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Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 15 / Feminismus
Asylrecht

Abschiebung in den Femizid

Bayern: Flug in den Iran mit 67jähriger in letzter Minute gestoppt – in Heimatland droht gewalttätiger Exmann bereits mit ihrer Tötung
Von Gitta Düperthal
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Vorschriften, Repression und Gewalt prägen den Alltag vieler Iranerinnen (Teheran, 9.4.2023)

Am Mittwoch sollte die Iranerin Frau B. um 14.20 Uhr direkt in den Flieger nach Teheran steigen, um mit der Maschine der Lufthansa abgeschoben zu werden. Die einzige Chance in solchen Fällen ist, dass die Crew des Flugzeugs sich weigert, eine Passagierin mitzunehmen, die gegen ihren Willen befördert werden soll. Am Abend dann Erleichterung: Sie haben sie nicht mitgenommen. B. sei nun wieder zu Hause im Kreis ihrer Familie in Nürnberg, sagte eine ihrer Nichten gegenüber jW.

Auch beim Bayerischen Flüchtlingsrat ist man erleichtert. Im Fall einer Abschiebung hätten B. erhebliche Gefahren für Leib und Leben gedroht, hieß es in einer Mitteilung. Die 67jährige habe in der Vergangenheit Gewalt durch ihren Ehemann erfahren, der sich aktuell weiterhin im Iran aufhält. Als der Gatte von der bevorstehenden Abschiebung erfahren hatte, habe er neuerlich einem Familienmitglied gegenüber Todesdrohungen gegen B. ausgesprochen, so Johanna Böhm vom Flüchtlingsrat. Bislang habe sich B. nicht von ihrem Mann scheiden lassen können, weil im Iran der Mann der Scheidung zustimmen muss. Rechtlich gilt sie noch als verheiratet.

Die Spitze des Eisbergs: In den frühen Morgenstunden des 4. Juni hatte die Polizei plötzlich in ihrem Zimmer gestanden, um sie in die Abschiebehaft in Hof zu bringen, wo sie eine Woche lang eingesperrt war. Ihre Vorgeschichte beschreibt der Flüchtlingsrat: vor 14 Jahren Flucht vor dem gewalttätigen Ehemann. Seit 2013 habe B. versucht, ihre Verfolgungsgründe beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geltend zu machen – bis zuletzt erfolglos. Sie leidet unter psychischen und körperlichen Erkrankungen, darunter eine mittelschwere Depression. Bei den zuständigen Behörden eingereichte Atteste seien jedoch an den hohen gesetzlichen Anforderungen gescheitert. Somit blieben die ärztlich und therapeutisch gestellten Diagnosen unberücksichtigt.

Seit Auslaufen des Abschiebestopps Ende 2023 gibt es wieder Abschiebungen in den Iran. An der Situation dort hat sich allerdings wenig geändert. Insbesondere Frauen seien struktureller Gewalt und politischer Repression ausgesetzt, so der Flüchtlingsrat. Im Gespräch mit Pro Asyl schilderte die deutsch-iranische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri kürzlich beispielhaft, wie »absolut gefährlich« Abschiebungen in den Iran sind: Kurz nach Ablauf der Abschiebestopps in den Iran sei einer jungen Frau das Bleiberecht verweigert worden, mit der Begründung, dass das Nichttragen eines Hidschabs nicht zu einer Bedrohung im Herkunftsland führen würde. Drei Tage später sei dort eine junge Kurdin 74mal ausgepeitscht worden, weil sie keinen trug.

Hat B. nun hier in Deutschland eine Perspektive? Einfach wird es nicht werden. Nach Einschätzung Böhms hätten die neuerlich hervorgebrachten Drohungen des Exmannes gegen B. deren bisherige Berichte erhärtet. Es gebe also neue Beweise. Auch sei ihr ein Aufenthaltstitel verwehrt worden, weil sie 2019 wegen Passlosigkeit und unerlaubten Aufenthalts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Dabei gilt die Beschaffung iranischer Identitätsdokumente mitunter als unzumutbar, insbesondere deswegen, weil Teheran für das Ausstellen von Pässen die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung verlangt. Wenn Menschen von einer Behörde gezwungen würden, beim iranischen Konsulat zu sagen, sie wären freiwillig dort, seien sie genötigt, zu lügen, erklärt Böhm. Doch weil B. gegen den Strafbefehl keinen Widerspruch eingelegt hat, da sie die hohe finanzielle Belastung fürchtete, gelte sie in Deutschland als Straftäterin. Hätte sie es getan, wäre es gut möglich gewesen, dass sie einer Verurteilung entgangen wäre.

Dass »bayerische Behörden eine sogenannte Straftäterin konstruieren, um sie bedenkenlos abzuschieben«, kritisiert Böhm scharf. Geschlechtsspezifische Gewalt werde in vielen Fällen immer noch nicht ernst genommen. Das müsse sich ändern. Eine von Gewalt betroffene Frau in den drohenden Femizid abzuschieben, sei ein grober Verstoß gegen die Istanbul-Konvention und ein Schlag ins Gesicht von allen, für die »Jin, Jîyan, Azadî« (»Frau, Leben, Freiheit«) mehr als ein modischer Slogan ist. Der Flüchtlingsrat moniert die harte Migrationspolitik der Bundesregierung, die, um einer rechten Ideologie zu folgen, auf Einzelschicksale keine Rücksicht nimmt. Das könne auf Kosten von Menschenleben gehen.

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