Tel Aviv getroffen, letztere in der Nähe der US-Botschaft, ebenso wie das Farabi-Krankenhaus im westiranischen Kermanschah sowie unzählige weitere Orte in der Islamischen Republik.

Israel warf Teheran vor, gezielt zivile Ziele anzugreifen, tatsächlich jedoch liegen viele seiner militärischen Einrichtungen in dicht besiedelten Wohngegenden, so etwa in Tel Aviv. In Teheran gibt es spätestens seit Sonntag einen Exodus der Bewohner auf der Suche nach Zuflucht in anderen Regionen. Zugleich scheint Israels sogenannte Operation »Rising Lion« das Nationalgefühl zu stärken und die Zustimmung zum iranischen Atomprogramm steigen zu lassen. So fanden in Teheran seit Freitag mehrere Demonstrationen gegen Israel statt. Dass Iran nicht im Besitz einer Atombombe ist oder diese baut, hatte am 25. März selbst die Direktorin aller 18 US-Geheimdienste, Tulsi Gabbard, in einer Senatsanhörung erklärt: Alle Dienste gingen »weiterhin davon aus, dass der Iran keine Atomwaffen baut und dass der Oberste Führer Khamenei das Atomwaffenprogramm, das er 2003 ausgesetzt hat, nicht genehmigt hat.« Die Behauptung, dass Iran kurz davor stünde, im Besitz einer Atombombe zu sein, wird von der israelischen Regierung als Grund für ihren Krieg angeführt. Am Montag gab das iranische Parlament bekannt, dass es ein Gesetz zum Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag – den bisher nur Israel als einziger Staat der Region nicht unterzeichnet hatte – vorbereite.

In einem Interview mit CNN hatte der ehemalige israelische Premier Ehud Barak am Wochenende die Einschätzung geteilt, dass Israel allein das iranische Atomprogramm mit den aktuellen Bombardierungen langfristig nicht werde aufhalten können. Und weiter: »Die einzige Möglichkeit, es zu stoppen, besteht in einem überzeugenden neuen Abkommen oder einem umfassenden Krieg zusammen mit den USA zum Sturz des Regimes.« Tatsächlich scheinen beide Strategien in Ausführung. Schon am Wochenende hatte Netanjahu an die Iraner appelliert, gegen ihre Regierung zu rebellieren. Am Sonntag gab die iranische Partei für ein freies Leben in Kurdistan eine neue Phase ihrer »Jin, Jiyan, Azadî«-Proteste aus, um »die israelischen Attacken auf den Iran auszunutzen«. Auch Belutschen präsentierten einen »Demokratischen Übergangsplan«.

Versuche, die USA weiter in den Konflikt einzubeziehen, sind ebenfalls im Gang. So wird die israelische Führungsriege nicht müde zu betonen, wie sehr sie im Einklang mit den Vereinigten Staaten agiere. Am Montag meldete Reuters, dass der US-Flugzeugträger »USS Nimitz« am Morgen aus dem Südchinesischen Meer abgezogen worden sei und Kurs in Richtung Nahost nehme. Ynet berichtete von Dutzenden Tankflugzeugen, die die USA in Richtung Israel sandten. Zuvor hatte bereits Großbritannien zusätzliche Militärjets in die Region geschickt. Während ein Einsatz US-amerikanischer Soldaten wohl nicht im Interesse von US-Präsident Donald Trump liegt, dürfte ihm die militärische Schwächung eines mit China und Russland enge Beziehungen pflegenden Staates nicht ungelegen kommen. Zumal die weltweiten Gas- und Ölpreise nach der Bombardierung von iranischen Energieanlagen angezogen haben. Schließlich gelten die USA als international größter Ölexporteur, der auch seine Flüssigerdgassektor ausbaut. Und: Das meiste seines Erdöls exportiert Iran in die Volksrepublik.

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