Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. Juni 2025, Nr. 135
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 12 / Thema
Militarismus und Sozialdemokratie

Ein bisschen Frieden

Die SPD bleibt Friedenspartei – bei jedem Krieg, den Deutschland führt. Randglossen zum Manifest einiger SPD-Mitglieder
Von Andreas Buderus und Johannes Schillo
12-13.jpg
Von den »SPD-Friedenskreisen« eher bemäntelt als kritisiert: Die eigene Partei hat den neuen deutschen Kriegskurs maßgeblich vorangetrieben (Ex-Kanzler Olaf Scholz mit Boris Pistorius bei einer Militärinspektion, 4.9.2024)

Seit Anfang Juni kursiert in Teilen der SPD und in DGB-Gewerkschaften ein Manifest »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung«, verfasst von »SPD-Friedenskreisen«. Diese stellen sich als »Beratungsgremium« vor, »das in regelmäßigen Abständen zusammenkommt, um über Fragen der SPD-Friedenspolitik zu beraten«. Man scheint hier aber mehr mit sozialdemokratischer Selbstverständigung oder Gewissensberuhigung befasst zu sein, große Außenwirkung war bis vor ein paar Tagen nicht zu verzeichnen, was sich nun freilich mit der lautstarken Distanzierung der SPD-Fraktion von dem Papier geändert hat. Auch der Spiegel hat jetzt groß ins Land posaunt: »Prominente SPD-Politiker stellen sich gegen Außenpolitik der Bundesregierung«, während andere Medien als Novum vermelden, dass SPD-Politiker »Gespräche mit Russland« fordern. Wenn also der kleinere Koalitionspartner will – oder genau so der größere –, kann man damit einen – kleineren oder größeren – Koalitionsstreit inszenieren, der die Öffentlichkeit dann mit nationalen Abwägungen beschäftigt.

Allenfalls der Neustart des Erhard-Eppler-Kreises unter dem Motto »Frieden 2.0« – neuer Vorsitzender seit Mai 2025: Ralf Stegner – hatte zuvor die Öffentlichkeit erreicht; Andeutungen zu internen SPD-Beratungen wurden publik. Stegner war bereits im Oktober vergangenen Jahres mit seiner Rede bei der Berliner Friedensdemo aufgefallen, in der er Vorsicht bei Waffenlieferungen an die Ukraine anmahnte und eine Variante der legendären »Besonnenheit« von Kanzler Olaf Scholz vor friedensbewegtem Publikum zum besten gab, dort allerdings auch einigen Widerspruch erntete.

Im April 2025, unter dem neuen Kanzler Friedrich Merz (CDU), trat Stegner wieder als Warner auf: »Jetzt gibt es Bemühungen um Waffenstillstand«, so sein Votum, »da sollten wir keine Einzelwaffen öffentlich debattieren.« Seit Ende Mai kann man besichtigen, was diese Zurückhaltung praktisch bedeutet: Geliefert wird, bis es kracht, und Merz ist genau der Meinung von Stegner, nämlich dass man das nicht mehr öffentlich zu debattieren brauche. So konstruktiv sind die angeblich oppositionellen SPD-Stimmen gegenüber der Regierungspraxis ihrer Partei und ihres Koalitionspartners! Aber halt, jetzt gibt es ja das besagte Manifest.

Man fragt sich, soll das Opposition sein? Ein Einspruch gegen das, was die eigene Partei macht? Den Frieden in Europa und die Notwendigkeit von Verteidigungsfähigkeit beschwor doch auch Kanzler Merz anlässlich seiner Regierungserklärung, und zwar im völligen Einklang mit seinem Koalitionspartner SPD: »Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals einsetzen.« Zu solcher Verteidigungsfähigkeit gehört natürlich Rüstungskontrolle dazu – man muss ja über die Potenzen des Gegners Bescheid wissen und kann so etwa, wie sich jüngst zeigte, die Russen in einem START-Vertrag dazu verpflichten, ihre Atombomber offen auf Flugplätzen aufzustellen – damit sie dann bei Gelegenheit von der Ukraine mit einem chirurgischen Schlag getroffen werden. Verständigung, also Diplomatie, macht Merz natürlich auch. Er will ja gerade »innerhalb der NATO und in der EU mehr Verantwortung übernehmen« (so die Regierungserklärung), muss daher den anderen Staatenlenkern deutsche Ansprüche mitteilen und sich deren Einwände anhören.

Kein Sand ins Getriebe

Das Manifest bringt dann einige aktuelle deutsch-europäische Sorgen zur Sprache (Rüstungswettlauf, nukleare Eskalation, Trump im Weißen Haus …) und erinnert vor allem an die gute alte Zeit, als ein Willy Brandt noch maßgeblich an der Entspannungspolitik beteiligt war. Ja, da gab's mal Hoffnungen auf eine »gegenseitige Friedensfähigkeit«! Dann kommt das Manifest zur Sache, nämlich zu acht Forderungen, die aber mit einem entscheidenden Punkt eingeleitet werden. Damit keine Missverständnisse aufkommen! Damit nicht etwa der Eindruck entsteht, hier solle Sand ins Getriebe der Regierungsarbeit geworfen werden! Bei all den geäußerten Sorgen »ist klar: Eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas sind notwendig.« Genau das, was die Große Koalition betreibt, wird noch einmal als ursozialdemokratisches Anliegen vorgetragen. Hier die konkreten Forderungen:

1. Im Fall des Ukraine-Kriegs wird eine »möglichst schnelle Beendigung« gewünscht, wobei »die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen verknüpft werden (muss) mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität«. Man steht also auf seiten der Ukraine, hätte deren Sieg lieber heute als morgen, weiß aber – Achtung: hier kommen Anklänge an die Entspannungsära –, dass es nötig ist, »wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen«. Tja, irgendwann wird man einen Vertrag schließen und irgendwie definieren müssen, welche Interessen der Russischen Föderation »berechtigt« sind. Benutzbar soll das Land ja wieder werden. Wozu sonst der ganze militärische Aufwand?

2. Als nächstes kommt noch mal, was vorher schon als wichtigster Punkt klargestellt wurde: »Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA.« Es geht weiter: »Stopp eines Rüstungswettlaufs.« Ohne Scherz, das steht so hintereinander! Ein Kraftakt der Militarisierung ist verlangt, und die russische Seite soll sich eines merken: »Wir« werden eigenständig gegenüber der US-Vormacht, wollen also militärisch ganz schön zulegen, aber das soll jetzt bitte nicht gleich wieder durch eine Nachrüstung der anderen Seite in Frage gestellt werden.

3. »Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt es keine sicherheitspolitische Begründung.« Die Begründung existiert zwar – die Bundeswehr muss laut Boris Pistorius »kriegstüchtig« werden und will sich auch an die Vereinbarungen der NATO halten. Aber das Papier erinnert an dieser Stelle daran, was das alles kostet und wo dann eventuell Geld fehlt – bei der »Armutsbekämpfung« zum Beispiel. Das klingt richtig sozialdemokratisch! Aber ähnliches kennt man auch aus der Merz-Truppe: Nicht die Nennung starrer Kennziffern hilft uns, sondern nur die Klärung dessen, was gebraucht wird und was finanziell geht. Sozialer Zusammenhalt ist natürlich auch aus christdemokratischer Perspektive erwünscht, sprich: ein Burgfrieden im Innern wie 1914, als die Grundlagen des modernen Arbeits- und Sozialrechts (Einführung von Betriebsräten, Sozialhilfe usw.) geschaffen wurden.

4. Und jetzt kommt noch eine Klarstellung, was dem Land (gerade auch angesichts der transatlantischen Verstimmungen) auf keinen Fall zuzumuten ist: Man ist gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, denn das »würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen«. Das ist das ganze Argument! Wahrscheinlich ist das auch als Gedächtnishilfe für die Älteren gemeint, in den 1980er Jahren war die Nation ja schon einmal in Aufregung darüber, dass sie zum atomaren Schlachtfeld werden könnte, statt dass die Bomben anderswo runtergehen.

5. Ein eigenständiger deutsch-europäischer Militarismus ist also das Programm, ein Schuss Antiamerikanismus inbegriffen. Das wird jetzt durch die in der Überschrift genannte Rüstungskontrolle komplettiert: Bei der nächsten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag soll »die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung« Nachdruck erfahren. Trump und Putin, hört ihr die Signale aus der EU? Die Zeit der großen Atommächte ist vorbei! Und je stärker, also »verteidigungsfähiger« die EU sein wird, desto mehr Druck kann sie natürlich in der Staatenwelt entfalten.

6. Dasselbe wird dann noch einmal explizit an die Adresse der beiden – ehemaligen – Supermächte gerichtet: »Erneuerung des 2026 auslaufenden New-Start-Vertrags«, und zwar im Namen aller Ideale von Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung, vertrauensbildenden Maßnahmen etc. pp., die den Kalten Krieg jahrzehntelang begleitet haben. Jetzt aber auch als Auftrag, den eine aufstrebende Großmacht EU erteilt, die andere an den Konferenztisch bekommen will.

7. Das Ganze muss dann zu allem Überfluss auch noch als sozialdemokratisches Ideal aus vergangenen Zeiten vorgetragen werden: »schrittweise Rückkehr zur Entspannung«. Natürlich mit Augenmaß: schrittweise. Auch mit dem Hinweis verbunden, dass die Nation noch andere Probleme auf dem Globus hat (zum Beispiel muss sie den »globalen Süden« in den Griff kriegen), was dann zum Schlusspunkt hinführt:

8. Deutscheuropa soll sich aus der »militärischen Eskalation in Südostasien« heraushalten. Logo, eine eigenständige EU folgt doch nicht einfach den Kampfansagen der USA, lässt sich nicht umstandslos in deren Frontbildung hineinziehen. Mit China kann man vielleicht Besseres anfangen – etwa clevere Deals machen, die den US-amerikanischen Druck auf das Land für eigene Interventionen ausnutzen?

Genial verfremdet

Ist das alles also nur ein »Weiter so« – verbrämt mit einigen Friedensidealen und konstruktiven Bedenken? Nicht ganz. In dem Manifest macht sich außerdem ein Bedürfnis nach Gewissenserforschung bemerkbar, mit dem man wohl bei friedensbewegten Menschen Anklang finden will. »In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und Hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.« So heißt es eingangs – und dass zu diesen Kräften vorneweg die Sozialdemokratie gehört, müsste ja eigentlich noch der Dümmste wissen. Aber da hat das Manifest keine Hemmungen, es entdeckt Tendenzen zu einer Militarisierung Europas ganz so, als ob das eine Entwicklung wäre, die unabhängig von der Sozialdemokratie mit ihrer Propagierung von »Zeitenwende« und Kriegstüchtigkeit zustande gekommen wäre.

Die Akteure und Antreiber dieser Entwicklung werden nicht ins Visier genommen, aber eine gewisse Nachdenklichkeit halten die Autoren doch für angebracht. Im Klartext: Der »Iwan« ist nicht an allem schuld. Dass das Friedensideal von Willy Brandt nicht zum Zuge kam, liegt – man höre und staune – auch an »uns«, an der westlichen Seite. Irgendwie jedenfalls. »Nicht einseitige Schuldzuweisungen, sondern eine differenzierte Analyse« soll uns da weiterhelfen. Doch die analytischen Anstrengungen des Manifests, das nicht viel mehr als Andeutungen liefert, haben es in sich. Die »Differenzierung« der Autoren besteht im wesentlichen aus Verschweigen und Beschönigen.

So werden die Ursachen bzw. der Werdegang der heute angeblich so plötzlich zerstörten Friedensordnung in Europa im Grunde nur negativ bestimmt: Man sei damals nicht dem Weg gefolgt, den unser »Friedenswilly« eingeschlagen hatte. Dass Helmut Schmidt, sein sozialdemokratischer Nachfolger im Kanzleramt, seinerzeit den NATO-Doppelbeschluss und damit die Aufrüstung Europas (auch als »Nachrüstung« bekannt) auf den Weg brachte, bleibt unerwähnt. Dass die Entspannungsära zielstrebig durch eine Spannungsphase abgelöst wurde – da der eingeleitete »Wandel durch Annäherung« seine zersetzende Wirkung entfaltet hatte und folglich wieder härtere Bandagen am Platz waren –, ist auch kein Thema. Dass also Entspannung ein Modus war, die Systemgegnerschaft gegen den »totalitären« Osten nicht allein mit militärischen Mitteln auszutragen, sondern – notgedrungen, siehe das »atomare Patt« – durch Rüstungsdiplomatie etc. zu ergänzen, soll natürlich keiner wissen.

Das Manifest erwähnt den NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 bezeichnenderweise nur en passant als »den Angriff der NATO auf Serbien«. Kein Wort darüber, dass es die SPD selbst unter Kanzler Gerhard Schröder und Kriegsminister Rudolf Scharping war, die zusammen mit dem olivgrünen Außenminister Joseph Fischer 78 Tage und Nächte lang Bomben auf Belgrad werfen ließ. In einem veritablen völkerrechtswidrigen Krieg übrigens! Ein Tatbestand, der heute, nach der russischen Invasion vom Februar 2022, alle Welt erschüttern soll, damals aber als humanitäre Selbstverständlichkeit bei den deutschen »Friedenseinsätzen« durchging.

Im Manifest wird auch »die fundamentale Verletzung der Menschenrechte im Gazastreifen« erwähnt, aber es folgt kein Wort zur aktiven Mitverantwortung der SPD-geführten Ampelregierung unter Scholz und Pistorius, zur Lieferung von Kriegsgerät für das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung, was unter Schwarz-Rot bis heute bruchlos fortgeführt, neuerdings lediglich mit einigen warnenden Stimmen begleitet wird. Auffällig auch, dass das Thema im abschließenden Forderungsteil nicht wieder auftaucht. Man hat halt mal – das kann auch die FAZ – an das Elend der Menschen in Gaza erinnert.

Die Stationierung neuer US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa wird kritisiert. Aber wie! Auf die bemerkenswerte, durch und durch nationalistische Begründung wurde bereits hingewiesen. Doch kein Wort davon, dass SPD-Kanzler Scholz im Vieraugengespräch mit US-Präsident Joe Biden beiläufig bei einer NATO-Konferenz vollendete Tatsachen schuf – ohne Debatte und ohne jede parlamentarische Kontrolle. Dabei erfolgte die Verkündung in eben derselben Manier, mit der sich Scholz zuvor in seiner berüchtigten »Zeitenwende«-Rede als Ausdruck einer sich verselbständigenden Exekutive zum Kriegskanzler berufen und das erste 100-Milliarden-Euro-Militarisierungsprogramm durchgedrückt hatte.

Und kommt das an?

Die SPD ist integraler Teil der neuen deutschen Kriegskoalition, die Deutschland zur stärksten konventionellen Armee Europas aufrüsten will. Das ist die gegenwärtige Lage. Man kann das auch Aufwuchs eines europäischen Imperialismus nennen. Während wortreich die Gefahren des US-amerikanischen Politikwechsels beklagt werden, nutzt man die allseits beschworene Eigenständigkeit, um Deutschland zur europäischen Führungsmacht des Aufrüstungs- und Kriegsvorbereitungswettlaufs zu transformieren. Und dieser von der SPD wesentlich mitentwickelte, -initiierte und vor allem auch -getragene Kurs der Kriegsvorbereitung bedeutet logischerweise eine Umstellung der gesamten Gesellschaft auf »Kriegstüchtigkeit«. Letzteres übrigens ein Wort, das in dem Manifest nicht vorkommt.

Man kann also festhalten: Offenkundig will man zu den sozialdemokratischen Machern nicht in einen Gegensatz treten. Die SPD-Friedenskreise dienen somit nicht der Sache der Antikriegsbewegung – sie wollen im Gegenteil der erforderlichen konsequenten antimilitaristischen Empörung und Bewegung die Klarheit über ihren wahren Gegner nehmen und den Protest lähmen. Das leistet das Manifest objektiv. Wie sich die Friedenskreise und die Manifestautoren subjektiv ihre SPD-Mitgliedschaft mit den vorgetragenen Klagen zusammenreimen, bleibt dabei wohl jedem einzelnen überlassen. Aufhellung depressiver Endzeitstimmung? Träume von alten Zeiten? Tja, »als Willy Brandt noch Bundeskanzler war, hatte Mutti noch goldenes Haar«, wie Funny van Dannen einst sang. Was hier zu Wort kommt, ist aber noch nicht einmal das ernsthafte, gegen jeden Realismus gefeite Bestehen auf einem Idealismus der kontinentalen Versöhnung.

Mutig, oppositionell, anklagend, mobilisierend ist das SPD-Papier, das sich großsprecherisch Manifest nennt, in keiner Weise. Es ist eine Ansammlung von Appellen, Klagen, Auslassungen und moralischen Nebelgranaten, die von einem solchen Opportunismus durchdrungen sind, dass man nicht weiß, ob man sich mehr über die Naivität der Verfasserinnen und Verfasser oder über ihre Heuchelei wundern soll. Es ist eine beschwichtigende Anpassung an jene Staatsmacht, deren Kriege man vorgeblich »vermeiden« will, während man den Weg dorthin faktisch legitimiert. Garniert wird das Ganze noch mit der konsequenzlosen Erwähnung maximal kritikwürdiger Ereignisse wie etwa der Nichtumsetzung der Minsker Abkommen oder der Rolle Israels im Gazakrieg. Was komplett fehlt, ist Selbstkritik, ein Eingeständnis der historischen und politischen Verantwortlichkeit gerade der SPD – statt dessen wird durch das Schweigen selbst legitimiert, was eine entschiedene Absage verdient hätte.

Gleichwohl, auf Mobilisierung ist das Manifest wohl doch berechnet, nämlich von Wählerstimmen. Es ist wohl derselbe Fall wie bei der Grünen Jugend, wozu Ole Nymoen jüngst bei Jacobin seinen Kommentar »Nein, die Grünen haben nicht plötzlich ihr Gewissen wiederentdeckt« veröffentlichte. Ist man abgewählt oder wie die SPD eine Partei im Niedergang, muss man sich eben wieder um neue Wählerschichten oder verlorengegangene Stammwähler kümmern, mal alte Ideale aufwärmen, sich mal bei »progressiven« Jungwählern interessant machen, überhaupt eigene Duftmarken setzen. Für dieses trostlose Geschäft kann man dann auch abgehalfterte oder abgemeldete Parteipolitiker brauchen.

Nicht täuschen lassen

Auf die parteiinternen Probleme einer von Mitglieder- und Profilschwund geplagten Partei wird wohl kaum jemand in der Friedensbewegung etwas geben. Aber immerhin – wird der eine oder die andere sagen –, es kommt etwas in Gang, vielleicht beginnt ein Umdenken, einige SPD-Funktionäre und, nicht zu vergessen, Funktionärinnen kriegen kalte Füße und erkennen den Ernst der Lage. Vielleicht erschrecken sie über das eigene Handeln. Also: Das könnte doch der Anfang einer Wende sein! Nur, wenn dem so wäre, dann müssten sich diese Stimmen gegen den Kurs der Partei wenden – was sie, wie dargelegt, nicht tun. Sie ergänzen den offiziellen Kurs der Partei (plus der schwarzroten Koalition) um einige Bedenken, in der Hauptsache aber um Ideale, die sich nahtlos in das deutsche Aufrüstungs- und Aufbruchsprojekt einfügen.

Ein zu erwartender Standardeinwand wird sicherlich auch lauten: »Die SPD-Friedenskreise stehen schwach in der Partei. Ihr Papier enthält dennoch richtige Ansätze. Wir müssen diese unterstützen, um die Friedenskräfte in der SPD zu stärken.« Man muss schon sagen, das ist der klassische Opportunismus. Als ob man seine Stimme gegen Kriegsvorbereitung und -ertüchtigung nicht klar und deutlich erheben könnte, weil man in der Minderheit ist. Nach dieser Logik soll man nur fordern, was gerade opportun ist. Solchen und ähnlichen Versuchen, auf verunsicherte SPD-Mitglieder (deren persönliche Betroffenheit gar nicht in Abrede gestellt werden soll) Rücksicht zu nehmen, ist klar entgegenzuhalten: Die Schwäche der SPD-Friedenskreise belegt nicht die Pflicht, sie zu unterstützen, sondern eher deren Bedeutungslosigkeit.

Wer nicht willens ist, die eigene Parteiführung offen anzugreifen, wird auch künftig nichts verändern wollen. Die vermeintlich »richtigen Ansätze« sind in Wahrheit Nebelkerzen. Solange die eigene Parteiverantwortung für Kriege nicht benannt wird und Widerspruch erfährt, dienen solche Papiere objektiv der moralischen Entlastung der Kriegstreiber. Kooperation bedeutet dann in Wahrheit: das Aufgeben der eigenen politischen Politik- und Urteilsfähigkeit. Wer jetzt Bündnisse mit solchen Pseudofriedenskräften eingeht – aus welchen Erwägungen auch immer –, untergräbt die notwendige Fokussierung und Radikalisierung der Friedensbewegung. Im Klartext: Bündnisse mit SPD-Friedenskreisen schwächen die Klarheit der Bewegung. Denn der Feind steht nicht »irgendwo da draußen«, sondern sitzt im eigenen Regierungslager.

Andreas Buderus schrieb an dieser Stelle zuletzt am 23. Mai 2025 über rechte Netzwerke und die anstehenden Betriebsratswahlen. Johannes Schillo äußerte sich hier zuletzt am 28. Januar 2025 zur Remilitarisierung der Bundesrepublik: Die erste »Zeitenwende«.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Baerbock bei der Kontrolle deutschen Kriegsgeräts in der Ukraine...
    05.04.2025

    Freischwimmer im EU-Teich

    Die Außenpolitik der Ampel hat die BRD zwar in die Klemme zwischen den USA und Russland geführt. Langfristig wichtiger dürfte aber die neue deutsche Führungsrolle innerhalb der EU sein
  • Protest gegen die Militarisierung Deutschlands von Anhängern der...
    15.03.2025

    Abrüsten, whatever it takes

    Dokumentiert. Deutschland rüstet auf und macht die Welt damit unsicherer. Eine antimilitaristische Wortmeldung
  • Demonstration für den Frieden: Die Linke-Vorsitzenden Bernd Riex...
    14.03.2015

    Opposition statt Nacheilen

    Neue Kriege, neue Verantwortung: Die Linke muss für eine friedenspolitische Perspektive kämpfen, statt von einer Koalition mit SPD und Grünen zu träumen

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!