Stimmen gegen koloniale Gewalt
Von Dieter Reinisch, Wien
Er wolle keinen Waffenstillstand, sondern ein Ende des Zionismus. Das erklärte Haim Bresheeth, Professor an der prestigeträchtigen Universität SOAS in London, am Wochenende auf dem ersten Kongress zum jüdischen Antizionismus in Wien. An diesem nahmen von Freitag bis Sonntag mehrere hundert Personen teil. Gekommen waren sie aus der ganzen Welt, einige reisten sogar aus Australien, Mexiko und Kanada an. Besonders freute es die Organisatorin, Dalia Sarig, dass »eine Al-Aqsa-Gruppe aus Indonesien gekommen ist«, wie sie im jW-Gespräch erzählte. »Es ist ein sehr wichtiger Kongress, ich bin sehr froh, dass er stattfinden konnte.«
Der Kongress stand unter dem Motto »Kein Völkermord im Namen des Judentums: Stoppt den Hungermord!« Jüdische Aktivisten wollten mit dem Kongress gegen die Vereinnahmung jüdischer Identität zur Rechtfertigung kolonialer Gewalt in Palästina, für gleiche Rechte für alle Menschen in Palästina, gegen Besatzung, Apartheid und Völkermord werben, hieß es im Programm. Die EU-Abgeordnete Rima Hassan, die an der »Gaza Freedom Flotilla« – einem Versuch, per Segelboot Hilfsgüter in den Küstenstreifen zu transportieren – teilgenommen hat, wurde zu Kongressbeginn am Freitag per Video zugeschaltet. Weitere prominente Redner waren der israelische Historiker Ilan Pappé, die palästinensische Ärztin Ghada Karmi, der Holocaustüberlebende Stephen Kapos und der Journalist Ramzy Baroud. Auch die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete Francesca Albanese sendete eine Grußbotschaft per Video. Aus Deutschland war Iris Hefets als Rednerin der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost angereist.
Die Veranstalter kritisierten die Unterstützung des Völkermords durch westliche Staaten und die Kriminalisierung antizionistischer Stimmen. Diese richteten sich gegen koloniale Gewalt, denn Antizionismus sei nicht gleich Antisemitismus, wie in einer Pressemitteilung betont wurde. Dass Wien zum Austragungsort des Kongresses auserkoren wurde, war eine bewusste Entscheidung, betonte Sarig. »Theodor Herzl hat hier sein Buch ›Der Judenstaat‹ geschrieben, und er wollte hier auch seinen ersten zionistischen Kongress abhalten.« Aufgrund des Widerstands innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sei dieser schlussendlich in Basel abgehalten worden. Auf diese Tradition des jüdischen Widerstands wolle man aufbauen, so Sarig. Es sei jedoch keine jüdische Veranstaltung, was man auch an der Zusammensetzung der Redner und Teilnehmer beobachten könne, die mehrheitlich arabisch-muslimisch und nichtjüdische Österreicher sind.
Die Organisatoren berichteten von starkem Widerstand gegen den Kongres, anders als der Palästina-Kongress in Berlin vor einem Jahr lief die Veranstaltung jedoch ohne polizeiliche Repression ab. Auch Störaktionen gab es kaum, nur eine kleine Gruppe »Antideutscher« reiste, mit einer Fahne der Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu am Autodach, aus München an und versuchte, die Teilnehmer am Eingang zu stören. Sie wurde jedoch rasch von der Polizei des Platzes verwiesen. Das war möglich, weil die Organisatoren vorsorglich eine Standkundgebung vor dem Eingang angemeldet hatten.
Geht es nach den Organisatoren und vielen Teilnehmern, wird es den Kongress auch in der Zukunft geben: Die diesjährige Veranstaltung soll der Auftakt für regelmäßige Kongresse auf der ganzen Welt sein, betonte Sarig. Pläne dafür sind bereits fortgeschritten: Am Sonntag nachmittag gründete sich ein Organisations- und Finanzkomittee. »Es gibt Gespräche, den zweiten Kongress nächstes Jahr in Irland abzuhalten«, verriet Bresheeth bei der abschließenden Pressekonferenz. Pappé wünsche sich noch vier weitere antizionistische Kongresse, denn »im fünften Jahr wird es keinen Zionismus mehr geben«, verkündete er in seiner Rede am Freitag. Hochgesteckte Ziele, doch die Organisatoren glauben nach dem für sie erfolgreichen Wochenende in Wien, genau dafür den Grundstein gelegt zu haben.
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