»Selbst Kinder sprechen über Politik«
Interview: Thorben Austen
Anfang des Monats begannen in den USA große Proteste gegen die Einwanderungsbehörde ICE. Was war der Anlass für die Proteste?
Es war eine ganze Ansammlung von Gründen, der finale Auslöser aber das Vorgehen von ICE, dieser offene Angriff auf Migranten, Festnahmen auf offener Straße und am Arbeitsplatz. Ohne dass grundlegende Rechte wie jenes auf anwaltlichen Beistand oder auf Aussageverweigerung etc. gewährt wurden. Ein Thema ist auch die angekündigte Steuer von 3,5 Prozent auf die Rücküberweisungen von Migranten nach Hause. Das ist doch verrückt. Migranten zahlen hier Steuern, und die Lebenshaltungskosten sind hoch, da müssen viele sehr sparsam leben, um Geld nach Hause zu schicken. Auch der Völkermord in Palästina spielte eine Rolle. Die Proteste begannen in Städten mit hohem Anteil von Einwanderern aus Lateinamerika und sollten deutlich machen: Wir verteidigen unsere Städte, wir lassen die Diskriminierung, die Angst und jetzt die Militarisierung unserer Städte nicht zu.
Im Fokus der Berichterstattung stand besonders die Lage in Los Angeles. Wie ist die Situation dort und in anderen Städten?
In Los Angeles gibt es eine Situation, wie sie seit Jahrzehnten in den USA nicht gesehen wurde. Der Gouverneur von Kalifornien selbst hat sich gegen Trump gestellt, und Trumps Antwort war das Entsenden von Nationalgarde und Militär, um gegen Demonstranten vorzugehen. Es gibt Hunderte Festnahmen und Verletzte, eine nächtliche Ausgangssperre in der Innenstadt. Es ist momentan unklar, wie weit sich die Situation noch zuspitzt. In New York ist die Situation bisher noch nicht so eskaliert wie in Los Angeles, aber sie wird zunehmend angespannter. Das ganze Jahr über gab es in New York schon Proteste gegen Trump und gegen den Völkermord in Palästina, aber auf der ausdrücklich gegen die Einwanderungsbehörde gerichteten Demonstration am vergangenen Dienstag mit 15.000 Teilnehmern war die Stimmung deutlich angespannter, es gab Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Wer nimmt an diesen Protesten teil? Sind das nur Migranten?
In New York sind wir doch alle Migranten (lacht). Nein, im Ernst, es sind viele Latinos beteiligt, aber meist solche mit Aufenthaltsrecht oder US-Staatsbürgerschaft. Migranten ohne Papiere nehmen aus Angst kaum teil. Auffallend ist die Beteiligung vieler junger Leute, Studenten und junger Arbeiter. Eine zentrale Rolle spielen aber auch Frauenkomitees und die PSL (Partei für Sozialismus und Freiheit, jW).
Auch der linke Flügel der Demokraten um Bernie Sanders hat sich zu den Protesten geäußert.
Ja, sie sind anwesend. In New York regieren die Demokraten, es gibt auch eine offene politische Kultur in der Stadt. Man darf aber nicht vergessen, dass auch die Demokratische Partei Migranten massiv abgeschoben hat und den Völkermord in Gaza unterstützt. Die Trennung von Migrantenfamilien, das Separieren von Kindern, die dann in Käfige eingesperrt wurden, das hat nicht Donald Trump erfunden, sondern das wurde schon in der Regierungszeit von Friedensnobelpreisträger Barack Obama praktiziert. Unter Joe Biden wurden beispielsweise mehr lateinamerikanische Migranten abgeschoben als in Trumps erster Amtszeit. Die Diskussion, die auch in Lateinamerika stattfindet – reicht es aus, eine progressivere Partei zu wählen oder ist ein neues gesellschaftliches System nötig? – gibt es natürlich auch hier. Es wird interessant sein, welche Antwort die Protestbewegung darauf findet. Im Moment ist jedenfalls ein wachsendes politisches und historisches Bewusstsein zu spüren, selbst Kinder sprechen über Politik.
Das klingt, als wäre die migrantische Community in den USA heute recht politisiert?
In meinem Umfeld ist das so, aber es ist auch möglich, dass ich in einer gewissen Blase lebe. Viele Migranten haben zu große Alltagsprobleme, um sich um Politik zu kümmern.
Gabriela Alvarez Castañeda stammt aus Guatemala und lebt in New York. Sie engagiert sich dort kulturell und politisch
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