»Am Leben zu bleiben ist unbezahlbar«
Interview: Yaro Allisat
Seit Anfang März lässt Israel fast keine Hilfslieferungen mehr nach Gaza. Wie genau ist Ihr Trinkwasserprojekt gestaltet, um die Menschen dort mit Wasser zu versorgen?
Wir versuchen bereits seit Monaten herauszufinden, wie wir den Menschen in Gaza am besten helfen können. Seit vergangenem Jahr haben wir eine Partnerschaft mit der Hilfsorganisation »Lifeblood Foundation« aufgebaut. Die Aktiven von »Lifeblood« kommen alle aus Gaza und arbeiten da schon seit zehn Jahren. »Lifeblood« hat in Gaza wiederum ein Team von Freiwilligen. Es gibt dort Meerwasserentsalzungsanlagen, das heißt, dass das Wasser vor Ort aufbereitet wird. »Lifeblood« kann es abholen und verteilen. Vor einigen Wochen hat endlich die erste Wasserverteilung stattgefunden. 20.000 Liter Wasser! Ich könnte nicht stolzer sein!
Wir sitzen in Berlin-Brandenburg und koordinieren von hier aus, fahren aber regelmäßig nach Kairo. Wir bezahlen das Wasser. Alles andere könnten wir nicht schaffen, da es nicht möglich ist, Hilfslieferungen nach Gaza zu schicken.
Ist das Wasser sehr teuer?
Alles in Gaza ist enorm teuer. Wie ich hörte, gibt es Preissteigerungen von bis zu 800 Prozent. Das Wasser an sich ist da, aber um es aufzubereiten, braucht man natürlich Energie. Strom gibt es schon lange hauptsächlich nur noch von Generatoren, die Treibstoff brauchen. Durch die Blockade wird am Leben zu bleiben buchstäblich unbezahlbar. Das ist die größte Herausforderung für alle, am meisten für die Menschen in Gaza.
Waren Sie selbst auch schon vor Ort?
Nein, leider ist das nicht möglich. Ob wir in Zukunft die Arbeit in Gaza ausweiten können, wird sich zeigen, wir sind aber ein kleiner Verein aus Brandenburg und können dem Leid, das in Gaza herrscht, nur wenig entgegensetzen.
Dort sind akut Tausende vom Hungertod bedroht. Natürlich besonders die Schwächeren, also Kinder, Ältere, aber auch chronisch kranke Menschen. Vor kurzem gab es die erschreckenden Nachrichten von 14.000 vom Hungertod bedrohten Babys. Sie kommen meist schon unter- oder mangelernährt auf die Welt, weil die Mütter selbst nicht genug und gesund essen können. Dadurch können viele nicht stillen, was die Situation weiter verschlimmert. Durch die monatelange Blockade von humanitärer Hilfe befinden sich alle Menschen in Gaza in einer katastrophalen Lage. Wir versuchen dem entgegenzuwirken, auch wenn es nur buchstäblich kleine Tropfen sind. Als Verein, der Menschen in Not unterstützt, ist das selbstverständlich, und wir bedanken uns für jede Spende und Unterstützung, denn nur dadurch können wir weitermachen.
Vor einiger Zeit sprachen wir bereits über Ihr Engagement für palästinensische Geflüchtete in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Wie ist im Moment dort die Lage?
Das ist unser größeres Projekt, das wir zusammen mit »Lifeblood« schon seit einem halben Jahr durchführen, und es geht weiter. Es ist sehr schwer für die Menschen, besonders die psychische Belastung ist erdrückend. Rund 150.000 Menschen aus Gaza sind nun in Ägypten. Alle haben natürlich noch Familie und Freunde in Gaza, alle leiden unter einer schlimmen Ungewissheit und an traumatischen Erfahrungen, die weder verarbeitet noch geheilt werden können. Dazu kommen täglich furchtbare Nachrichten aus Gaza.
Wie ergeht es den Menschen, die Sie kennenlernen konnten?
Ich kenne keine Familie, die keine Verwandten verloren hat. Ständig kommen neue Todesmeldungen dazu. Als Israel im März die Waffenruhe gebrochen hat, war ich in Kairo, und ich kenne niemanden, der in der Nacht geschlafen hat. Alle Hoffnung auf eine Besserung, auch auf eine Heimkehr oder auf Evakuierung, wurde plötzlich brutal zerschlagen. Seitdem wird es täglich schlimmer. Zusätzlich muss man natürlich auch das Leben in Kairo stemmen, es ist wirklich eine sehr schreckliche Situation für alle.
Was treibt Sie angesichts dessen weiter an?
Die Hilfsstrukturen, die es gibt, reichen nicht aus. Die Menschen können nicht arbeiten, können sich nur sehr schwer eine neue Existenz aufbauen, sind verletzt, verschuldet usw. Es fehlt an allem, und auch alles, was wir tun, sind kleine Tropfen auf heiße Steine. Aber jeder Tropfen zählt, und wir machen selbstverständlich weiter!
Mimi Khammas ist aktiv im Verein »Wir packen’s an«, der direkte Hilfe zu notleidenden Menschen auf der Flucht bringt
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