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Aus: Ausgabe vom 14.06.2025, Seite 7 / Ausland
»Weltgemeinschaft«

Angriffskrieg abgenickt

Israel attackiert Iran: Teheran soll das schlucken und wird zu »Deeskalation« aufgerufen. Trump räumt Mitwisserschaft ein, Merz ebenfalls informiert
Von Reinhard Lauterbach
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Von der Welt im Stich gelassen: Frauen protestieren gegen den israelischen Angriffskrieg (Teheran, 13.6.2025)

Nach dem israelischen Großangriff auf Ziele im Iran hat die sogenannte Weltgemeinschaft das Land überwiegend aufgefordert, auf Vergeltungsmaßnahmen zu verzichten. Durch die am Freitag verbreiteten Erklärungen zog sich das Wort »Deeskalation« wie ein roter Faden – diese sei jetzt nötiger denn je. Entsprechend äußerten sich UN-Generalsekretär António Guterres ebenso wie der NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Vertreter der Bundesregierung ergänzten ebenso wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Mahnungen um die Betonung von Israels »Recht auf Existenz« und »Selbstverteidigung«, vermieden also jeden Anschein von Kritik. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der nach eigenen Angaben nach dem Angriff mit Israels Premier Benjamin Netanjahu telefonierte, rechtfertigte in einer Stellungnahme auf X den Angriff auf gleiche Weise und bekräftigte, dass sein Land Irans Atomprogramm »wiederholt verurteilt« habe.

Bundeskanzler Friedrich Merz wurde offenbar von Netanjahu eine Stunde vor dem Beginn der Angriffe aus dem Schlaf geklingelt und informiert. Außenminister Johann Wadephul beriet in Kairo mit der ägyptischen Regierung über die Situation und erklärte zur Reaktion Teherans auf die Angriffswelle: »Den unterschiedslosen iranischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet verurteilen wir auf das schärfste.« Die meisten deutschen Parteien wahrten zunächst Stillschweigen; halbwegs deutliche Worte fand Jan van Aken von der Partei Die Linke. Er schrieb, der Angriff habe alle Chancen auf eine weitere diplomatische Lösung torpediert. Es sei kaum vorstellbar, dass der Iran weiter Kontrollen seiner Atomanlagen zulasse – »die Gefahr einer iranischen Atombombe« sei mit diesem Angriff »massiv gestiegen«. Der Angriff Israels sei nur so zu verstehen, dass die Regierung Netanjahu auf eine Strategie des permanenten Krieges setzt.

Weiter scheint die Verwicklung der USA in die Angriffe und ihre Komplizenschaft mit ihnen zu gehen. Außenminister Marco Rubio hielt es für nötig zu betonen, dass Washington in die Ausführung der Angriffe nicht eingebunden gewesen sei. Er rief den Iran auf, keine Angriffe auf »amerikanische Interessen und amerikanisches Personal« zu starten. Was auf den ersten Blick so gelesen werden konnte, als wollte Rubio sich von der israelischen Aktion distanzieren, wurde allerdings nur Stunden später von Präsident Donald Trump richtiggestellt. Gegenüber dem Wall Street Journal sprach er von einem »sehr erfolgreichen Angriff, um es gelinde auszudrücken«. Auf die Frage, ob er von Tel Aviv vorgewarnt worden sei, antwortete Trump: »Es war keine Vorwarnung. Es war: Wir wissen, was los ist.« Er habe auch »einen wichtigen Alliierten« in der Region zuvor ins Bild gesetzt – wahrscheinlich Saudi-Arabien.

Groß kann die Verstimmung über den Angriff in Washington jedenfalls nicht sein – auch wenn vor allem britische Kommentatoren den Angriff auch als »Schlag gegen Trumps Diplomatie« einschätzten. Sie erinnerten daran, dass die Angriffe zwei Tage vor der geplanten nächsten Runde der iranisch-US-amerikanischen Atomgespräche stattgefunden hätten. In Kommentaren sowohl der BBC als auch der Agentur Reuters und des Onlineportals Unherd wurde darauf hingewiesen, dass Netanjahus Aktion auch ein »Nasenstüber« des »wichtigsten US-Klienten im Nahen Osten« gegen die transatlantische Führungsmacht gewesen sei.

Rufe nach Deeskalation kamen auch aus Beijing und Moskau. China sei bereit, »eine konstruktive Rolle bei der Beruhigung der Situation zu spielen«, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Lin Jian. Nach mehrstündigem Schweigen in Russland verurteilten erst Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow und dann das Außenministerium die israelischen Angriffe als »unprovoziert und ungerechtfertigt«. Die Erklärung aus Moskau sprach von einem »groben Bruch des Völkerrechts« und kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung des Weltsicherheitsrates zu bringen. Kritische Worte an die Adresse Israels kamen auch von der Türkei und den Golfstaaten. Letztere äußerten die Befürchtung, dass auch ihre Länder und Bevölkerungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, wenn es zu einem neuen Nahostkrieg kommen sollte.

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